Ich bin 53. Mein Leben dreht sich seit Jahrzehnten um Sprache. Mit der bin ich konservativ: Ich glaube an die Bedeutung grammatikalischer, orthographischer und semantischer Sorgfalt. Und an stilistische Schönheit. Gendersternchen passen da nicht gut hinein. Ich benutze sie trotzdem.
Und nein, ich bin keine Boomerin!
Ja, Gendersternchen stören den Lesefluss. Und sie sind das Gegenteil von stilistischer Eleganz. Dass ich so empfinde, werden jüngere Menschen großmütig meinem Alter zuschreiben: Schließlich habe ich es biographisch gerade haarscharf auf die richtige Seite des “Okay, Boomer”-Elektrozauns geschafft.
Ich persönlich sehe das Stolpern über Gendersternchen nicht so sehr als Alterserscheinug, sondern mehr als Resulatat meines Lebens als Leserin. Das hat seinen Anker in der Lektüre literarischer Texte. Natürlich ist man als Goethe- und Rilke-Fan nicht unbedingt prädestiniert für eine Gendersternchen-Begeisterung, aber das ist nicht alles. Es gibt ja auch ganz andere schriftstellerische Machwerke. Sogar im Deutschen lassen sich viele von hoher Coolness finden, die lakonisch und frei Schnauze agieren. (Einige der coolsten wurden dabei schon vor ein paar Jahrzehnten geschrieben und lassen einen guten Schwung der aktuellen deutschen Gegenwartsliteratur alt aussehen – da nur nebenbei.) Doch auch bei denen, würde ich sagen, sind Gendersternchen nicht wirklich stilfördernd. Ebensowenig wie bei Essays und journalistischen Texten. Völlig unrhythmisch und zu umständlich für pointierte Knappheit.
Diese Umständlichkeit hat mich lange Zeit entscheidend gegen die Sternchen eingenommen. Ich fand sie prätentiös, wie sie da mit demonstrativer Wokeness noch im kleinsten Text das Thema Geschlechtergleichheit ins Bewusstsein riefen – und die Ungleichheiten dadurch vielleicht sogar nocht zementierten. Ihre Künstlichkeit kam für meine Lesegewohnheiten affig herüber. Und außerdem vollkommen unnötig: Weiß nicht jede*r Idiot*in mit minimaler Lese- oder auch nur Spracherfahrung, dass mit “Schüler” sowohl weibliche als auch männliche Lernende und mit “Künstler” kreativ Schaffende beiderlei Geschlechts gemeint sind?
Das Gendersternchen als unvermeidbarer Eingriff
Aber das Hirn ist ein Work in Progress. Ich habe Töchter. Diese wiederum haben Freundinnen. Und gelegentlich unterhalte ich mich mit sehr viel jüngeren Kolleginnen. Dank dieser und anderer Personen musste ich sehr zu meinem Leidwesen feststellen, dass ich mir das mit dem Feminismus über lange Zeit zu einfach gemacht hatte. Meine so unreflektierte wie unangezweifelte Überzeugung, in Sachen Gleichberechtigung stünden wir auf einem ganz ordentlichen und zukunftsfähigen Level, ging von überholten Voraussetzungen aus. (Okay, Boomerin!) Der Feminismus ist auf einer anderen Ebene angekommen. Auf einer, auf der es nicht nur um politische und soziologische Bedingungen geht. Sondern von der aus tief hineingegriffen wird; auf der das Biologische, Blutige, Brutale des Frauseins Thema wird. Manches ist mir ein bisschen zu drastisch und zu effekthascherisch. Gelegentlich rolle ich mit meinen von Falten umkränzten Augen. Aber mir ist klar, dass der Feminismus noch viel tiefer in unser kollektives Mindset hineinreichen muss, als er es bislang getan hat.
Und da dieses kollektive Mindset natürlich auch ein Work in Progress ist und steter Tropfen bekanntlich den Stein höhlt, müssen wir jetzt auch ein bisschen rabiat mit der Sprache werden. Wenn wir so viele Gendersternchen gelesen haben, dass sie uns nicht mehr künstlich vorkommen, wenn wir eher über ihre Abwesenheit als über ihre Anwesenheit stolpern, dann hat sich tatsächlich etwas in unseren stets formbaren sprachsensiblen Hirnen umgebildet. Dass es dazu kommt, halte ich für unverzichtbar. Weshalb ich mittlerweile trotz des kurzen altersbedingten Erschauerns meiner schreibenden Hand Sternchen setze. Allerdings: Bei Texten mit einem Fokus auf Sprachschönheit finde ich es in stilistischer Hinsicht elegant und in feministischer Hinsicht vertretbar, weibliche und männliche Formen im Wechsel zu verwenden, anstatt den Stern zu bemühen.
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