Zuletzt aktualisiert am 9. Oktober 2021 um 15:28
Eine Fake-Insel, deren künstlicher Vulkan schon seit dem 18. Jahrhundert Feuer speit. Eine geheimnisvolle Ritualstätte aus der Jungsteinzeit. Häuser, die vor hundert Jahren in wilden Farben bemalt wurden, und eine Art Märchenbau: Wer Sachsen-Anhalt mit Kindern entdecken will, findet verrückte Kultur, soviel das Herz begehrt.
1. DIE INSEL STEIN IM WÖRLITZER PARK
Der Fake-Vulkan aus dem 18. Jahrhundert
Es ist nicht wahr. Beziehungsweise: Es kann nicht wahr sein. Eine Miniaturinsel von Lummerland-Größe, garniert mit einem künstlichen Vulkan, erbaut von einem bedeutenden deutschen Fürsten am Ende des 18. Jahrhunderts. Auf einem der Felsvorsprünge dieser Insel: eine im Verhältnis zur Landschaft seltsam große klassizistische Villa. War Fürst Franz von Anhalt-Dessau einer, der den Disneyworld-Traum vom Cinderellaschloss 250 Jahre zu früh träumte?
Im Gartenreich des Aufklärers Fürst Franz
Das ist natürlich eine vollkommen unsachgemäße Frage. Der 1740 geborene und 1817 verstorbene Fürst Franz war Aufklärer durch und durch. Zum Wohle seiner Untertanen modernisierte er sein kleines Fürstentum, verwandelte große Teile zur Förderung der Landwirtschaft in das heute zum UNESCO-Welterbe zählende Dessau-Wörlitzer Gartenreich und legte nicht zuletzt den Wörlitzer Landschaftspark an. Dieser Park war als Bildungslandschaft gedacht, mit der Fürst Franz den kulturellen Horizont seines Volks erweitern wollte – und gleichzeitig den aufklärerischen Toleranzgedanken umsetzte.
So ließ er im Wörlitzer Park eine Synagoge errichten und eine Kirche restaurieren. Zusammen mit seinem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff plante er ein neogotisches Haus, in dem jeder englische Gespensterfilm spielen könnte. Es gab antikische Bauten und schließlich die Insel Stein mit dem künstlichen Vulkan. Der sollte den Bewohnern von Anhalt-Dessau, die nur in den seltensten Fällen bis Italien kamen, einen Eindruck vermitteln von der Wirkung des Vesuvs, dessen Ausbruch Fürst Franz bei einer seiner Reisen beigewohnt hatte. Das rote Häuschen namens Villa Hamilton war eine Hommage an Sir William Hamilton, den britischen Gesandten in Neapel, und brachte gleich noch einen Hauch englischen Klassizismus auf die künstliche Insel.
Ein anspruchsvoller Vorläufer des Freizeitparks?
Meine Tochter und ich streifen entzückt und bestens amüsiert durch künstliche Grotten, die mal den Blick in den Park freigeben, mal von mystischen Gestalten und diffusem gelbem Licht erfüllt sind. Wir klettern am Vulkan herum und entdecken ein kleines Amphitheater auf der winzigen Insel.
Der Wörlizter Vulkan, so lesen wir, ließ sich sogar zünden und wird auch heute gelegentlich zum Ausbruch gebracht. Bei aller aufklärerischen Bildungsbeflissenheit hat dieses Inselchen definitiv seinen Spaß am Spektakel. Ein verrückter Mix, zumindest aus heutiger Perspektive: Ein historischer Ort der Hochkultur praktiziert. Effekte, die für uns einen freizeitparkartigen Fake-Appeal haben. Die alten Aufklärer hätten das anders gesehen. Eine gewisse Vorwegnahme des Themenparkkonzepts kann man ihnen trotzdem nicht absprechen.
2. DAS RINGHEILIGTUM PÖMMELTE
War das deutsche Stonehenge aus Holz?
Ich hatte davon gelesen, jetzt steht es hier am Wegesrand, bescheiden ausgeschildert: das Ringheiligtum Pömmelte. Das deutsche Stonehenge? Aber Steine wären möglicherweise stehen geblieben. Das Ringheiligtum Pömmelte errichteten die Menschen vor etwa 4300 Jahren aus Holz. Nach archäologischen Grabungen hat man es rekonstruiert und im Jahr 2016 für Besucher eröffnet.
Pömmelte liegt ein Stückchen südlich von Magdeburg auf einem Feld. Als wir ankommen, steht noch kein Auto auf dem Parkplatz, alles ist ruhig, Fliegen summen in der Sonne, und wir wandern durch sieben Ringe aus Holzpalisaden hindurch. Ein paar von ihnen tragen symbolträchtige Schnitzereien und sind bemalt in Rot, Schwarz und Ocker. Der Boden wurde teils in Wällen, teils in Gräben angelegt. Leuchtend rote Tore sind gemäß astronomischer Gesetzmäßigkeiten angeordnet.
Prähistorische Rätsel in Sachsen-Anhalt mit Kindern
Wir klettern auf einen Aussichtsturm und schauen auf die Kreisanlage herab, die die Menschen der Jungsteinzeit als Ritualstätte verwendeten. Wir sind ein wenig überrumpelt von den prähistorischen Ornamenten, über die wir so wenig wissen, dass sie uns fremder anmuten als manche Entdeckungen in weit entfernten Ländern. Hier und da begegnen wir Holzschädeln, unheimlich und starr in hohe Palisaden geschnitzt. Der Wind der Geschichte weht uns auf ganz seltsame Weise an. Was trieben sie hier, unsere Vorfahren?
