Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2024 um 21:37

Mediterranes Instant-Glück: Nach ein paar Tagen Valencia kamen meine Tochter und ich mit einem maximalen Endorphin- und Inspirationslevel zurück ins graue deutsche Frühjahr. Wir mochten die Stadt rundherum. Und haben acht besondere Gründe für Valencia mit Teenagern.

1. Das Architekturspektakel des Santiago Calatrava

Santiago Calatrava ist ein Architektenstar, dessen skulpturale, auf hochästhetische Weise skelettartige Bauten nicht nur für Architekturfans beeindruckend sind, sondern auch unsere Teenager-Töchter gern in ihren Bann schlagen – wie etwa das Einkaufszentrum Oculus in New York City.

Calatrava selbst stammt aus Valencia, und um diese Tatsache öffentlichkeitswirksam zu feiern, hat seine Heimatstadt ihm ein einzigartiges Forum zur Verfügung gestellt: Zwischen 1998 und 2009 baute Santiago Calatrava auf einem großzügigen Gelände südlich von der Innenstadt die Ciudad de las Artes y las Ciencias, die Stadt der Künste und der Wissenschaften. Über dieses Architekturareal spaziert eine großer Anteil der Valencia-Touristinnen, was eines der Ziele war: Immerhin ist Spanien das Land des Bilbao-Effekts, in dem sich zeigte, zu was für einem wirkungsvollen Anziehungspunkt spektakuläre Architektur werden kann. Und spektakulär ist Calatravas valencianische Stadt in der Stadt zweifellos: mit einem Opernhaus, das wie ein außerirdisches Insekt auf einer der vielen Wasserflächen des Areals gelandet zu sein scheint. Mit der strahlend blauen Àgora, einer monumentalen Veranstaltungshalle. Mit einem Wissenschaftsmuseum, einem IMAX-Kino, einer hoch ins Blau des mediterranen Himmels aufragenden Brückenkonstruktion und kleineren Abrundungen des Ensembles.

Wir sind über alle Maßen geflasht. Das hier ist ein Parade-Parcours zum Thema “Was mit Architektur im 21. Jahrhundert alles möglich ist”. Es ist ein Spielplatz für die Augen und das räumliche Denken und überhaupt für die Sinne, denn das Wasser und die scharfen Kontraste von Licht und Schatten, damit auch von heiß und angenehm kühl, nehmen uns komplett gefangen. Außerdem ist Calatravas Ciudad de las Artes y las Ciencias eine machtvolle Abstraktion mediterraner Ästhetik. Nirgendwo außer am Mittelmeer könnte das Weiß dieser gekachelten Bauten, kontrastiert mit tiefem Blau und milden Wassernuancen, derart überzeugend in den strahlenden Himmel ragen, nirgendwo wäre es als derart einleuchtendes Monument für eine jahrhundertealte Geschichte weißen, formklaren Bauens unter heißer Sonne zu verstehen.

Für uns ist es toll hier, aber man darf auch die Kritik an Calatravas valencianischem Großprojekt nicht unterschlagen. Vielen Bürgern der Stadt erschien das Ganze zu teuer. Und auch Fans des Ensembles sind nicht mehr restlos begeistert, denn die Bauten bröckeln, benötigen viel Sanierung, und sind eher Liebhaberstücke fürs Auge als echte Architektur für echte Menschen.

2. Orangen

Ursprünglich kamen die Apfelsinen zwar mal aus China, aber seit Jahrhunderten ist Valencia ein Herz des europäischen Orangenanbaus. Das ist wunderbar für uns. Zum einen kulinarisch: An kein Detail unserer Valencia-Reise erinnert meine Tochter sich öfter als an unser alltägliches so köstliches wie kostengünstiges Frühstück im Mercado Colón (siehe unten) – mit frischgepresstem Orangensaft, der um Längen besser ist als das Getränk desselben Namens, das wir in Deutschland bekommen. Zum anderen sind die Orangenbäume, die in Valencia zur Stadtlandschaft gehören, für uns ein leicht exotischer Garant hundertprozentigen Urlaubsgefühls. Wann immer wir einen sehen, bekommen wir einen kleinen Glücksstich.

3. Erstaunlich erschwinglicher Hotel-Luxus

“Ich hab’ schon ein Hotel gefunden!” Kaum denken wir über eine Valencia-Reise nach, zeigt meine Tochter mir bereits einen hübschen Fund auf Pinterest: das Hospes Palau de la Mar, ein Designhotel mit fünf Sternen. Ich lächle müde. “Was glaubst du, wie reich wir sind?” Aber sie besteht auf weiterer Recherche. Und was finde ich im Internet? Preise, die nicht höher sind als die für ein mittelmäßiges Hotel in London. Der Trick ist wohl die Tatsache, dass wir antizyklisch reisen, nämlich ein gutes Stück vor der Saison. Wozu wir ohnehin nur raten können, denn wer braucht Sommerhitze in Valencia mit Teenagern, wenn er oder sie auch traumhafte Frühjahrswärme zu einer Zeit haben kann, bei der man bei uns noch im Mantel vor die Tür geht?

Das Hotel Hospes Palau de la Mar jedenfalls ist eine auf unprätentiöse Weise elegante Schönheit in zwei miteinander verbundenen Stadtpalais aus dem 19. Jahrhundert mit großzügigen, minimalistisch gestalteten Zimmern und einem traumhaften begrünten Innenhof, der als Outdoor-Lounge fungiert. Ins Stadtzentrum gelangen wir mühelos zu Fuß, ebenso wie in diverse andere schöne Ecken der Stadt.

