Zuletzt aktualisiert am 1. November 2023 um 14:52
Als sie klein waren, verbrachten wir mit unseren Töchtern einige Stockholm-Tage im Astrid-Lindgren-Rausch. Die Zeiten ändern sich. Bei unserem zweiten Familientrip in die schwedische Hauptstadt kommt nur noch ein Kind mit, und uns berauscht der spezielle nordische Stil, der hier alles durchdringt. Stockholm mit Teenagern zu besuchen, lohnt sich aus vielen Gründen. Hier unsere acht liebsten.
Paradies mit Kaffee und Blumen: Rosendals Trädgård
Wie ich auf diesem Blog in jedem zweiten Artikel betone: Cafébesuche gehören zu unseren wichtigsten familiären Reiseaktivitäten. Unterwegssein mit halbwegs gutgelaunten Teenagern wäre undenkbar ohne, außerdem plädiere ich dafür, Cafés in den Rang kultureller Sehenswürdigkeiten zu erheben. Jedenfalls die guten. Und ein solches ist Rosendals Trädgård. Es ist sogar eines der allerschönsten, in denen wir je waren.
Ein Trädgård ist ein Garten, der rosendalsche wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Areal für Botaniker gegründet. Mit der Innenstadtfähre fahren wir von der Station Slussen auf die Innenstadtinsel Djurgården, was die perfekte Anreise für einen Nachmittag im Paradies ist. Auf der Insel geht es einen Hügel hinauf, an einer Orangerie vorbei und hinein in eine Anlage voller Blüten: in Gewächshäusern, auf Beeten und Feldern, in Vasen. Es gibt Kaffee, Kuchen, Zimtschnecken. Außerdem Gemüsegerichte, Salate, wunderbares hausgebackenes Brot. Wenn man will, kann man Pflanzen und Gartenaccessoires kaufen.
Wir suchen uns einen Platz in einem Gewächshaus, ziehen um nach draußen, setzen uns in ein anderes Gewächshaus. Wir möchten jeden Winkel dieses zauberhaften Orts ausprobieren, würden ihn gerne nach Deutschland exportieren, wissen aber gleichzeitig: Es wäre nicht dasselbe. Diese selbstverständliche Stilsicherheit, dieses Gefühl von nordischem Sommer, dieses einzigartige Kaffee-mit-Zimtschnecken-Gefühl, das geht nur in Schweden.
Nach Södermalm fürs Vintage-Shopping und überhaupt
Es ist schön, wenn Kinder auf Reisen ihre eigenen Ideen einbringen. In unserem Fall ist diese Idee eine Liste mit Second-Hand-Boutiquen im Hipster-Stadtteil Södermalm, die meine Tochter von einer Freundin mitbekommen hat. Wir atmen tief durch und beschließen, das Beste aus diesem Programmpunkt zu machen.
Die Sache fängt ganz interessant an, nämlich mit der Boutique Emmaus, die wohl die berühmteste Stockholmer Adresse für Vintage-Kleidung ist. Ich begleite meine Tochter eine spektakuläre blumengeschmückte Treppe hinunter in ein cooles Retro-Reich, in dem ich mich auch ohne Teenager freiwillig umschauen würde.
Aber Emmaus ist nicht der einzige stylische Second-Hand-Laden in Södermalm. Es gibt viele. Wir sind stundenlang unterwegs, bekommen zwischendurch einen Kaffee, finden uns sehr geduldig. Am Ende ist unsere Tochter ziemlich zufrieden mit ihrer Ausbeute, und wir sind auch nicht wirklich unzufrieden, denn Södermalm ist so heimelig wie kreativ.
Lieblingsmuseum in Stockholm mit Teenagern: das Fotografiska
Ich muss mich dem Vorwurf aussetzen, meinen Töchtern ein Museumstrauma angehext zu haben. Zumindest behaupten sie das, und möglicherweise ist es wahr. Im besten Falle verwächst es sich irgendwann. Bis dahin ist Vorsicht geboten. Museen sollten momentan um des lieben Friedens willen nur in kleinen Dosen verabreicht werden, nachdem sie mit maximaler Sorgfalt selektiert wurden.