Wir fahren mit starken Eindrücken und vielen offenen Fragen weg. Wenn man länger hier wäre in Sachsen Anhalt, dann könnte man sich gut ein wenig in die prähistorischen Sehenswürdigkeiten der Gegend vertiefen, die unter dem Namen “Himmelswege” zusammengefasst werden. Doch der Abstecher lohnt sich auch für Schmalspurbesuche wie unseren, wenn man in Sachsen-Anhalt mit Kindern unterwegs ist – selbst dann, wenn diese Kinder noch klein sind. Das Ringheiligtum Pömmelte hinterlässt Bilder im Kopf, die man so schnell nicht vergisst und die in der Lage sind, die Phantasie nachhaltig anzuregen. Profunderes Wissen über die Ringanlage vermittelt übrigens der Familienreiseblog family4travel.
3. BUNTE BAUTEN IN MAGDEBURG
Bruno Taut bringt wilde Farbe in die Otto-Richter-Straße
Unser Sachsen-Anhalt-Trip steht im Zeichen des Bauhaus. Schon bevor sich die legendäre Kunstschule 1925 im nahegelegenen Dessau ansiedelte, begann man in Magdeburg, auf moderne Weise zu bauen. 1921 hatte die Stadt an der Elbe den avantgardistischen Architekten Bruno Taut zum Stadtbaurat ernannt, und Taut brachte Luft, Licht und Farbe in die Magdeburger Wohnverhältnisse.
Ein unkompliziertes und verrücktes Architekturerlebnis
Die Farben, die er der westlich der Innenstadt gelegenenen Wohnsiedlung in der Otto-Richter-Straße Anfang der 1920-er Jahre zusammen mit seinem Kollegen Carl Krayl verpasste, sind noch heute, rund hundert Jahre nach ihrem ersten Auftrag, der Hammer.
Wenn Taut sagte “Farbe ist Lebensfreude”, dann meinte er keine diskreten Töne. Taut und Krayl strichen die Häuser in Zitronengelb, Knallblau und Türkis, in Ochsenblutrot und Schwarz. Sie schmückten sie mit farbigen Blitzen und Mustern wie aus einem Kinderbaukasten. Das Ensemble mutet an wie eine expressionistische Filmkulisse. Man muss sie gesehen haben, muss einfach nur mal die Otto-Richter-Straße entlanglaufen. Unkomplizierter und verrückter geht Architekturtourismus mit Kindern kaum.
Hundertwasser in Magdeburg
Auch lange nach der Bauhaus-Zeit blieb Magdeburg bunten Bauten gegenüber aufgeschlossen. 2005 wurde in der Innenstadt die Grüne Zitadelle fertiggestellt: einer der unverkennbaren exzentrischen Bauten des österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser.
Hundertwasser erlebte die Realisierung seines Magdeburger Entwurfs zwar nicht mehr mit, doch die rosafarbene Grüne Zitadelle erzählt ohne Worte viel von den Ideen des Künstlers, der den Menschen ein märchenhaftes Leben zwischen Farben, Pflanzen, Ornamenten, verspielten Säulen, goldenen Kuppeln sowie organisch verschlungenen Wänden und Höfen wünschte. Meine Tochter postet ein Bild des Baus auf Instagram und bekommt umgehend Feedback. Fazit: Hundertwasser steht hoch im Kurs bei den Teenagern des 21. Jahrhunderts
MADEMOISELLE CUPCAKE: Unser Cafétipp in Sachsen-Anhalt mit Kindern
Wer sich in Magdeburg bunte Bauten anschaut, sollte das Farberlebnis unbedingt mit passenden Törtchen abrunden. Dringend zu empfehlen ist zu diesem Zweck ein Besuch bei Mademoiselle Cupcake in der Magdeburger Innenstadt, nur knappe zehn Gehminuten von der Grünen Zitadelle entfernt.
Das Backwerk bei Mademoiselle Cupcake ist optisch mindestens ebenso märchenhaft wie Hundertwassers Bauwerk und geschmacklich absolute Extraklasse. Allein für die Aromen der verschiedenen Baisers würde ich wieder nach Magdeburg fahren. Eine beachtliche Anzahl der Törtchen ist vegan, und in einigen steckt sogar eine kleine Phiole, die man vor dem Verspeisen herauszieht, um frische Sauce über dem Gebäck zu haben. Mademoiselle Cupcake ist ein kreatives kulinarisches Highlight für den Trip nach Sachsen-Anhalt mit Kindern.
2 Comments
Rösslix
Der Wörlitzer Park ist wirklich eine Reise wert.
Als Geocacher kribbelte es in den Fingern, einen Reiseführer, welcher an jeder Station eine Frage aufwirft und in wenigen Sätzen eine kurze Erklärung samt passender Lösung gibt, zu erstellen.
Damit lohnt es sich, immer wenn der Dessauer Marsch erklingt, einen Blick auf das Smartphone zu werfen und sich kurzweilig durch den Park führen zu lassen.
Maria-Bettina Eich
Danke für den Tipp – klingt spannend.
Herzlich,
Maria