Es ist hinlänglich bekannt, dass Dänemark eines der glücklichsten Länder der Welt ist. Ebenso bekannt ist die Tatsache, dass die Dänen eine der großen Designnationen unseres Globus sind. Ob das ursächlich zusammenhängt, mögen andere entscheiden. Unbestreitbar jedoch ist, dass uns das dänische Design auf unserem Trip nach Aarhus und Odense vielerorts sehr glücklich gemacht hat.
Olafur Eliassons Regenbogenperspektiven auf Aarhus

Paris hat den Eiffelturm, Aarhus hat den Regenbogen von Olafur Eliasson. 2011 installierte der dänisch-isländische Künstler auf dem Dach des Aros-Kunstmuseums seine begehbare Arbeit “Your rainbow panorama” – und auf einmal war die Hafenstadt am Kattegat nicht nur bunt, sondern sie wurde auch zu einem Fixpunkt auf der kulturellen Landkarte; Stichwort Bilbao-Effekt. Als Dänemarks zweitgrößte Stadt 2017 dann noch ein Jahr lang den Titel der Kulturhauptstadt Europas trug, wurde der internationalen Öffentlichkeit endgültig klar, dass hier, etwas ab vom Schuss in Jütland, ein Zentrum für wegweisende Architektur und kreative Urbanität entstanden war.
Als wir in Aarhus ankommen, ist der Himmel über der Stadt schwer. Doch aus dem Hotelfenster sehen wir ein Leuchten: Olafur Eliassons Regenbogen. Wir machen ein paar Fotos, wie es sich gehört. Und können auch danach unmöglich wegsehen von diesem Ring, der mit leicht extraterrestrischer Anmutung über der industriell geprägten Stadtlandschaft schwebt. Dennoch bin ich etwas skeptisch, als wir uns am nächsten Tag auf den Weg in das – auch diesseits vom Regenbogen besuchenswerte – Aros-Museum machen. Ein ringförmiger Gang mit gläsernen, in den Farben des Regenbogens eingefärbten Wänden, über alle Maßen instatauglich und entsprechend gehypt: immersive Spektakelkunst par excellence. Aber was gibt diese Installation sonst noch her?
Ich begebe mich in den Ring. Und bin an einem Ort, der visuelle Geschenke in Serie macht, mit jedem Schritt und jedem Blick ein neues. Im Regenbogen ist die Welt eine andere. Aber nicht einfach irgendein Fantasiereich, in das man sich aus der kruden Wirklichkeit hineinflüchten kann. Nein: Die Welt da draußen ist völlig ungeschönt erkennbar, nicht zuletzt ihre rauen Seiten rücken von oben in den Fokus. Aber vom Regenbogen aus ist die Welt magisch, wechselt von kühler zu psychedelischer Atmosphäre und lässt uns die Autonomie des eigenen Blicks erleben. Denn wir entscheiden, wie wir sehen, wählen Farben, Perspektiven, Interferenzen, lassen uns von der Dopplung der Wolken in den Außenwänden beeindrucken. Diese Kunst kann das Elend der Welt nicht mindern. Aber sie kann etwas für uns und für unsere mentale Verfassung tun. Was wir daraus machen, liegt bei uns.
Das Glück ist ein Verwaltungsgebäude: im Rathausbau von Arne Jacobsen