In Stockholm allerdings geschieht das Wunder: Meine traumatisierte jüngere Tochter findet ein höchstpersönliches Lieblingsmuseum. Es ist das Fotografiska, ein großartiges Museum für Fotografie mit wechselnden Ausstellungen, von denen mehrere gleichzeitig laufen. Der visuelle Input ist enorm, überall finden sich Verbindungen zwischen dem Gezeigten und dem Erfahrungs- und Interessensspektrum des Teenagerlebens. Das mag einerseits am Medium Fotografie liegen, hat aber andererseits auch viel mit den fantastischen Ausstellungskonzepten des Fotografiska zu tun – und mit der vielschichtigen Inspiration dank mehrerer parallel laufender Schauen, die man hier bei einem Museumsbesuch zu sehen bekommt.
Elegante Architektur für Bücher: die Stadtbibliothek von Stockholm
Ein paar nerdige Recherchen haben mich überzeugt: Wir müssen uns die Stockholmer Stadtbibliothek anschauen. Gunnar Asplund hat sie in den 1920-ern entworfen; heute rechnet man sie einem “Swedish grace” genannten Stil zu. Damit ist, grob gesagt, die modernistische Wendung eines nordischen Klassizismus gemeint: eine spezifisch schwedische Entwicklung, die auf die Radikalität und Exzentrik der internationalen Architekturtendenzen der Epoche verzichtet und an ihre Stelle eine ästhetisch gut zugängliche Anmut setzt. Immerhin gehört es zu den großen Tugenden des durch und durch demokratischen skandinavischen Designs, den Alltag der Menschen stärker im Blick zu haben als eindrucksvolle Konzepte.
Ich erspare meinen Familienmitgliedern eine Konfrontation mit meinem Kulturtouristinnen-Wissen und locke sie ohne große Ankündigungen in den eigenwilligen orangen Zylinderbau in Stockholms Vasaviertel (in dem sich übrigens Astrid Lindgrens Wohnung ebenso befindet wie das Dach, auf dem Karlsson haust). Wir alle sind sprachlos, als wir in dem zentralen runden Bibliothekssaal stehen, um den herum mit Büchern gefüllte Galerien laufen. Diese Rotunde ist von maximaler Eleganz, das Raumgefühl eine Wohltat. Jede Einzelheit, bis hin zur Typographie der Regalbeschriftungen, ist durchdesignt, und auch ohne Schwedischkenntnisse machen wir eine Menge Entdeckungen in den Buchreihen.
Nicht so unsere Tochter. Nach einer kurzen Verneigung vor der Architektur dieser Bibliothek, die darin besteht, ein paar Fotos mit ihrem Handy zu machen, setzt sie sich betont blasiert auf eine Bank und wartet gelangweilt, bis wir genug haben von Stockholms bibliophiler Wunderkammer.
Köttbullar im natürlichen Habitat: Im Restaurant Prinsen
Unser entscheidendes kulinarisches Forschungsprojekt in Stockholm wird später am Tag von gesamtfamiliärem Enthusiasmus getragen. Das Ziel: Köttbullar in ihrem natürlichen Habitat probieren, sprich: nicht in einem schwedischen Möbelhaus irgendwo auf diesem Globus, sondern in der Hauptstadt des Ikea-Ursprungslandes. Für dieses Unterfangen wählen wir das traditionelle Restaurant Prinsen aus. Hier wird seit Ende des 19. Jahrhunderts klassisch-schwedisch gekocht, und “echte hausgemachte Köttbullar” gehören zu den stabilen Größen auf der Karte. Sie schmecken gut. Nicht raffiniert, aber kräftig – und so, als hätte eine freundliche Mutter sie gekocht. Das typische Ikea-Aroma finden wir nicht.
Was wir allerdings finden, ist wieder mal ein Kapitel schwedischer Designgeschichte. Denn wenngleich das Prinsen mit seinem dunklen Holz und seinen braunen Sitzbänken so gar nichts vom trendigen Nordic Style hat, sind seine Wände mit einheimischen Designklassikern dekoriert: nämlich mit den wilden Blumenmustern der Firma Svenskt Tenn, deren Stil maßgeblich von einem Österreicher geprägt wurde. Der Architekt Josef Frank wanderte 1933 nach Schweden aus und setzte Zeichen mit seinen überbordend bunten, von Pflanzen und Tieren inspirierten grafischen Entwürfen. Die kann man noch heute in der Boutique von Svenskt Tenn am noblen Strandvägen erstehen oder auch nur bewundern – gerade mal fünf Minuten vom Restaurang Prinsen entfernt.
