Drei Räume, immersiv, leuchtend und zauberhaft. Bespielt vom erfolgreichen niederländischen Künstlerduo Studio Drift im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Schön. Fotogen. Und Auslöser für ein paar Überlegungen.

Vier praktische Tipps für eine absolut familiengeeignete Ausstellung

Studio Drift Museum für Kunst und Gewerbe
Leuchtende Pusteblumen, echt und handgepflückt: Die Installation “Fragile Future II”

Nehmt Eure Kinder mit in diese Ausstellung. Für die nächste Zeit werden sie überzeugt sein, dass Museen keine Orte für Langeweile sind, sondern spektakuläre Wunderwelten.

Nehmt Eure Teenager mit in die Schau vom Studio Drift in Hamburg. Ihre Handys haben sie sowieso dabei, der Rest ergibt sich von selbst.

Nach dem Betrachten der Drift-Installationen mit Teenagern bietet sich ein Abstecher in die historische Spiegel-Kantine an: ein poppig-psychedelischer Designklassiker von 1969, den man sich nicht entgehen lassen sollte und der zu den Highlights des Hamburger Museum gehört.

Für Kinder gibt es im Museum für Kunst und Gewerbe einen einzigartigen Design-Spielplatz: das Hubertus Wald Kinderreich.

Naturerlebnis via Hightech

Studio Drift in Hamburg: "In 20 Steps"
Wohltuender Flow: “In 20 Steps” lädt zum Mitschwingen ein
Studio Drift: Moments of Connection
Gläserne Flügel, ständig in Bewegung: Studio Drift in Hamburg

“Drift: Moments of Connection” heißt die Ausstellung des niederländischen Studios im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, und bei dieser Connection geht es um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Mit minutiös ausgetüftelten, technisch in ungeheurer Akribie umgesetzten Kunstinstallationen machen Lonneke Gordijn und Ralph Nauta Prozesse aus der Natur künstlerisch erfahrbar. Wenn Seidenblüten viele Meter durch das Treppenhaus des Museums hinabfallen und sich dabei mit den Bewegungsabläufen der Nyktinastie öffnen und schließen, dank derer Blüten sich nachts zum eigenen Schutz zufalten können – dann entsteht der Eindruck eines wunderschönen Balletts zarter Objekte, dem sich vermutlich jeder und jede gern hingibt. Musik ist zu hören und taucht das Museumstreppenhaus zusammen mit dem langsamen Auf und Ab der Blüten in eine meditative Atmosphäre. Die Drift-Künstler haben mit bewundernswerter Genauigkeit hingeschaut und daran gearbeitet, die Blütenbewegungen exakt in einem textilen Material wiederzugeben. Der Effekt der Installation “Shylight” ist wunderhübsch, aber entsteht in Auge, Kopf oder Herz des Betrachters wirklich eine Verbindung zur Natur? Nur, weil sich zauberhafte Seidengebilde langsam entfalten und verschließen?

Natur ist in unseren Tagen nicht zu denken ohne das Thema ihrer Bedrohung. “Fragile Future II” heißt eine Serie von raumgreifenden Lichtskulpturen, bei denen Studio Drift echte, sogar handgepflückte Pusteblumen zum Leuchten bringt: mittels LEDs, die von modularen Bronzegerüsten getragen werden. Diese Gerüste sind filigran und kommen der Zartheit der Pusteblumen nicht ins Gehege; im Gegenteil: Ihre eckigen Strukturen nehmen geradezu ornamentalen Charakter an und ergänzen sich wunderbar sinnlich mit der ephemeren Flauschigkeit der Pusteblumen. Die Installation “Fragile Future II” macht Freude. “Das Projekt ist eine kritische und zugleich utopische Zukunftsvision unseres Planeten, in der zwei scheinbar gegensätzliche Entwicklungen eine Verbindung eingehen, um so gemeinsam zu überleben,” informiert uns der Wandtext. Wer möchte das abstreiten? Aber, Hand aufs Herz, wer sieht dieser Installation derartige Überlegungen an?