4. Stadtlandschaft der Sonderklasse

“In dieser Stadt braucht man gar keinen Filter, hier sieht alles von selbst aus wie ein Filter,” so das in der Instagram-Welt aufgewachsene Kind. Großes Kompliment für Valencia. Genaugenommen für das Viertel Ensanche, in dessen Einzugsbereich unser Hotel liegt.

Angelegt im 19. Jahrhundert, wurde es in zeittypischer Eleganz bebaut: Respektgebietende Wohnhäuser mit einfallsreich gestalteten Fassaden und Balkonen säumen die Straßen, Plätze und Alleen sind mit Palmen und anderem südländischem Grün bewachsen, hier und da steht ein Juwel des valencianischen Jugendstils, der ein Thema für sich ist.

5. Valencianischer Jugendstil

Barcelona hat Gaudí und seine Schaffensgenossen, doch mit Valencia existiert ein zweites bedeutendes Zentrum des katalanischen Jugendstils. Der Modernismo valenciano ist verantwortlich für einige der schönsten architektonischen Highlights der Stadt: sehr südlich, sehr farbenfroh, weniger elegisch als der typische nordeuropäische Jugendstil, dafür mit Bezügen zur maurischen Architektur Südspaniens und gelegentlich zur antikischen Motivik. Zwei traumhafte Markthallen verdanken sich dem Modernismo: der trubelige Mercat Central und der beschaulichere Mercado Colón mit seinen kleinen Cafés und Restaurants, in dem wir täglich das oben erwähnte Frühstück verspeisen.

Nicht nur erwachsenen- und teenagergeeignet, sondern regelrecht kindgerecht ist Valencias Jugendstil-Bahnhof, die Estación del Norte. Mit ihren Türmen und Zinnen, den plakativen bunten Ornamenten an den Außenwänden und den märchenhaften Mosaiken im Inneren scheint der Bahnhof einer idealtypischen Spielzeuglandschaft entsprungen, nicht ganz von dieser Welt und trotzdem täglich im Hochbetrieb. Denn immerhin handelt es sich hier um den Hauptbahnhof einer Dreiviertelmillionenstadt.

6. Sandstrand an der Playa de la Malvarrosa

Valencia ist eine dieser glücklichen Städte, die über einen Meeresstrand verfügen. Er liegt ein wenig außerhalb des Zentrums, ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln schnell zu erreichen und auch dann schön, wenn die Badesaison noch weit entfernt ist.

Wir laufen durch das quirlige Hafenviertel El Cabanyal, bis sich das Meer zeigt, ziehen uns die Schuhe aus und spazieren ein wenig über den weichen Sand der Playa de la Malvarrosa. Kehren in einem nostalgischen Bierlokal unter Palmen ein, der Cevezeria Freiduria, essen einfachste und schmackhafteste Kartoffelgerichte und sind zufrieden.

7. Das Bistro des Starkochs

Meine Tochter zelebriert während unserer Valencia-Reise ihre ganz persönliche Spaghetti-Bolognese-Obsession. Es ist ihr völlig egal, dass wir in Spanien sind: Sie will zum Italiener. Es gibt Abende, an denen ich gefügig bin. Nicht immer zu meinem Nachteil, wir entdecken nette italienische Restaurants. Aber eigentlich sind meine kulinarischen Ansprüche bei dieser Reise nach Katalonien andere. Schließlich setze ich mich durch und reserviere für einen unserer Abende einen Tisch im Canalla Bistro. Es gehört zum gastronomischen Imperium des valencianischen Küchenstars Ricard Camarena.

Zunächst einmal ist das Ambiente so, dass man diesen Ort trotz gehobener Küchen-Ambitionen für einen Trip nach Valencia mit Teenagern empfehlen kann: Ein schmaler, dunkler, entspannter Raum mit Industrial-Charme und abgedrehten bunten Schweinsköpfen an den schwarzen Wänden. Die Karte gibt genug her, um Esserinnen unterschiedlichen Alters zufrieden zu machen: Basis sind spanische Ingredienzien, im Umgang damit lässt sich die Küche gern von Japan inspirieren. Meine Sobanudeln mit Kokos-Pilz-Carbonara sind höchste Umami-Wonne mit kreativer Note.

8. Spanische Wände

Alle Welt redet vom italienischen Design, von der spanischen Kreativität hingegen spricht man viel zu selten. Wir lassen uns einsaugen von einem Ort, der als Wunderwerk zeitgemäßem Retail-Designs gefeiert wird. Er heißt Rubio und ist im Grundsatz nichts anderes als ein Geschäft für Übungs-, Arbeits- und sonstige Schulhefte. Der Rubio-Store in Valencia ist allerdings gleichzeitig ein Highlight zeitgenössischen interaktiven Shop-Designs, mit einen spektakulären leuchtenden Farbtunnel und unterschiedlichen überraschenden Perspektiven und Elementen.

Meine Tochter ist sehr offen für derartige Kuriositäten, ich bin es ohnehin, und anders als sie erfreue ich mich mindestens genauso an dem buntwandigen Kuriosum, mit dem Valencia Jahrzehnte vor dem Design des Rubio-Ladens bewies, in was für farbenfrohe Spielereien es Wände aufzulösen vermag: Nicht weit von der Estación del Norte steht das jüdische Haus, ein exzentrisches Art-Déco-Juwel. Um 1930 wurde es durch den Architekten Juan Guardiola erbaut, der sich beim Entwurf seiner bunten Bilderbuchfassade hemmungslos in den Archiven der Architekturgeschichte und bei seiner eigenen Phantasie bediente, um die elegante katalanische Stadt um eine Häuserfront zu bereichern, die wunderbar als Filmkulisse eines Bollywood-Films über Pharaonen dienen könnte. Schon immer hat es mich fasziniert, wie die gebaute Umwelt das Menschenleben beeinflusst. In Valencia tut sie es auf enorm attraktive Weise.