Zuletzt aktualisiert am 30. März 2024 um 18:22
Ein paar persönliche Anmerkungen zum Essen. Zum Schreiben darüber. Sowie über die Verquickung von kulinarischen Freuden und den Lifestyle-Idealen der Generation Z. Mit unseren Food-Tipps für Sevilla.
Aus meinem Leben als Restauranttesterin
Das Essen spielt seit einiger Zeit eine zunehmenden Rolle auf Kind am Tellerrand. Ich hatte das weder geplant, noch kommt es besonders überraschend. Denn was auch die treuen Blogleser nicht wissen: Nachdem ich mich vor 17 Jahren, damals Mutter eines Säuglings, als Journalistin selbständig gemacht hatte, bestand mein erstes größeres Projekt im Schreiben von Restaurantkritiken. Mit einem kleinen Team hoben wir einen regionalen Restaurantführer für einen unabhängigen Verlag aus der Taufe, der bis heute alle Jahre wieder erscheint. Was dazu führte, dass meine mittlerweile 17-jährige Tochter in ihren ersten paar Lebensjahren so viel Zeit in Restaurants verbrachte, dass wir wahrscheinlich ein Fall für den Kinderschutzbund gewesen wären.
Nun ist die Arbeit an einem Restaurantführer für Ulm und Umgebung nicht mit dem Job eines Testers des Guide Michelin zu vergleichen. Weshalb sie auch keineswegs so paradiesisch war, wie sämtliche Bekannte anfangs dachten. Ich habe einiges an Convenience Food, Labbrig-Fettigem und lieblos bereiteten Speisen zu essen bekommen, auf das ich gern verzichtet hätte. Andererseits wäre ich niemals Profi genug, um auf Haute-Cuisine-Niveau zu urteilen. Wobei das Kulinarische ein Thema war, das nicht nur meinen Magen, sondern auch meinen Kopf bereits zum damaligen Zeitpunkt seit Jahren beschäftigt hatte.
In Frankreich Essen gelernt
Schuld daran waren, wie könnte es anders sein, die Franzosen. Gegen Ende meiner Studienzeit habe ich immer wieder längere Phasen in Frankreich verbracht, und dort nicht irgendwann vor der Esskultur auf die Knie zu fallen, erscheint mir als ein Ding der Unmöglichkeit. In Frankreich habe ich begreffen, dass Essen so inspirierend und bewusstseinserweiternd sein kann wie ein Kunsterlebnis. Ich habe begonnen, die Kochkunst für eine Art von Alchemie zu halten. Ich habe konservativen, machomäßigen französischen Männern dabei zugehört, wie sie mit höchstem Engagement über die Zubereitung von Ente diskutierten. War dabei, als Jugendliche aus einfachen Familien in einer Berufsschule für Kunststoff-Facharbeiter bei Paris am letzten Mittag vor den Weihnachtsferien ein opulentes Jakobsmuschelragout vorgesetzt bekamen. In Frankreich habe ich Ehrfurcht vor Lebensmitteln gewonnen: vor der Natur, die ihre Aromen hervorbringt, und vor den Menschen, die sie mit Hingabe und Könnerschaft kultivieren, zubereiten und verspeisen.
Es ist zwar ein weiter Weg von der frischen Auster am Mittelmeer zu den soßigen Spätzle an einem schwäbischen Ausflugssee, aber alles gehört irgendwie in die Welt des Kulinarischen, und die interessierte mich. Nach einigen Jahren des systematischen Essens allerdings hatte ich zwei kleine Kinder, die Logistik des Restauranttestens erwies sich als schwer kompatibel mit der Familiensituation, ich kannte die lokale Szene zur Genüge, andere Schreibthemen rückten in den Vordergrund. Es war Zeit, mit dem Testen aufzuhören.
Alte Liebe rostet nicht
Natürlich habe ich auch weiterhin gegessen, gekocht und mich an Geschmackserlebnissen erfreut – nicht zuletzt in Korea und Japan. Aber in meinem Kopf nahm das Thema, warum auch immer, keine prominente Rolle mehr ein. Bis es im letzten Jahr mit Macht, überraschend und beglückend wieder auftauchte. Offenbar bleibt der Mensch sich selbst treu, ob er will oder nicht. Dass die einleitende kulinarische Offenbarung des Jahres 2018 mich allerdings ausgerechnet auf einer USA-Reise und ausgerechnet in einem Restaurant ergriff, das auch meine Teenager-Töchter toll fanden, hätte ich nie erwartet. Im China Cilcano, einem peruanisch-asiatischen Restaurant in Washington, DC, über das ich bereits auf dem Blog geschrieben habe, versetzte mir die Begegnung mit einem neuen und großartigen Geschmackserlebnis einen wonnigen Adrenalinschub.
