Zuletzt aktualisiert am 29. März 2024 um 21:34
Das große Kind will Hauptstädte bereisen, das kleine findet Amerika insgesamt spannend, die Eltern sind der Meinung, einmal im Leben Washington, DC wäre keine schlechte Sache. Also planen wir am Anfang unserer Capital-Region-Reise drei Nächte in der Hauptstadt der USA. Wir sehen nur einen Teil von dem, was interessant ist. Und nehmen trotzdem sehr nachhaltige Eindrücke mit.
Sonntagsmorgens in der Hauptstadt der USA
Wir fliegen an einem Samstag von Frankfurt nach Washington, suchen die erstbeste Pizzeria neben dem Hotel auf und fallen ins Bett. Am nächsten Morgen tun wir vom Hotel die ersten Schritte in Richtung Innenstadt und laufen am NASA-Headquarter vorbei. In diesem Moment realisieren wir, dass wir uns mitten im Schaltzentrum der Macht befinden.
Die Macht allerdings hat an diesem sonnigen Sonntag ein sehr heiteres Gesicht. Wir gelangen zur National Mall, einer gigantischen grünen Promenade, die sich durch das Zentrum der Stadt zieht. Rechts von uns steht das Kapitol, links spielen mehrere Grüppchen Baseball in der Sonne. Der Anblick ist perfekt amerikanisch, zumal im Hintergrund das Washington Monument in den Himmel ragt. Gleichzeitig entdramatisieren die relaxte Stimmung und die Nutzung der Mall zu Freizeitzwecken das nationale Pathos des riesigen Obelisken ein wenig. Dass die Mall zum Mittag hin gesäumt wird von bunten Food Trucks, verstärkt unseren ersten Eindruck: Man scheint die eindrucksvolle urbane Anlage dieser Kapitale nicht wie ein Museum wahrzunehmen, sondern eher als einen städtischen Lebensraum zu genießen.
Eine Mondscheintour durch die Architektur der Macht
Sobald man anfängt, in Büchern und im Internet über die Sehenswürdigkeiten von Washington zu lesen, wird man mit einer Fülle von Nationalmonumenten konfrontiert. Von einigen hatte ich gehört, vor allem vom Lincoln Memorial (siehe Foto ganz oben) hat so ziemlich jeder Bilder gesehen; dass es jedoch für die unterschiedlichsten Präsidenten und Gruppen von Kriegsveteranen jeweils eigene Denkmäler gibt, war mir nicht bewusst. Und ich war auch nicht der Meinung, dass wir sie uns alle anschauen müssten. Ein bisschen Geschichte wäre zwar ganz gut, aber die volle Dosis des amerikanischen Patriotismus brauchten weder unsere Töchter noch wir.
Dachte ich. Und dann buchte ich eine Tour. “Washington by Moonlight” wurde im Internet von verschiedenen Veranstaltern angeboten: Stadtrundfahrten mit Kapitol und Weißem Haus, und die Nationalmonumente waren halt auch dabei. Im Nachhinein sage nicht nur ich: Was für ein Glück, dass wir die nicht verpasst haben.
Wir kaufen Tickets für eine Abendfahrt im Minibus bei Signature Tours – online; schon von Deutschland aus. Obwohl uns der klimatisierte Bus direkt am Hotel abholt, sind unsere Töchter etwas entsetzt, dass wir ihnen eine Sightseeing-Tour von drei Stunden zumuten. Dann jedoch nimmt unser Guide Duane das Mikro in die Hand: ein cooler, humorvoller Typ, der die Leute persönlich anspricht und von allen 25 Teilnehmern wissen will, woher sie kommen. Fast alle sind aus den USA. Duane ist begeistert von Washington und weiß ungeheuer viel über die Stadt. Unsere Töchter können sich der allgemeinen guten Stimmung nicht entziehen und verlieren dank Duane für die Dauer unseres Amerika-Aufenthalts den Horror vor Führungen, denn die sind in diesem Land immer unterhaltsam.
Beim Kapitol ist der Himmel noch relativ hell, das Weiße Haus ist in ein blaues Zwielicht getaucht. In dem sieht seine Nordseite, von der aus wir es betrachten, eher behaglich als imposant aus.
Amerikanische Sieger
Als wir zu den National Monuments kommen, ist es dunkel. Diese Monumente sind nicht einfach Denkmäler. Sie sind in die Landschaft gesetzte Anlagen, wie wir sie in Europa überhaupt nicht kennen. Sie erschließen sich, indem man durch sie hindurchgeht.