Schon lange, bevor Design zu einer universalen Attraktivitätskategorie wurde, praktizierten die Dänen es auf höchstem Niveau. Arne Jacobsen, einer der ganz Großen unter den dänischen Gestaltern, und Erik Møller erbauten zwischen 1936 und 1941 das Rathaus von Aarhus, das die heute hoch gehandelten nordischen Designtugenden schon damals auf den Punkt bringt.
Das Äußere des Rathauses wirkt wie eine Lehrbuch-Illustration zum Thema nüchterne Zurückhaltung. Der norwegische Marmor, mit dem es verkleidet ist, verzichtet dabei keineswegs auf Eleganz. Und er schlägt wie das Holz im Inneren eine Brücke zur skandinavischen Natur. Ein Spaziergang durch den Bau, der zu Geschäftszeiten für Besucher zugänglich ist, gerät zu einer Art Midcentury-Pilgerweg. Bis ins kleinste Detail ist diese Ikone des Modernismus durchkomponiert, selbst das Schild mit den Aufzugknöpfen entpuppt sich als ästhetischer Leckerbissen. Raffinierte gestalterische Entscheidungen führen zu einem leichten, lebensfreundlichen Gesamteindruck, dem jeder Protz, jede Monumentalität, Machtdemonstration und Selbstverliebtheit fremd sind. Dieses Gebäude ist funktional in einem höchst skandinavischen Sinne: zugeschnitten auf die Menschen, die hier zu tun haben. Ihnen bietet es ein angenehmes Arbeitsumfeld und eine Struktur, die geschmeidige Abläufe erleichtert. Ein großes architektonisches Werk für Bürgerinnen und städtische Bedienstete: Ausdruck der zutiefst demokratischen Haltung, die den nordischen Ländern eigen ist und die durchaus etwas mit Lebensglück im Alltag zu tun haben könnte.
Dokk1: Kultureller Lebensraum für alle

Auf geradezu bewegende Weise wird die nicht-elitäre, auf konkrete menschliche Alltagsbedürfnisse ausgerichtete Designphilosophie der Dänen greifbar im Dokk1 am Hafen von Aarhus. Dokk1 ist ein großes Gebäde, das als Kulturzentrum, Touristeninformation und vor allem als öffentliche Bibliothek dient. Hinter der so nachhaltigen wie barrierefreien Architektur steht das Büro Schmidt Hammer Lassen, das nicht zuletzt durch die Royal Library in Kopenhagen Berühmtheit erlangte.
Im Dokk1 kann man machen, was man in Bibliotheken gemeinhin macht: Bücher lesen, Bücher ausleihen, verschiedene Medien entdecken. Im großen Familienareal gibt es phantasievolle Plätze, an die sich kleine Menschen mit einem Buch zurückziehen können. Aber das ist erst der Anfang. Das Dokk1 hält diverse Werkstätten, Labs und Spielareale bereit, darunter einen Toberaum. Außerdem eine Hausaufgabenbetreuung. Auf einer freien Fläche werden die Gemeinschaftsspiele des Tages angeboten: Buchtennis und Buchdomino. Ersteres findet an einer Tischtennisplatte statt, allerdings werden als Schläger und als Bande Bücher verwendet.
Das Dokk1 ist an diesem Samstag voll mit fröhlichen Kindern und entspannten Eltern. Sie können stundenlang bleiben, viele haben Picknicks dabei, außerdem gibt es einen eigenen Still- und Essraum. Um einen schönen, besonderen, abwechslungsreichen Familientag in Aarhus zu erleben, braucht man nicht viel Geld. Ich denke: Bei uns redet man von kultureller Teilhabe. Hier hat man statt großer Worte handfeste Taten unternommen und einfach einen fantastisch durchdachten Ort geschaffen, an dem Familien zu Hause sind. Schließlich gehört die Stadt ihren Bewohnerinnen.
Hygge im Hofcafé: der Gartnergården Aarhus

Nicht selten wird gemutmaßt, das Glück der Dänen könne etwas mit der Hygge zu tun haben. Hiermit und mit anderen möglichen Ursachen für das Wohlbefinden unserer nordischen Nachbarn beschäftigt sich in Kopenhagen ein eigens eingerichtetes Happiness Museum.
Die Hygge jedenfalls, diese ganz und gar dänische und durchweg geschmackvolle Variante von Gemütlichkeit, kann sich auf sehr unterschiedliche Weise äußern, bringt jedoch immer Behaglichkeit in unverkennbar nordischem Stil mit sich. Uns begegnet die Hygge auf unserer Reise nach Aarhus und Odense in Bilderbuchform, als wir zufällig während einer regnerischen Autofahrt auf den Gartnergården Aarhus etwas außerhalb der Stadt stoßen. Hier kann man Gemüse kaufen, Kekse, Blumen und ein paar Deko-Objekte. Vor allem jedoch kann man in sanft großmütterlich anmutenden Bauernstuben Kaffee trinken. Draußen Wolkenbrüche, innen Bullerbü mit Törtchen und Tee: Es ist perfekt. In Südschweden gibt es das Hofcafé Olof Viktors, das, wie oft auf diesem Blog erwähnt, eine Art Familienmekka für uns geworden ist. Wir sind im siebten Himmel, als wir im Gartnergården bei Aarhus ein Pendant finden. Skandinavische Hofcafés sind als Glücksfaktoren überaus tauglich.
Land Art zum Benutzen: Die Endlose Brücke

