Zuletzt aktualisiert am 16. Mai 2019 um 16:01
Mödlareuth ist ein sehr kleines Dorf, doch während der Jahre der deutschen Teilung trug es den Beinamen “Little Berlin”. Weil mitten durch das Dorf hindurch eine Mauer verlief, die es in einen westdeutschen und einen ostdeutschen Teil zerschnitt. Heute sind die Grenzanlagen von Mödlareuth ein Freilichtmuseum.
Irgendwo im Nirgendwo: Little Berlin
Mödlareuth liegt da, wo Bayern, Thüringen und Sachsen aufeinanderstoßen. Bei postkartenreifem Frühlingswetter parken wir auf dem Touristenparkplatz des Dörfchens und fühlen uns wie in den Kulissen eines absurden Theaterstücks. Zwischen der überschaubaren Menge von Bauernhäusern auf der Ostseite des Dorfs ragen blühende Bäume und ein strahlend weißer Kontrollturm hervor. Ein idyllischer kleiner Bach plätschert durch die Dorfmitte: der Tannbach. Er war mal die Grenze zwischen dem westlichen und dem östlichen Einflussbereich der globalen Machtpolitik. Auf beiden Seiten stehen bunt gestrichene Grenzpfähle auf der Wiese, hier und da finden sich rot-weiße Schranken, die Szenerie wirkt ein bisschen wie eine Modelleisenbahnanlage.
Die Mauer von Mödlareuth
Allerdings zieht sich durch das idyllische Grün eine Mauer. Bei unserem Besuch stahlt sie hell unter einem leuchtend blauen Himmel, aber der pittoreske Eindruck trügt. Diese 3,30 Meter hohe Betonmauer war ein Stück des Eisernen Vorhangs. Errichtet wurde sie 1966, drei Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer. Die Mödlareuther Mauer war das massivste und symbolträchtigste Element einer Grenzanlage, die die Bewohner des Dörfchens schon seit 1952 voneinander trennte. Zu diesem Zeitpunkt begann die DDR, die Demarkationslinien zwischen der östlichen und der westlichen Besatzungszone Deutschlands mit aufwendigen, brutalen Grenzanlagen zu versehen. Für Mödlareuth hatte das zur Folge, dass man die Verwandten und Nachbarn auf der anderen Seite des Flusses nun nicht mehr besuchen durfte; man konnte einander bei der landwirtschaftlichen Arbeit nicht mehr helfen; es war nicht einmal mehr erlaubt, durch die Zäune, die der Betonmauer vorausgingen, zu grüßen.
Stattdessen sah man auf der östlichen Seite Wachpersonal patrouillieren und musste sich daran gewöhnen, dass der bäuerliche Alltag von Wachttürmen observiert wurde. Auf der westlichen Seite erhielten die Mödlareuther viel Besuch: von interessierten Touristen, aber auch von hochrangigen politischen Persönlichkeiten. George Bush war da, Helmut Kohl sowieso.
Und hier soll der Eiserne Vorhang gewesen sein?
Das alles können wir uns nur schwer vorstellen, als wir die Vögel über dem stillen Mödlareuth zwitschern hören. Wie kann man einen so winzigen Ort teilen? 50 Einwohner hatte er in der Nachkriegszeit, 40 sind es heute. Wie kann ein so harmloses Gewässer wie der Tannbach zur Teil einer Grenze werden, die die Welt für Jahrzehnte in zwei Fronten teilte? Wir erfahren, dass dieser Bach schon 1810 als Grenze zwischen dem Königreich Bayern und dem Fürstentum Reuß fungierte, aber das hatte rein bürokratische Auswirkungen; das Alltagsleben der Dorfgemeinschaft blieb davon unberührt.
Im Empfangsgebäude des Deutsch-Deutschen Museums Mödlareuth sehen wir zunächst einen zwanzigminütigen Film. Den benötigen wir unbedingt, um auch nur ein gewisses Bild davon zu bekommen, wie es war, als Gänse an schwer befestigten Stacheldrahtzäunen vorbeigetrieben wurden und als bewaffnete Uniformierte dem Landleben eine verstörende politische Dimension hinzufügten.