Und verrückterweise ging es sofort weiter damit. Ich hatte für die USA ein Medikament gegen Sodbrennen eingepackt, aber statt der Tabletten nahm ich wunderbare Dinge zu mir: traditionelle Drugstore-Kost, erstklassige Burger und Retro-Rezepte aus Kolonialzeiten in Charlottesville in Virginia. Deftiges und aromenstarkes Seafood an der Chesapeake Bay. Sicher hatten wir auf dieser Reise einfach kulinarisches Glück, nicht zuletzt dank der Tipps von ortskundigen Freunden, gleichzeitig haben solche Food-Orgien auch etwas mit dem Alter unserer Töchter zu tun. Kulinarische Entdeckerfreude wird in letzter Zeit immer öfter zu einer gesamtfamiliären Angelegenheit – schließlich sind die Kinder 17 und 14.
Durchgestylte Restaurants für analoge Erlebnisse – und fürs Instalife
Zum einen haben sie mehr und mehr Spaß an außergewöhnlichen Geschmackserlebnissen. Zum anderen ist in der Food-Szene in den letzten Jahren ein großer Schritt hin zum Stylischen zu beobachten. Das hat sicherlich mit Medien wie Instagram zu tun, die die Optik dessen, was auf dem Teller liegt, in den Vordergrund rücken, und auf denen hippe Interiors gut ankommen. Aber vermutlich verdankt sich die Zunahme an durchdesignten Cafés und Restaurants nicht allein den sozialen Medien. Dass es in Zeiten, in denen man alles auch im Internet ordern kann, immer stärker auf den Erlebnischarakter der Orte ankommt, in denen wir ganz analog shoppen, essen, trinken, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz.
Wodurch wir in den letzten Jahren alle in den Genuss einer nie gekannten Menge von süßen Retro-Cafés, von coolen Hipster-Bars mit Urban-Jungle-Begrünung und von Restauranteinrichtungen aus der Hand renommierter Designer und Architekten gekommen sind. Die wiederum machen Teenagern, jedenfalls vielen von ihnen, auch unabhängig vom kulinarischen Angebot Spaß. Weil sie ihnen gefallen. Und weil sie gute Fotos für Insta-Storys und Snaps abgeben.
Meine, um es trendig auszudrücken, Style-Learnings
Davon könnte man als Spross des 20. Jahrhunderts ein bisschen genervt sein, aber ich handle diesbezüglich lieber nach dem Motto “go with the flow” und nehme mit, was ein designinteressierter Erwachsener mitnehmen kann, wenn er Teenager hat. In Sevilla, wo ich kürzlich zum zweiten Mal eine Woche mit meiner jüngeren Tochter verbracht habe, bringe ich es zu ziemlich ergiebigen Style-Learnings. Zum Beispiel bei unserem Take-out-Breakfast, das wir uns mehrfach in dem kleinen Café Jester holen und dann ein paar Meter zu unserem Hotel Las Casas de la Judería zurücktragen. Dort setzen wir uns mal in einen Innenhof, mal auf die Dachterrasse, richten das Superfood – ich habe die erste Açaí-Bowl meines Lebens – fotogen an und tun dann, was man vor dem Essen tut: Bilder machen. Auch das kleine Café nimmt sich vor der Kamera meiner Tochter extrem zeigeistig aus mit Topfpflanzen, Ananas und handbeschriebenen Holztafeln.
Ich beginne während unserer kurzen Reise ziemlich schnell, dezidiert nach Restaurants Ausschau zu halten, die cool aussehen und kulinarisch verheißungsvoll sind. Auf diese Weise gelangen wir ins Lobo López, eine Tapasbar mit aufregender Innenarchitektur, deren Features vom vertikalen Garten bis zu einer durch den renommierten Street-Art-Künstler Vhils gestalteten Wand reichen. Urban Jungle ist auch hier ein prominentes Thema: Die Bar mit Affen-Malerei spricht Bände. Wir probieren diverse kleine Gerichte, die teils iberisch, teils asiatisch inspiriert sind. Ich finde das Interiordesign ein bisschen spektakulärer als die Speisen, aber meine Tochter will von solchen Verdikten nichts hören, wenngleich sie mit einer gewissen Skepsis isst und manches an die Mutter weitergibt. Wir haben einen schönen Abend, tropische Gefühle und hübsche Bilder auf Handys und Kameras. Spricht irgendwas dagegen?