Mich persönlich überzeugt die dritte Installation am stärksten: “In 20 Steps” ist ein kinetisches, skelettartiges Gebilde aus Glasflügeln, das einen ganzen Ausstellungsraum einnimmt. Die Glasflügel bewegen sich in stetiger Bewegung auf und ab, in von hinten nach vorne gestaffelten Stufen, sodass der Eindruck einer abstrahierten Flugbewegung entsteht. Beim Beobachten beginnt man unwillkürlich mitzuschwingen; Assoziationen zu Prozessen aus der Tierwelt stellen sich ein, die immersiven, raumgreifenden Dimensionen ziehen mich in ihren Bann. Ein schönes Erlebnis, kein Zweifel.

Darf Kunst denn nicht von Können kommen, und ist Ornament wirklich ein Verbrechen?

"Shylights": Studio Drift in Hamburg
“Shylights”: Blüten, die im Treppenhaus des Museums für Kunst und Gerwerbe hinauf- und hinabschweben

Alles zauberhaft, alles fotogen, aber dennoch: Ich bin underwhelmed von der Schau des ungeheuer angesagten Studio Drift in Hamburg. Die Ästhetik stimmt, die Technik erfüllt maximale Anforderungen, die sinnlichen Effekte funktionieren. Aber der konzeptuelle Kunstanspruch, die postulierte Verbindung zwischen Mensch und Natur: Die sind hoch gegriffen und werden kaum eingelöst.

Das ist an sich kein Problem. Nichts spricht gegen dekorative Kunstinstallationen, die sich an ihrer eigenen bemerkenswerten Machart erfreuen. Aber das Staunen ist bei den Installationen des niederländischen Künstlerduos allzusehr Selbstzweck; worüber man staunt, wird nicht ganz klar: vielleicht über die technische Raffinesse des Gezeigten? Über die hinlänglich bekannte Poesie von Lichtern und Blüten? Die angebotenen Interpretationen scheinen übergestülpt, mentale Beteiligungen bei den Betrachtenden werden kaum provoziert. Die Ausstellung erlaubt Moments of Aesthetic Pleasure, zweifelsohne. Sie erlaubt tolle Fotos. Und sie erlaubt der Stadt Hamburg, sich mit Metropolen wie New York auf eine Stufe zu stellen, denn dort war das Studio Drift jüngst tätig. Das finale hanseatische Drift-Spektakel steht erst noch bevor: Am 28. April und drei darauffolgenden Abenden wird zum fünfjährigen Jubiläum der Elbphilharmonie ein Studio-Drift-animierter Vogelschwarm aus Drohnen um das Konzerthaus schweben.

Meditative Auszeit beim Studio Drift in Hamburg

Teekeramik Takashi Endoh
Immer gut, so eine kleine Auszeit. Ich persönlich brauche dafür nur etwas Tee. Davon mehr im nächsten Blogpost

Die Welt reißt sich um die Installationen des Studio Drift. Meine eigenen Vorbehalte mögen nach Kultursnobismus klingen, nach intellektuellem Gemecker an einer Spektakelkunst, die viele Menschen glücklich macht. Nicht jede und nicht jeder will komplexe Kunst. Gleichzeitig würde ich auf keinen Fall behaupten, man solle sich die Ausstellung des Studio Drift in Hamburg lieber sparen. Sie ermöglicht ein Abtauchen in eine sinnliche Dimension jenseits der Alltagswelt. Ein Entspannen, Fokussieren, Durchatmen. Ganz, wie es Museumsdirektorin Tulga Beyerle in ihrem Geleittext zur Ausstellung formuliert: “In einer Welt der Gegensätze und Herausforderungen erlauben die Arbeiten von Drift eine Pause, einen Moment des Friedens, des Innehaltens, um voller Staunen den Bewegungen oder dem stillen Leuchten der Installationen zu folgen.” Eine meditative Auszeit also – zumindest für ein paar Augenblicke. Ein vollmundiger Genuss, so lange er währt, dann aber blass im Abgang. Zum Glück bleiben die Fotos.

STUDIO DRIFT IN HAMBURG

Noch bis zum 8. 5. 2022 ist die Ausstellung “Drift: Moments of Connection” im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen. Am 28. 4. hat die Open-Air-Lichtinstallation “Breaking Waves” Premiere, die das Studio Drift zum 5. Jubiläum der Elbphilharmonie entwickelt hat. Informationen dazu gibt es hier.