Unsere drei Tage in Aarhus beginnen mit einem transparenten Regenbogen-Ring und enden mit einem hölzernen Ring, auf dem wir übers Meer gehen. Die “Endlose Brücke” ist eine Art kreisförmiger Steg mit 60 Metern Durchmesser, geeignet für unendliche Spaziergänge vom Strand aufs Wasser und wieder zurück.
2015 wurde “Den Unendelige Bro” von den Architekten Nils Povlsgaard und Johan Gjødes installiert. Ein Land-Art-Werk, und zwar eines, das sich benutzen lässt: für Ausflüge mit Kindern, von denen wir viele sehen, oder auch für meditative Wanderungen mit Blicken auf Wasser, Himmel, Bäume, Strand, auf mit Wind und Wetter wechselnde Farbtöne, sich unendlich wiederholende Holzplanken und, in der Ferne, den Hafen von Aarhus. Weg und Ziel sind an diesem Ort vollkommen identisch.
Unsere nordischste Mahlzeit zwischen Aarhus und Odense

In Skandinavien essen zu gehen, ist spätestens seit der Entstehung der New Nordic Cuisine eine Wonne. Wir suchen ein schönes Restaurant für einen Geburtstags-Sonntag, an dem wir die etwa zwei Stunden von Aarhus nach Odense fahren. Und stellen fest: Sonntag ist in diesem Teil Dänemarks kein idealer Tag zum Essengehen. Abends haben viele Restaurants geschlossen. Doch wir finden eins, das uns am Mittag empfängt und sehr glücklich macht.
Der Sortebro Kro von Odense rangiert, was die Einrichtung angeht, eher auf der ländlich-nostalgischen als auf der urban-modernen Seite des dänischen Designs. Das ist der idyllischen Location durchaus angemessen, denn sie ist schon seit 1805 als Landgasthof in Betrieb – allerdings nicht im Freilichtmuseum Fünendorf, wo sie heute steht. Dorthin wurde das historische Gebäude verpflanzt, um späteren Generationen einen Einblick in die Lebensformen der Vergangenheit zu vermitteln.
Vermutlich aß man auch damals Hering, heute jedoch haben die Gerichte hier einen zeitgemäßen Twist, der unter Beweis stellt, wie sehr die skandinavische Gastronomie auch dort von der New Nordic Cuisine profitiert, wo sie klassische Schwerpunkte setzt. Denn das Bewusstsein für den Reiz und das Potential der regionalen Zutaten und Traditionen durchdringt die Küchen Nordeuropas zusehends.
H.C. Andersen und das allerschönste Märchenmuseum in Odense