Friedhof im schwedischen Stil: der Skogskyrkogården
Wir haben zwei Töchter. Die, die nicht mit uns in Stockholm ist, hat im Teenageralter ihren Vorliebe für Spaziergänge auf Friedhöfen entdeckt. Ihre kleine Schwester hasst Friedhofsbesuche. Das erfahren wir allerdings erst, als wir bereits mit ihr unter den Bäumen des Skogskyrkogården stehen. “Ich verreise nicht, um auf Friedhöfe zu gehen,” lautet ihr nicht ganz unverständlicher Einwand. Zumal wir für diesen Programmpunkt mit der U-Bahn bis nach Gamla Enskede im südlichen Stockholm hinausfahren mussten. Ich sage, mir der schwachen Überzeugungskraft des Arguments bewusst: “Aber dieser Friedhof hier ist anders, er ist ein Wald, in dem man spazierengehen kann.”
Denn genau das ist er, und genau deshalb ist er nicht nur berühmt, sondern sogar UNESCO-Welterbe. Zwischen 1917 und 1920 entstand dieser Waldfriedhof auf einem großen Naturgelände mit Nadelbäumen. Zwei junge Architekten hatten den Auftrag für dieses immense Projekt gewonnen – einer von ihnen Gunnar Asplund, der Erbauer der Stadtbibliothek. Der andere war Sigurd Lewerentz. Der Gestaltungswille der beiden ist in überall spürbar, die Wegenetze und die Bauten auf dem Skogskyrkogården sind bis ins kleinste Detail durchkonzipiert – immer jedoch zurückhaltend und schlicht, immer im Einklang mit der Natur. Skandinavische Designtugenden auch hier.
Eine ganze Weile lassen wir uns von der besonderen, sehr friedlichen, teils meditativen Atmosphäre dieses Ortes einfangen, an dem man den Waldspaziergang auf seltsam beruhigende Weise mit Erinnerungen an vergangene Leben verbindet. Irgendwo stoßen wir auf ein Besucherzentrum, in dem Kaffee verkauft wird, den man auf Gartenstühlen trinkt. Picknick auf einem Friedhof? Eine Fika, die berühmte schwedische Kaffeepause, sogar hier zwischen Gräbern? Wir probieren es aus. Stellen fest: Es ist wunderbar, in dieser Weise auf einem Friedhof zu verweilen. Sogar unsere Tochter kann dem Ort etwas abgewinnen. Und mein Mann ist zufrieden, als er auf den stillen Grashügel mit Greta Garbos Grab stößt.
Der Weg ist das Ziel: Kunst in der Stockholmer U-Bahn
Hach, diese Schweden. So urdemokratisch. Wenn man in Stockholm Kunst will, braucht man kein Museumsticket zu kaufen. Es reicht eine schlichte U-Bahn-Fahrkarte. Denn die unterirdischen Bahnhöfe dieser Stadt sind zum großen Teil monumentale Kunstwerke: immersive Höhlen, Wunderwelten in leuchtenden Farben, phantastische Grotten.
Schon Ende der 1950-er begann das große Stockholmer U-Bahn-Kunst-Projekt; seither haben, so lesen wir, 250 Künstler beigetragen zur Ausgestaltung der Stationen der Tunnelbana. Wenn man mit Kindern unterwegs ist, gibt es kein perfekteres Kunsterlebnis: Anstelle von Museumsräumen, in denen man immer ein wenig ruhig sien muss, präsentiert sich die Kunst hier in ausgedehnten und oft etwas geheimnisvollen unterirdischen Räumen, in denen man herumlaufen darf und ständig Neues entdeckt. Wir sehen bei diesem Stockholm-Aufenthalt viel zu wenig von der Pracht, hoffen aber auf ein nächstes Mal. Die Website der Stadt hält eine Liste von 14 ganz besonders großartigen Stationen parat, und das ist nur ein kleiner Teil dessen, was es zu sehen gibt.
Stockholm mit Teenagern: Nichts geht übers Herumlaufen
Im Grunde lohnt es sich in jeder Stadt, ziellos herumzulaufen und zu schauen, was man dabei entdeckt. In Stockholm, stellen wir fest, hat man dabei so etwas wie eine doppelte Garantie: Zum einen bietet dieses urbane Gebilde, das auf einer Reihe von Inseln erbaut ist, ständig neue spektakuläre Blicke aufs Wasser. Zum anderen geraten wir bei unseren Spaziergängen immer wieder unversehens in stille und idyllische Ecken, deren Atmosphäre randvoll ist mit diesem ganz speziellen Schwedencharme, den wir sofort nach der Abreise schmerzhaft vermissen. Und zwar jedes Mal, nachdem wir aus diesem Land zurückkommen.
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