Zuletzt aktualisiert am 3. Januar 2024 um 14:14
Tee ist nicht unbedingt das erste Heißgetränk, an das man denkt, wenn von Paris die Rede ist. Aber: Die Stadt steckt voller spannender Orte, die sich der Teekultur verschrieben haben. Das ist im Grunde nicht besonders verwunderlich, denn was kulinarische Raffinesse besitzt, findet in der französischen Kapitale garantiert ein Zuhause. Hier meine Tipps zum Thema Tee trinken in Paris.
Thé à la française: Mariage Frères
Wenn es eine französische Teekultur gibt, dann ist Mariage Frères ihre Galionsfigur: ein alteingesessenes Tee-Handelshaus, das heute einerseits mehr verschiedene Teesorten im Angebot hat als irgendein anderes Teegeschäft dieser Welt. Andererseits ist es zu einer sehr pariserischen Luxusmarke geworden, die sich erstklassig aufs Marketing versteht. In Paris existieren sechs Dépendancen des Unternehmens, das die Brüder Mariage 1854 gründeten. Sie waren dafür prädestiniert: Schon im 17. Jahrhundert, als das Getränk für Europa eine ganz neue Entdeckung war, reiste einer ihrer Vorfahren in Sachen Tee durch Asien. Seither zog sich der Tee durch die Familiengeschichte.
Das älteste Geschäft von Mariage Frères hat seinen Sitz im Marais. Innendrin sehen die Läden immer toll aus: Alt anmutende Holzregale, bestückt mit den typischen schwarzen Teedosen des Hauses, erstrecken sich über viele Quadratmeter Wand; verglaste Comptoirs machen das historische Flair komplett. Phantasievoll designte Dosen mit saisonalen Tee-Sondereditionen präsentieren sich dazwischen als stylische Must-Haves. Das nostalgische Mariage-Frères-Logo übrigens hat keine Probleme mit einem unbefangenen Rekurs auf koloniale Klischee-Motivik.
Rund 800 Tees aus 36 Anbauländern führt Marige Frères nach eigener Aussage. Möglicherweise könnte man auch nachzählen: Die gedruckte Liste liegt in den Geschäften aus und liest sich wie eine Weltreise in Teeblättern. Viele der erfolgreichsten Sorten sind hauseigene Mischungen, eine große Anzahl von ihnen aromatisiert – allerdings mit französischer Raffinesse und vorzugsweise natürlichen Zutaten. Die Franzosen verstehen sich aufs Parfümieren.
Die meisten Pariser Filialen von Mariage Frères verbinden Boutique und Salon de Thé. In letzteren kann man sich quer durch das Tee-Programm des Hauses hindurchprobieren, und nicht nur das: Sämtliche Gerichte auf der Speisekarte und in den Patisserie-Vitrinen sind mit Tee zubereitet – vom Salat über das Fleischgericht bis hin zum Törtchen. Weshalb es sich gleich doppelt lohnt, bei Mariage Frères einzukehren. Mein Oolong-Tee aus Georgien in Kombination mit einem durch Matchapulver aromatisierten Crevettensalat, zu dem Zitronentee-Eis serviert wird, ist schon ein ziemliches Erlebnis.
Ein Traum von Japan: Ogata
Ein anderes, in seiner Ästhetik fast erschütterndes Erlebnis ist Ogata. Ogata existiert erst seit 2022, und es befindet sich hinter einem eleganten Eingang in einer stillen Straße im Marais. Es ist nicht ganz einfach, zu sagen, was Ogata ist. Auf jeden Fall eine tiefe Verneigung vor Japan, die sich über ein ganzes Etablissement erstreckt. Eine Tee-Boutique geht in eine Verkaufsgalerie mit japanischem Kunsthandwerk über; außerdem gibt es ein Restaurant, eine Bar und schließlich den Salon de Thé namens Sabo.