Unser erstes ist das National World War II Memorial. Wie es bei Tag aussieht, werde ich vielleicht nie erfahren; bei Nacht ist es sehr eindrucksvoll. Wir betreten die Anlage durch einen Triumphbogen. In der Mitte liegt ein ovales Becken mit angeleuchteten Springbrunnen; zu seinen Seiten, in Halbkreisen angeordnet, für jeden Bundesstaat eine Granitsäule mit Eisenkranz. Der ganze Entwurf ist auf eine traditionelle Weise heroisch, die uns irritieren würde, wenn die Dunkelheit, die kunstvolle Beleuchtung und das laute Plätschern der Wasserspiele uns nicht in einen eigenwilligen Rausch versetzen würde. Der zugehörige Freedom Wall thematisiert die grausame Seite des Zweiten Weltkriegs. Ihn schmücken über 4000 goldene Sterne: einer für jeweils hundert amerikanische Gefallene.
Dem Präsidenten, der die USA durch den Zweiten Weltkrieg führte, ist eine der bemerkenswertesten Gedenkstätten gewidmet. Das Franklin Delano Roosevelt Memorial entpuppt sich als ein kleiner Landschaftsparcours durch vier steinerne Outdoor-“Räume” mit Wasserfällen, die mittels eingemeißelter Zitate und Bronzeskulpturen von den vier Terms der Präsidentschaft Roosevelts erzählen. Duane erläutert die einzelnen Bilder und Symbole, und ich stelle fest, dass ich beschämend wenig über Roosevelt weiß. Allerdings bin ich beeindruckt von der geschickten Choreographie, mit der der Besucher hier durch eine große amerikanische Biographie geleitet wird. Die Verbindung von informativen Textelementen, emotionalen Darstellungen und der sinnlichen Wirkung von Stein und Wasser, die auch Sehbehinderte ansprechen möchte, ist enorm. Diese Form der Gedenkarchitektur haben die Amerikaner erfunden.
Amerikanische Krieger
Roosevelt wird auf seinem Memorial mit den Worten “I hate war” zitiert, und auch die Sterne für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs lassen selbst dort, wo Amerika seine Siege feiert, keinen Zweifel an der Grausamkeit des Krieges. Die ist denn auch das Thema der Gedenkstätten für den Koreakrieg einerseits, den Vietnamkrieg andererseits. Bei beiden tritt der Heroismus in den Hintergrund.
Das Korean War Veterans Memorial zeigt eine erschütternde, höchst realistische Gruppe überlebensgroßer Skulpturen von Soldaten in voller Montur. Sie schlagen sich durch das gut gepflegte Gras ihres Washingtoner Rasens, als wäre er unwirtliches Gelände, und ihre Gesichter sprechen von der Last, die diese Soldaten tragen.
Ergreifend finden wir das Vietnam Veterans Memorial. Sein bedeutendstes Element ist der Memorial Wall: eine raumgreifende, in die Landschaft gebaute Mauer, auf der die Namen der über 58000 im Vietnamkrieg getöteten Soldaten zu lesen sind. Die Oberfläche spiegelt, sodass man beim Lesen der Namen die Reflektion seines eigenen Gesichts sieht.
Wir sind sehr müde, als der Bus uns wieder beim Hotel abliefert. Immerhin spüren wir noch den Jetlag. Monate nach der Reise werden wir uns nicht mehr an all die Details der einzelnen Memorials erinnern. Aber wir behalten eine Menge Bilder im Kopf – und einen tiefen Eindruck von einem emotionalen Patriotismus, den wir zwar nicht nachvollziehen können, von dem wir bei unserer nächtlichen Tour aber eine gewisse Ahnung bekommen haben. Ich bin froh, dass meine Töchter mit 13 und 16 alt genug sind, um diese Erfahrung ähnlich aufzunehmen wie wir.
