Zuletzt aktualisiert am 13. September 2020 um 22:41
Japan, Punkte, Endlos-Strukturen: Sarah Suzuki, Kuratorin am Museum of Modern Art in New York, und die Illustratorin Ellen Weinstein haben ein so schönes wie kluges Kinderbuch über die Künstlerin Yayoi Kusama gemacht. YAYOI KUSAMA. FROM HERE TO INFINITY (verlegt vom MoMA) ist zwar nur auf Englisch erschienen, lässt sich aber beim Vorlesen leicht übersetzen.
Kindheitsmuster
Sarah Suzuki und Ellen Weinstein lassen ihr Yayoi-Kusama-Bilderbuch dort beginnen, wo auch fast jede Erwachsenen-Darstellung über die 1929 geborene Künstlerin ausgiebig verweilt: bei ihrer Kindheit in der elterlichen Gärtnerei im japanischen Matsumoto. Eindrucksvoll legen Weinsteins Illustrationen sich wiederholende Strukturen bloß, die das Mädchen in ihrer Umgebung wahrgenommen haben mag und die ein Ursprung der Endlos-Muster auf den Bildern der erwachsenen Yayoi Kusama sein könnten. Darunter sind auch die Punkte, die zu so etwas wie dem Markenzeichen der erwachsenen Künstlerin geworden sind. Dass die kleine Yayoi Halluzinationen erlebte, bei denen ihre komplette Umwelt von bedrohlichen Blumenmustern überzogen schien, ist ein biographisches Detail, das bis zur Unerträglichkeit breitgetreten und allzu oft zur Ursache von Kusamas künstlerischer Handschrift erklärt wurde. Suzuki und Weinstein verzichten darauf, die Halluzinations-Episode ins Feld zu führen. Und siehe da: Die Muster der Japanerin erschließen sich auch ohne sie – sogar für Kinder.
Von Japan nach New York
Überall finden die Betrachter ab etwa fünf Jahren auf den Illustrationen des Buchs Formen und Strukturen der alltäglichen Welt, von denen es nur ein kleiner Schritt ist zu den unendlichen Netzen und Punkten, die Yayoi Kusama in den Fünfzigerjahren auf die Leinwand brachte. Inzwischen war sie aus der Enge ihres konservativen japanischen Elternhauses in das künstlerisch brodelnde New York gegangen. YAYOI KUSAMA. FROM HERE TO INFINITY erzählt von einer wie besessen malenden jungen Künstlerin, die in New York erste Erfolge erlebte und schließlich international berühmt wurde.
Popstar Yayoi Kusama
Dass Yayoi Kusama in späten Jahren so etwas wie ein Popstar wurde, deutet das Kinderbuch nur an – mittels eines fantastischen Panoramas, das eine Straßenszene voller Kusama-Punkte zeigt. Sie prangen auf Blumen, auf Häuserwänden und schließlich auf Schaufensterfiguren, Kappen und Taschen. “Her dots were covering the world”, heißt es auf der vorangehenden Doppelseite. Dass es dazu kommen konnte, lag nicht zuletzt an der Luxusmarke Louis Vuitton, die die Künstlerin 2012 mit einer publicityträchtigen Kollektion feierte, dank derer sie mit 83 Jahren zum internationalen Megastar wurde. Natürlich kann man über die Verbindung von Kunst und Kommerz ausgiebig meckern. Aber in Anbetracht der attraktiv gepunkteten Welt, die das Yayoi-Kusama-Kinderbuch zeigt, möchte man lieber denen zustimmen, die die Verbreitung von Kusamas Punkten für eine Bereicherung der visuellen Wirklichkeit halten.
Selbstinszenierung und Spiegelräume
Auf Kleidungsstücken waren Yayoi Kusamas Punkte allerdings nicht erst zu finden, als Louis Vuitton sie dafür entdeckte. Kusama selbst hatte immer wieder einmal Accessoires mit ihren charakteristischen unregelmäßigen Polka Dots entworfen – vor allem für sich selbst. Auf vielen Fotos posiert die Künstlerin in ihrem mittlerweile ikonisch gewordenen Look: in einem farbenfrohen Punkte-Kleid und mit knalloranger Perücke. Den exzentrischen visuellen Reiz dieser Selbstinszenierung fängt das Yayoi-Kusama-Bilderbuch in ebenso kindgerchter Weise ein wie das faszinierende Flimmern der “Infinity Rooms”, der sich ins Endlose spiegelnden Rauminstallationen Kusamas (siehe Abbildung vom Buchcover ganz oben), für deren Besuch Menschen rund um den Globus heute stundenlang Schlange stehen.
Noch heute malt Yayoi Kusama jeden Tag
Heute ist Yayoi Kusama eine alte Dame. Sie lebt an dem Ort, den sie sich im Jahr 1977 selbst ausgesucht hat: Damals ist sie aus eigenen Stücken in eine psychiatrische Klinik in Tokio gezogen. Irgendwann hat sie gegenüber ein Studio eingerichtet, in dem sie nach wie vor täglich malt. Endlose Struktuen lässt das Kinderbuch ihrem Pinsel entwachsen, die sie ebenso in ihre Umwelt hinausschickt, wie die Strukturen dieser Welt sich einstmals in ihre Wahrnehmung geschlichen haben mögen. Selten gelingt es einem Kinderbuch, künstlerische Prozesse so einleuchtend und trotzdem frei von naiver Vereinfachung darzustellen wie der Publikation YAYOI KUSAMA. FROM HERE TO INFINITY.
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