Eine Treppe führt in ein Untergeschoss, dessen Teeraum man betritt wie ein Sanktuarium. Ich komme allein und werde an einen tresenartigen Tisch gebeten, an dem außer mir nur eine Japanerin sitzt. Sie unterhält sich mit der Französin, die, in einen Laborkittel gewandet, den Tee für die Gäste bereitet – in entspanntem Japanisch, das beiden Damen locker von den Lippen geht. Ansonsten: absolute Stille. Ich warte, was passiert, und das ist an diesem Ort eine sehr sinnvolle Beschäftigung. Hier ist Warten Zen. Ich schaue auf die klaren Linien des sparsam mit Naturmaterialien eingerichteten Raums. Betrachte die exakten Handbewegungen, mit denen die Teemeisterin – ich nehme an, um eine solche handelt es sich hier – meiner Tischnachbarin den Tee aufgießt. Ich blättere in der elegantesten Teekarte der westlichen Hemisphäre, die eine überschaubare Auswahl japanischer Sorten bereithält. Bestelle einen schwarzen Tee, weil die in Japan rar und oftmals eine aromatische Überraschung sind, zusammen mit einem Wagashi: einer saisonalen Süßigkeit.
Man schiebt mir ein Gläschen mit einem kalt aufgegossenen Tee hin, quasi als Aperitif. Von hinten nähert sich jemand mit einem hölzernen Schrein, in dem mir die heute frisch zur Auswahl stehenden Wagashi präsentiert werden – mit genauen Erklärungen. Allein deren Anblick ist unvergleichllich exquisit. Und der Tee, der mir in drei Aufgüssen serviert wird, zunächst mit meinem auserwählten Wagashi, später mit einem Tellerchen voller süßer schwarzer Bohnen, ist es ebenso.
Ich kann mir nur schwer einen Ort vorstellen, der den Traum der Westlerin von Japan so auf den Punkt bringt wie Ogata: durchästhetisiert, minimalistisch, meditativ. Shinichiro Ogata, der Designer und Tee-Liebhaber, der hinter dem Pariser Etablissement steht, fokussiert sich bei seinen Projekten in Japan und im Westen generell auf die zeitgemäße Umsetzung einer japanischen Ästhetik, die in Zen und Schlichtheit wurzelt. Es ist kein Wunder, dass ein Ort wie Ogata ausgerechnet in Paris entstanden ist: In der Hauptstadt der kulinarisch-künstlerischen Großnation Europas zelebriert man eine respektvolle Liebe zur kulinarisch-künstlerischen Großnation Asiens. Japanische Küche und Kultur sind in Paris ein großes Thema. So betreibt auch Toraya, ein japanweit renommiertes Traditionshaus für Wagashi, in Paris einen Salon de Thé – über den gibt es hier etwas zu lesen.
Eines meiner Lebensziele ist es ab jetzt, einmal eines der Desgustationsmenüs zu probieren, die Ogata in aromatischer Abstimmung mit diversen Teesorten anbietet. Im übrigen bin nicht nur ich Spross eines schwerblütigen Deutschlands von diesem Ort beeindruckt: Beim Teekaufen in der Boutique höre ich eine Französin einer anderen zuraunen: “C’est Ogata, tout est tellement raffiné.”
Raritäten aus Vietnam: Salon Trà-Art
Tee trinken in Paris kann auch dann ein ziemlicher Hochgenuss sein, wenn man keine Lust hat auf die Tempel des französischen Luxus oder der japanischen Eleganz. Bei Trà-Art im zehnten Arrondissement, das allgemein nicht arm ist an kreativen und interessanten Adressen, hat man sich auf Raritäten aus Vietnam spezialisiert: auf Tees, die großteils von jahrhundertealten Sträuchern stammen und aromatisch mit hintergründiger Wucht daherkommen. Was bei Trà-Art angeboten wird, stammt immer aus nachhaltigem Anbau in ökologisch und sozial verantwortungsvollen Kleinbetrieben. Man kann die Tees, die übrigens keineswegs unbezahlbar sind, kaufen oder auch vor Ort probieren. Ebenso wie hausgemachte Bubble Teas.
Im Salon Trà-Art sitzt es sich unprätentiös und entspannt; an den Wänden wird vietnamesische Kunst ausgestellt. Ich trinke einen in Vietnam hochgeschätzten Lotus-Tee, der die Aufgeschlossenheit meiner europäischen Geschmacksnerven stark herausfordert. Der Grüntee von uralten Bäumen allerdings, den ich nach Deutschland importiere, ist das pure Glück: smoky, ein bisschen süß und nicht so leicht zu vergessen.