Museen. Und Essen
Nach unserer geschichtsträchtigen Stadttour sind wir so angefüllt mit Eindrücken, dass wir nur noch wenig Energie für weiteres Washington-Sightseeing aufbringen können. Das ist ein Jammer, denn es hätte noch viel zu sehen gegeben: das Kapitol von innen etwa – allerdings nicht das Weiße Haus, das ist seit dem 11. September 2001 nur noch für US-Amerikaner zugänglich. Außerdem hat Washington eine unglaubliche Menge von Museen zu bieten, darunter viele kinder- und teenagergeeignete. Beispielsweise ein Spionagemuseum, ein Raumfahrtmuseum, eins über Medien. In Washington sitzt die Smithsonian Institution, eine Stiftung, die 19 amerikanische Museen betreibt, die meisten davon in der Hauptstadt – und alle mit freiem Eintritt. Im bemerkenswert gut besuchten National Museum of American History bewundern wir die Amtseinführungkleider der First Ladys und viele andere Americana, hätten uns aber etwas mehr Theorie und etwas weniger Entertainment gewünscht. Wir schauen die neuen Porträts der Obamas in der National Portrait Gallery an. Ich schleppe meine Familie ins hervorragende American Art Museum und würde am liebsten so gut wie alle Smithsonian-Kunstmuseen sehen, aber selbst ich bin irgendwann erschöpft.
Vielleicht kommen wir mal wieder. Falls ja, wird China Chilcano daran nicht unschuldig sein. In diesem Restaurant haben wir eine unserer grandiosesten Mahlzeiten der letzten Jahre zu uns genommen. Außerdem ist die Einrichtung fantastisch.
Das kulinarische Konzept versteht sich als peruanisch-chinesisch-japanisches Crossover: eine Mischung, die nicht abwegig ist, denn die vielen asiatischen Einwanderer haben die peruanische Küche stark beeinflusst.
Auf der Karte stehen kleine Gerichte, von denen man in der Regel mehrere bestellt – das Konzept und die Speisen werden uns von unserem extrem aufmerksamen Kellner erklärt. Wir beginnen, uns wieder an die amerikanische Freundlichkeit zu gewöhnen, und ordern überraschende Dim Sum und bestechende Ceviche. Ceviche ist ein peruanisches Fischgericht, das gewisse Ähnlichkeiten zu Sashimi aufweist und das wir bisher nicht kannten. Das China Chilcano lässt uns auf hohem Niveau einsteigen. Jeder Bissen macht Spaß; die frischen und zitronigen Aromen habe ich auch nach einigen Monaten noch nicht vergessen.
Unsere Kinder sind keine einfachen Esser, aber in diesem Restaurant entwickeln sie eine ungekannte Experimentierfreude. Manche Gerichte sind etwas scharf, aber wer seins nicht mag, gibt es an ein anderes Familienmitglied weiter und bestellt etwas Neues: Das ist der Vorteil an einem Restaurant, das auf viele kleine Gänge setzt. Hinter dem Konzept steht der Küchenchef José Andrés, der allerdings nicht selbst vor Ort kocht, sondern eine Reihe amerikanischer Restaurants betreibt.
Auch das Design des China Chilcano ist fantastisch. Ein Mural mit einem lateinamerikanisch inspirierten Porträt beherrscht den Raum, die Farben sind warm, die Sitzecken gemütlich, erleuchtet wird das Ganze von exzentrischen Lampen und bunten Röhren. Nicht minder großartig sehen die Speisen aus. Mein optisches Highlight sind drei auf einem Holzspieß angerichtete Kartoffeln von unterschiedlichem Farbton, die aufrecht serviert werden. Eine Kartoffelskulptur.
Unseren Töchtern gefallen insbesondere die Waschräume. Dort liegen bunte Kreiden aus, mit denen man auf die Holzwände malen und schreiben kann. Finde ich auch toll. Vor allem, als ich direkt untereinander die zwei Inschriften “Trump sucks” und “I love my mom” lese. Die Mutter derjenigen, die das geschrieben hat, kann sich zurücklehnen. Erziehung geglückt.
2 Comments
Paula Görgen
Liebe Maria-Bettina,
im ersten Moment dachte ich: Was? Nur drei Tage nach Amerika und wieder zurück? Und dann wurde mir klar, dass es vermutlich gar nicht mehr so eine krasse Entfernung ist. Außer vielleicht ein etwas längerer Flug (ggf. auch ein paar Euro teurer) unterscheidet sich ein Kurztrip in die Staaten nicht so viel wie ein Wochenende in einer europäischen Hauptstadt.
Viele Grüße
Paula
Maria-Bettina Eich
Hallo, Paula,
da habe ich mich in meinem Washington-Artikel wohl wirklich ziemlich missverständlich ausgedrückt: Unsere drei Tage in Washington waren Teil eines zweiwöchigen Roadtrips: https://kindamtellerrand.de/usa-capital-region-ein-roadtrip-in-flaggen/
Danke für den Hinweis – das will ich im Text gleich mal präzisieren!
Viele Grüße,
Maria