Zuletzt aktualisiert am 17. April 2017 um 20:58
“Éducation anti-plage?”, raunt mir mein Mann ins Ohr: “Anti-Strand-Erziehung?” Auf Französisch, damit die Töchter es nicht verstehen. Mist. Ich habe es wohl etwas übertrieben. Dabei wollte ich doch nur ein Kind auf den Pfad der Reisetugend führen.
Es gibt Menschen, die halten es keinen halben Tag am Strand aus. Werden hibbelig, kribbelig, grantig und müssen weg, weiter, woandershin. Zu diesen Menschen gehören die drei älteren Mitglieder unserer Familie. Aber dann gibt es da noch eine Zehnjährige, die seit Jahren von etwas träumt, was sie nicht kennt und was sich in ihren Ohren magisch anhört: Strandurlaub mit Wasser, Sand, Eis und Sonnenschirmen. Ohne Wir-fahren-jetzt-dorthin- und Wir-wollen-uns-noch-etwas-anschauen-Programm.
Nicht zuletzt, um diesen Wünschen entgegenzukommen, fliegen wir für eine Woche nach Barcelona. Dort ist kein Mangel an Sonnenschirmen, wir mieten ein Appartement mit Pool-Zugang, und es gibt Stadtstrände. Drumherum eine Metropole mit vielen interessanten Dingen: ein fairer Kompromiss, wie wir finden.
Aber dann gehen wir noch einen Schritt weiter. In der Mitte unserer Barcelona-Reise nehmen wir uns für einen Tag einen Mietwagen und fahren nach Figueres, ins Teatre-Museu Dalí. Das ist nicht weit weg, deshalb haben wir genug Zeit, um noch ein bisschen die Costa Brava anzusehen. Unser Blick bleibt auf der Karte an einem Ortsnamen hängen, den jeder schon gelesen hat: Lloret de Mar. Ein Ort, von dem wir die Bestätigung unserer Vorurteile gegenüber dem klassischen Bade-Massentourismus erwarten. Eine Sorte Ort, an der wir noch nie waren. Für Mutter und Vater eine dieser Kuriositäten, die unter dem ethnologisch angehauchten Motto “Muss man sich mal anschauen” laufen.
Also machen wir auf unserem Rückweg von Figueres Station in Lloret de Mar. Und werden wahrlich nicht enttäuscht. Tiefer und tiefer fahren wir in ein Gedränge klotziger Bauten hinein, auf denen irgendwo über unzähligen Zimmerfenstern wohlklingende Hotelnamen in unbeholfenen Lettern angebracht sind. Was jetzt passiert, ist abzusehen: “Schau mal, so ist es, wenn man einen richtigen Strandurlaub macht” – der Holzhammer, mit dem wir versuchen, die jüngere Tochter auf den tugendhaften Pfad eines Individualtourismus mit eingeschränkter Strandnutzung festzunageln.
Mit jedem Meter wird die Szenerie heftiger, bis sie in einem “wurstmeister”-Imbiss und einer belgischen Kneipe namens “De Peetvader” kulminiert. Wir müssen nichts mehr sagen. Die Sonnenschirm-Träume des kleineren Kindes haben einen Grauschleier erhalten; das größere will sich an diesem peinlichen Ort nicht fotografieren lassen.
Und dann sitzen wir am Strand und finden uns auf einmal verdammt arrogant. Weil wir den Kindern ein Reiseziel, an dem andere glücklich sind, als Schreckensort respektive Kuriosität präsentieren. Weil wir irgendwo im Hinterkopf natürlich glauben, eine Form des Reisens, in der man keine künstliche Enklave für die eigenen Bedürfnisse, sondern fremde Welten sucht, sei irgendwie überlegen. Weil unsere Aufgeschlossenheit sehr selektiv ist.
Wir wollen trotzdem keine Reise nach Lloret de Mar buchen. Aber wir sind in dieser Stadt außer einer tristen Strandpromenade, passend überschattet von der einzigen Wolke unserer ganzen Spanienreise, leider auch unserem eigenen Snobismus begegnet. Und da Selbsterkenntnis bekanntlich der erste Schritt zur Besserung ist, sind uns gleich diverse Strände eingefallen, an denen wir es schön hatten. Zumindest, wenn wir nicht länger als zwei Stunden geblieben sind. Dream on, Tochter.
14 Comments
Eva
“Ein Akt der Selbstreflexion, der «ein Leben ändert», ist eine Bewegung der Emanzipation.” Prima Spruch, habe ich mal gelesen und mir eingeprägt. Dennoch sollten wir Individualreisende, so emanzipiert wir auch sind nicht auf andere herabschauen, die einen anderes Modell verfolgen. Ich habe mich dabei auch schon ertappt und angesprochen gefühlt. Klasse Artikel!
Maria-Bettina Eich
Liebe Eva,
danke – ja, uns wurde bei diesem Tag am Strand auf einmal ganz unwohl, als wir mit unseren eigenen unsympathischen Vorurteilen konfrontiert wurden. Da hält man sich für weltoffen, aber… ist es auch nur begrenzt. Immerhin ist man ja lernfähig!