Tee und Dampfbrötchen aus China: Boutique und Maison de Thé yam’Tcha
Eigentlich ist yam’Tcha ein Restaurant mit einem Michelin-Stern. Dessen kulinarisches Niveau verantwortet Adeline Grattard: eine französische Sterneköchin, verheiratet mit einem Tee-Sommelier aus Hongkong. Er bietet zu ihren Restaurantmenüs eine Teebegleitung an – nach dem Prinzip der Weinbegleitung zu den einzelnen Gängen. Während ich meiner Freundin erkläre, dass ich auf genau dieses Erlebnis spare, schleife ich sie in den kleinen Ableger des Restaurants: die Boutique und Maison de Thé yam’Tcha. Dort werden zum Tee gefüllte Dampfbrötchen namens Bao serviert. Im Gegensatz zu mir ist meine Freundin kreuz und quer durch Asien gereist, und sie erklärt mir, dass es diese Baos in den unterschiedlichsten Ländern unter unterschiedlichen Namen an quasi jeder Straßenecke gibt. Doch auch sie schmilzt dahin ob der Qualität der runden weichen Brötchen, die wir hier mitten in Paris, nicht weit von Les Halles, bekommen.
Die Füllungen der Baos sind wahlweise süß oder salzig, uns beglücken vor allem letztere: zum Beispiel die mit Comté-Käse, Zwiebeln und ein bisschen Curry. Oder die mit baskischem Schweinefleisch und Aubergine im Sichuan-Stil: franko-chinesische Fusion zum Niederknien. Dazu bestellen wir die beiden Sorten des “Thé du jour”, des Tages-Tees: einen blumigen Oolong und einen klassischen Pu’erh. Beide sind vollmundig und intensiv, können den Aromen der Baos problemlos die Waage halten. Auch einen Hongkong-Milchtee gibt es; den probiere ich beim nächsten Mal.
Denn ein nächstes Mal ist unbedingt geplant: Die Maison de Thé yam’Tcha wird künftig zu meinen festen kulinarischen Anlaufstellen in Paris gehören. Ein idealer Ort für eine unkomplizierte, delikate und überaus erschwingliche warme Mahlzeit, die wahlweise größer oder kleiner ausfallen kann – je nach Dampfbrötchen-Anzahl. Dazu ein wenig chinesische Teekultur, und das Ganze in einem so lässigen wie heimeligen Ambiente: an einer großen Holztheke oder niedrigen Tischen in einem höhlenartig mit Natursteinen ausgekleideten Raum voller Tee-Accessoires.
Ein bisschen Taiwan in Frankreich: Wistaria Paris
Wistaria ist eines der berühmtesten Teehäuser in Taiwans Hauptstadt Taipeh, legendär geworden vor allem als Treffpunkt von Künstlern, Intellektuellen und politischen Dissidenten, die Ende des 20. Jahrhunderts eine eine Rolle bei der Demokratisierung des Landes spielten.
Derartige politische Prozesse hat man in Frankreich längst hinter sich, dafür gab es hier bis zur Gründung von Wistaria Paris im Corona-Jahr 2021 keinen Ort für taiwanischen Tee. Den zu entdecken, lohnt sich auf jeden Fall. Taiwan ist eines der wichtigsten Teeproduktionsländer überhaupt, renommiert für seine hohen Qualitäten. Außerdem hat sich in Taiwan eine eigene Teekultur ausgebildet, bei der auch die Ästhetik eine wichtige Rolle spielt.
In deren Genuss kommt man bei Wistaria Paris. Über eine geräumige Fläche verteilen sich dunkle Tische, Stühle und einige weitere asiatische Möbel, hinter einem Tresen reihen sich Teedosen und Kessel. Diese Eisenessel sind eine Besonderheit: Mit dem Tee wird einer von ihnen samt Warmhalteplatte zum Tisch gebracht, aus dem sich die Gäste nach Belieben im eigenen Tempo Wasser in ihre kleinen Porzellankännchen füllen können.
Wer mit dieser chinesischen Zubereitungsmethode namens Gongfu Cha nicht vertraut ist, kann trotzdem entspannt bei Wistaria Tee trinken: Alles wird genau erklärt, wahlweise auf Französisch oder Englisch. Und dann passiert, was eben so passiert beim Teetrinken, nämlich nicht viel. Außer dass man zur Ruhe kommt, sich dem Geschmack der exzellenten Taiwan-Tees widmet und möglicherweise noch die eine oder andere Patisserie verspeist, die Wistaria in Paris backen lässt..