INFO: Subjektive Food-Tipps für Sevilla
Sevilla ist eine erstklassige Destination für Gourmets, es gibt viele lohnende Adressen; wir können nicht behaupten, die gastronomische Szene tatsächlich zu kennen. Trotzdem haben wir ein paar Orte gefunden, die wir wieder aufsuchen würden und weiterempfehlen möchten:
Jester – coffee & juices ist ein kleines Café im Altstadtviertel Santa Cruz, das nur einige wenige Sitzplätze auf dem Gehsteig hat und aufs Takeaway seiner herrlichen Frühstücksbowls, Sandwiches, Säfte und des erstklassigen Kaffees spezialisiert ist. Freundliche Tipps für sympathische Picknickplätze bekommt man zum Essen gratis dazu.
Torch Coffee Roasters, im leicht industriellen urbanen Stil gehalten, bietet hausgerösteten Kaffee und klassische Frühstücksgerichte mit zeitgemäßem Superfood-Touch. Locker. Und lecker.
La Azotea gibt es dreimal in Sevilla. Die modernen Tapasbars servieren klassische andalusische Gerichte mit modernem Twist, in hoher Qualität und zu undramatischem Preis. Hervorragend und in unserem Falle eher etwas für die Mutter als für das Kind.
Miss Tem ist ebenfalls eine Tapasbar plus Restaurant mit modernem Flair, sehr dekorativ eingerichtet. Unser Kurzbesuch mit einem Gericht für die Mutter und Oliven für das Kind hat Lust gemacht auf mehr, ein Nachteil allerdings ist: Wer nur Tapas will, wird an die Bar gesetzt, der Restaurantraum ist den ausführlicheren Essern vorbehalten.
Lobo López habe ich oben ausführlicher beschrieben: ein attraktiv designtes Restaurant mit vielseitiger Karte, die sich zwischen spanischen und asiatischen Inspirationen bewegt.
Ice Wave (Foto am Beginn dieses Absatzes) darf an dieser Stelle nicht fehlen. Bei Ice Wave wird das Eis vor den Augen der Kunden per Hand hergestellt, indem entrahmte Milch mit individuell ausgewählten Zutaten – Erdbeeren, Oreos und ähnlichem – auf einer eisgekühlten Platte vermischt, gehackt, gespachtelt, hübsch aufgerollt wird und dann, wenn gewünscht, mit Toppings garniert. Ice Wave ist ein spanisches Franchise-Unternehmen und ganz extrem zu empfehlen. Super für Kinder jeden Alters; kommt auch gut auf Instagram.
La Oleoteca ist der ideale Shop für Olivenöl-Aficionados. Aus Andalusien kommen großartige Olivenöle, in der Oleoteca werden ausgewählte Sorten verkauft. Man kann sie vor Ort verkosten und bekommt beste Beratung in geschmeidigem Englisch. Uns hat man sehr unterschiedliche Öle mit der Erklärung “if this one is rock’n’roll, the other one is pop” nahegebracht. Eindrucksvoll für Mutter und Tochter.
Mercado de Triana ist ein überdachter Markt, der in dem besuchenswerten Viertel Triana gelegen ist. Die angebotenen Früchte, Schinken, Fische sind eine Wonne fürs Auge – ich unterstelle meiner Tochter, auf deren Fotogeneität spekuliert zu haben, als sie die Markthalle ansteuerte. Gut, dass wir da waren, der Ort ist bestechend. Neben den Verkaufsständen gibt es diverse Imbisse; wir haben uns an frischen Obstsäften und einer Platte mit fertig zubereiteten Früchten erfreut.
2 Comments
Nava
Danke für die restaurant-Empfehlungen. Ich finde es immer nett, wenn jemand seine Erfahrungen teilt! 🙂 Auch sehr spannend einen Einblick in dein Restaurant-Tester-Leben zu bekommen! LG 🙂
Maria-Bettina Eich
Essen ist ja auch wirklich ein unerschöpfliches Thema :)!
Liebe Grüße zurück,
Maria