Odense, nach Kopenhagen und Aarhus Dänemarks drittgrößte Stadt, gelegen auf der Insel Fünen, ist stark geprägt durch Hans Christian Andersen. Hier wurde der Dichter geboren, hier wuchs er auf. Und hier hat man 2021 mit dem H.C. Andersens Hus ein Museum eingerichtet, dessen Konzeption und Ausstellungsdesign wegweisend sein dürfte.
Beim Betreten muss ich eine meiner größten Museumsabneigungen überwinden und mir einen Kopfhörer aushändigen lassen. Ich bin keine Freundin von Audioguides, mich lenken sie oft von den eigentlichen Exponaten ab, aber das hier ist kein normaler Audioguide. Diese Kopfhörer sind zentrale Medien für das Museumserlebnis, denn Andersen ist ein Künstler der Sprache, und durch die Headphones hören wir seine Worte, exzellent gesprochen. Mittels aufwendiger und makellos funktionierender Technik führt uns das Gehörte durchs Museum, vorbei an Exponaten wie den Scherenschnitten, die Andersen fertigte, und historischen Ausgaben seiner Bücher. Oft flanieren wir durch die gewundenen Gänge des großartigen Gebäudes (mehr dazu unten) und werden vorbeigeleitet an Illustrationen zu Andersens Leben und Schaffen, die seine ganz persönliche Scherenschnitt-Ästhetik aufgreifen. Schritt für Schritt erzählen hervorragende Texte, wie es über die Jahre lief mit der privaten Biographie und der Dichtkunst des Dänen. Dabei wird, wo immer möglich, Andersen selbst zitiert. So vermeidet dieses Museum ein dröges Steckenbleiben im Erklärenden und schafft wunderbare Möglichkeiten, mit verschiedenen Sinnen einzutauchen in Andersens reale und mentale Welt.
Ein großer Teil des unter Mitwirkung zahlreicher Künstler entstandenen Museums widmet sich den berühmtesten Andersen-Märchen. Wir treffen auf nachgebaute Szenerien ebenso wie auf verträumte scherenschnitt- und schattenspielartige Animationen und Projektionen. Immer dabei: die poetischen Worte aus dem Kopfhörer.
Natürlich, wir sind ja in Skandinavien, gibt es interaktive und spielerische Angebote, aber zusätzlich existiert ein ganz eigener Museumpart für Kinder: die Ville Vau, ein Märchenland zum Spielen, Verkleiden, Basteln. Wir waren nicht drin. Aber ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass hier eine fantastisch durchdachte Wunderwelt entstanden ist.
Ein Japaner in Fünen: Kengo Kuma baut ein Museum, einen Garten, eine Stadtlandschaft

Dass mich das H.C. Andersens Hus mit seiner Magie derart einfangen würde, hatte ich nicht erwartet. Ich war in allererster Linie wegen der architektonischen Struktur gekommen, die der großen Japaner Kengo Kuma hier 2021 geschaffen hat. Er gewann den Wettbewerb für das Museum in Odense mit einer komplexen Anlage aus mehreren Holzpavillons, die nahtlos in einen Garten übergehen, die selbst wie Teile dieses Gartens wirken und ihrerseits begrünt sind. Die gebauten und gepflanzten Elemente des luftigen Museumsareals mitten in der Innenstadt von Odense verschlingen sich zu einem Ensemble, das Andersens Liebe zur Natur ebenso gerecht wird wie dem verwunschenen Charakter vieler seiner Märchen.
Kengo Kuma ist nicht zuletzt für einen unverwechselbaren Umgang mit Holz berühmt, der zunächst in seinem Heimatland, dann international zu einzigartigen Bauwerken geführt hat. In Odense lässt der Architekt nicht nur Holzstrukturen nach oben wachsen, sondern er verlegt einen großen Part des Museums auf eine Ebene unterhalb des Straßenniveaus. Manche Teile sind regelrecht unterirdisch, andere kommen durch begrünte Höfe in den Genuss von Tageslicht. Schaut man von innen durch die von filigranen hölzernen Gitterstrukturen getragenen Glaswände, fühlt man sich leicht in einen Märchenwald versetzt. Dort, wo der Museumsparcours gerade keinen Blick nach außen bietet, wandelt man durch milchig erleuchtete gewundene Gänge, stets geführt von den erwähnten Kopfhörern.
Allerdings braucht niemand ein Museumsticket, um sich an Kengo Kumas Andersen-Anlage zu erfreuen. Der Zugang zu ihrem Terrain inklusive der Dachgärten ist zur Stadt hin offen und steht damit, wie so viele Architektur- und Designprojekte in Dänemark, im Dienste der Lebensqualität eines und einer jeden.
1 Comments
Jenny
Echt schade, dass du nicht im Ville Vau warst – und auch kein Kind dabei hattest in Odense, denn nur die können ermessen, wie unglaublich geil diese Spielewelt unter dem HC Andersen Museum ist. Meine Tochter wollte da gar nicht mehr raus, wir sind am nächsten Tag nochmal hingegangen
Genauso begeistert waren wir auch vom Regenbogen in Aarhus, ein echter Traum!