Der japanische Teeraum von Stararchitekt Kengo Kuma: Jugetsudo
In Tokio habe ich mal versucht, in einem Kengo-Kuma-Raum Tee zu trinken, bin aber gescheitert. Zum Glück jedoch gibt es Paris und dieses kleine Teegeschäft Jugetsudo im Quartier Latin, um dessen Einrichtung durch den Stararchitekten nicht allzu viele Personen wissen. Und auch nicht darum, dass es sich hierbei um Kengo Kumas erstes Projekt in Europa handelt.
Was, frage ich mich, hat es mit Jugetsudo auf sich, dass sie Kengo Kuma dafür gewinnen konnten, einen Teeraum für sie auszugestalten? Die Antwort kenne ich ziemlich schnell, nachdem ich mich in der kleinen Boutique umgeschaut und durch die kleine Teekarte hindurchgelesen gelesen habe: Jugetsudo ist ein japanisches Luxus-Teehaus, das zwar erst 1980 gegründet wurde, das jedoch aus einem altehrwürdigen Handel für Nori-Algen in Gourmetqualität erwachsen ist. Neben zwei Boutiquen in Tokio hat Jugetsudo eine in Übersee eröffnet: in Paris, wo sonst?
Deren Inneneinrichtung war die erste Arbeit, die Kengo Kuma in Europa realisiert hat. In dem intimen, schmalen Teegeschäft sitzt man an einer Theke unter unzähligen Bambusrohren. “Ich wollte einen Raum kreieren, der an eine Lichtung in einem Bambuswald erinnert”, sagt Kengo Kuma. “In diesem Wald atmet man eine andere Luft als in der gewöhnlichen Welt: Hier scheint ein anderes Licht als das übliche.” Kengo Kumas Ästhetik mit ihrer Naturverbundenheit und ihrer Vorliebe für meditativ-ruhige Räume wurzelt ebenso in japanischen Traditionen wie die Teekultur des Landes, von der man hier im Quartier Latin eine Ahnung bekommt: in Form einer kontemplativen Pause mit hervorragendem, individuell à la japonaise zubereiteten Tee. Ich wähle einen Shincha, einen ganz jungen Sencha, dazu kleine Kekse aus französischem Sablé-Teig, aromatisiert mit unterschiedlichen japanischen Tees. Nahrung und Inspiration für Körper, Geist und Sinne: perfekt.
Tee trinken in Paris und dabei lernen: die École du Thé von Palais des Thés
Das Unternehmen Palais des Thés mit seinen diversen Boutiquen in Frankreich und seinem hervorragenden Online-Shop gehört seit Jahren zu meinen regelmäßigen Go-to-Adressen für den Teekauf. Dieses Mal allerdings gehe ich einen Schritt weiter und besuche einen Workshop in der hauseigenen Teeschule: der École du Thé im zehnten Arrondissement von Paris. “Les cinq sens de la dégustation”, “Die fünf Sinne bei der Teeverkostung”, nennt sich mein zweistündiges Atelier, das ich sehr unkompliziert vorab online buche. Die Ateliers der École du Thé finden mit wenigen Ausnahmen auf Französisch statt, das sollte man wissen, jedoch sind keine perfekten Sprachkenntnisse vonnöten: Niemand wird zum Reden gezwungen, und wenn man in der Lage ist, die Basisinfos des Kurses zu verstehen, profitiert man sehr, denn ein wichtiger Fokus liegt hier auf dem Probieren von Tee.
Sobald ich die Teeschule betreten habe, vergeht die Zeit geschmeidig und genussvoll: Wir werden an puristisch gestaltete Verkostungstische gesetzt und fortwährend mit neuen Geschmacksnuancen in Teeschalen und mit den zugehörigen Informationen über das Erkennen und Einordnen von Tee-Aromen versorgt. Das geschieht durch eine Mischung aus Powerpoint-Folien und den Erklärungen unserer coolen und amüsanten Kursleiterin, einer Tee-Sommelière des Hauses. Am Ende dieses sanften Feuerwerks für die Geschmacksnerven trete ich sehr teadrunk und sehr zufrieden auf die Pariser Straßen hinaus. Manche sprechen vom Third Wave Tea, analog zum Third Wave Coffee, und davon, dass Paris eine seiner Hauptstädte ist. Falls jemand mich mal fragt: Ich unterschreibe das sofort. Und ich bin ziemlich sicher, dass die dritte Teewelle erst an ihrem Anfang steht.
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