Gruß,
Maria
Jenny
Du Yoda unter den Reisenden, du 😉 Sehr weise Erkenntnis, die wir uns alle hin und wieder in Erinnerung rufen sollten. Davon abgesehen finde ich es nicht verwerflich, Kindern zu erklären, warum genau wir diese Art des Urlaubs ablehnen. Das hat ja handfeste Umweltschutz-Gründe und ist nicht nur kulturelle Distinktion, jawollja.
LG
Jenny
Maria-Bettina Eich
Hallo, Jenny,
wenn man ihnen schön sachlich Umweltschutz-Gründe gegen derartiges Reisen erklärt, dann ist es ja gut. Aber wir selbst waren definitiv an besagtem Strand im Vorurteils-Modus und haben mit leichtem Schrecken festgestellt, dass bei uns zu viele reiseideologische Vorurteile im Hinterkopf mitlaufen – so viele, dass wir das arme Kind schon ganz generell gegen an sich völlig unschuldige Strände infiltrieren zu müssen glaubten. Jawollja!
Schönen Abend,
Maria
Katja
Das ist ein spannender Artikel, denn insgeheim ticken wir ach so freien und kreativen Reisenden ja auch ein bisschen in einer Schublade 😉
Ich finds cool, dass Du das thematisiert und noch besser, dass Ihr es auch angeschaut habt. Auch wenn es die wahrlich sehr dunkle Seite einer Medaille war. Immerhin gibts ja noch ein paar Stufen zum Licht und die kann man schon mal mitnehmen.
Als Kind war ich übrigens mal in Lorret. Ich war 9 und habe das Meer zum ersten Mal gesehen. Es war toll.
🙂
LG, Katja
Maria-Bettina Eich
Hallo, Katja,
das ist es ja, was wir uns dann auch gedacht haben – wenn Du das Meer zum ersten Mal siehst, zum ersten Mal in den Süden fährst, überhaupt sonst selten eine Reise machst, dann ist so ein Ort wie Lloret ein irres Erlebnis. Und wie unsere große Tochter meinte: Das Meer ist immer das Meer. Zum Glück gibt’s Strandurlaub natürlich wirklich in diversen Stufen, wie Du sagst.
Gruß,
Maria
Planet Hibbel
Ja, diesen Anflug von Arroganz kennen wir Individualreisenden wohl alle. Ich könnte mir so einen Urlaub auch null vorstellen, predige doch meinen Kindern aber auch immer irgendwas von Toleranz. Also: leben und leben lassen. Davon mal abgesehen, habe ich auf unserer Reise nach Bibione (italienische Adria) letztes Jahr zwischen Millionen von Sonnenschirmchen und Liegestühlen auch diverse kleine Vorteile feststellen können. Über den Tellerrand gucken ;). ist halt immer wichtig. In jeglicher Hinsicht. LG, Nadine
Maria-Bettina Eich
Hallo, Nadine,
tja, an den Tellerrand hab ich mit meinem schlechten Gewissen dann auch gedacht! Ich habe letztes Jahr Eure Bibione-Geschichten gelesen, und der Aspekt Bequemlichkeit, der da rüberkam, klang definitiv nicht ganz reizlos.
Gruß,
Maria
Anke von Heyl
Liebe Maria-Bettina,
gerade erst entdeckt, diesen schönen Artikel von dir. Ich schließe mich den Kommentaren hier an: das ist eine wunderbare Sache, wenn man seine Einstellungen immer mal wieder überprüft. Auch hinsichtlich der Dinge, die Kinder anders sehen, als man selber.
Was so einen Strandtag angeht, so muss ich gestehen, finde ich den schon auch gelegentlich ganz wunderbar. Man kommt doch anders runter, als wenn man unterwegs ist, Besichtigungen macht und den Tag taktet. Aber da wird euch eure Tochter bestimmt das ein oder andere Mal überzeugen 🙂
Barcelona? Hach, da will ich auch mal wieder hin!!!
Herzliche Grüße von Anke
Maria-Bettina Eich
Hallo, Anke,
mittlerweile glaube ich auch, dass wir in Sachen Strandglück noch was lernen können. Tja, und Barcelona: Nix wie (wieder) hin! Wir würden auch am liebsten gleich die nächste Reise buchen –
Herzliche Grüße,
Maria
Viermal Fernweh
Du hast es auf den Punkt gebracht. Des einen Glück ist des anderen Graus. Leben und Leben lassen und nicht bewerten, auch wenn es schwer fällt. Da müssen wir alle noch lernen. 🙂 Liebe Grüße, Ines
Maria-Bettina Eich
So ist es! Und wenn man sich dann (wie wir) bei den eigenen Vorurteilen ertappt, dann ist man sich unter Umständen kurz mal selbst ein Graus – das jedenfalls war unsere Erfahrung bei der ganzen Angelegenheit.
Alles Liebe, Maria
Anja
Ein großartiger Artikel – toll geschrieben 🙂
Bei mir und meinen Eltern war es immer genau umgekehrt: sie große faul-am-Strand-liegen-Fans und ich die mit den Hummeln im Hintern 😀 Am strand liegen meine Eltern immer noch gern, aber ich habe mittlerweile aufgehört mich drüber zu wundern. Meinen Sohn erziehe ich natürlich zu einem ordentlichen Individualreisenden 😉