Ein Museumstrakt vertieft, was wir im Film gehört und gesehen haben. Es geht um das Leben auf beiden Seiten der Grenze, um politische Hintergründe, um Überwachung und Flucht. Und es geht um die Grenzöffnung am 9. Dezember 1989, die von den Mödlareuthern festlich begangen wurde und die ein absurdes Kapitel deutsch-deutscher Teilungsgeschichte abschloss.
Als Mödlareuth zum Freilichtmuseum wurde
Im Sommer 1990 war es den Mödlareuthern eine Freude, beim Abriss der Mauer im zuzusehen. Ein Stückchen allerdings ließ man mit dem zugehörigen Beobachtungsturm zu Museumszwecken stehen, weitere Grenz- und Überwachungsanlagen aus anderen Gegenden kamen dazu und bilden jetzt das Freigelände des Museums.
Die gezeigten Grenzeinrichtungen – verschiedene Kontrolltürme etwa, Sperrzäune und eine Hundelaufanlage, die Fluchten verhindern sollte – werden durch kompakt betextete Infotafeln erläutert, wirken aber vor allem durch ihre Präsenz. Wer nicht dabei war, kann sich das Leben an der deutsch-deutschen Grenze wohl niemals wirklich vorstellen, aber ich wüsste keinen Ort, an dem unsere 14-jährige Tochter eine plastischere und konkretere Idee von der deutschen Teilung bekommen könnte als hier. Und auch wir Eltern, die zum Zeitpunkt der Maueröffnung bereits junge Erwachsene waren, haben einiges noch nicht gesehen und nicht gewusst, was wir hier in Mödlareuth erfahren. Für mich ist dieser Ort eines der besten Ziele für einen Geschichtsausflug mit größeren Kindern oder Teenagern, die ich in Deutschland kenne.
INFO: Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth
Wir haben Mödlareuth auf dem Weg von Baden-Württemberg nach Sachsen-Anhalt besucht, und tatsächlich bietet sich das Dorf für einen Zwischenstopp auf der Durchreise an, denn während es nicht allzu weit von der A9 entfernt ist, liegt kaum einer der Orte, die man üblicherweise so bereist, in der Nähe von Mödlareuth. Vom fränkischen Hof braucht man etwa eine Viertelstunde, vom sächsischen Plauen etwa eine halbe Autostunde, bis man da ist.
Das Deutsch-Deutsche Museum hat saisonal variierende Öffnungszeiten, die man über die Website problemlos in Erfahrung bringen kann. Der Eintritt beträgt 3,00 Euro; für Kinder ab sieben Jahren, Schüler und Stundenten liegt er bei 2,00 Euro.
5 Comments
Lena
Einer unserer ersten gemeinsamen Ausflüge ging nach Mödlareuth, als Martin mich zum ersten Mal in seine Heimat Thüringen mitgenommen hat. Wir sind ja so eine “Mischehe”. Unsere Jungs wissen natürlich, was es mit deutscher Teilung und der Wende auf sich hat, aber so ein plastisches Erlebnis wäre für sie auch mal sinnig.
Maria-Bettina Eich
Bestimmt keine schlechte Idee, wenn Ihr mal in der Gegend unterwegs seid – ich finde, der Anblick dieses Ortes und der ausgestellten Anlagen hat nochmal eine Qualität für sich, auch wenn man schon gut über die Geschichte informiert ist. Grüße!
Anna
Toller Beitrag und mir gefällt das Schild, dass man mitten in Deutschland steht auch ganz besonders! Grenzen sind sowieso etwas Abstraktes für mich.Da wird einfach irgendwo ein Strich gezogen und davor bzw. dahinter soll alles anders sein. Danke für deinen Beitrag!
Maria-Bettina Eich
Vielen Dank für Deinen Kommentar, es freut mich, dass Du den Beitrag gerne gelesen hast!
Herzlich,
Maria
R. Albrecht
Wahnsinn: habe zufällig den Namen “Gutenfürst” in den Medien gehört und es hat klick gemacht :-), meine Mutti ist 1946 von Leipzig über die noch sogenannte grüne Grenze mit mir (6 Jahre alt) und einem Koffer mit der Bahn in Richtung Nürnberg gefahren, um meine Tante in Mannheim zu besuchen !
Ein netter Bauer hat uns in der Frühe (dunkel) bis fast zum Bach geleitet, dann hatten wir’s geschafft 😉