Zuletzt aktualisiert am 2. Mai 2024 um 20:35
Fallingwater. Für das berühmteste Gebäude von Amerikas berühmtestem Architekten sind wir – Mutter, Vater, zwei Teenager-Töchter – ein gutes Stück durch die Wälder Pennsylvanias gefahren. Es hat sich gelohnt. Für alle.
Im üppigen Grün von Pennsylvania
Wir stehen vor einem der bedeutendsten Bauwerke des 20. Jahrhunderts, und wir stehen mitten in der Natur. Hier, in Mill Run, etwa 100 Kilometer südöstlich von Pittsburgh, umwuchert Pennsylvania uns mit üppigem Grün. Zwischen Ästen scheint gelblicher Stein auf. Bevor wir uns einen richtigen Blick auf das Meisterwerk von Amerikas berühmtestem Architekten Frank Lloyd Wright verschaffen können, nimmt uns die Akustik des Ortes gefangen. Es rauscht, und zwar laut. Kein Wunder, immerhin hat Fallingwater seinen Namen der Tatsache zu verdanken, dass es über einem Wasserfall erbaut wurde. Was das allerdings bedeutet, kann man erst begreifen, wenn man da ist.
Das Wochenendhaus, das Architekturgeschichte schrieb
1936 entwarf der fast 70-jährige Frank Lloyd Wright das Haus über dem Wasser für Edgar Kaufmann, einen wohlhabenden Kaufhausbesitzer aus Pittsburgh – als Wochenend- und Feriendomizil für ihn und seine Familie. Kaufmanns kunstsinniger Sohn hatte seine Eltern mit dem Architekten bekanntgemacht, nachdem er eine Zeitlang bei Wright in Illinois studiert hatte. Die Kaufmanns teilten nicht nur ihre Aufgeschlossenheit gegenüber moderner Gestaltung mit Frank Lloyd Wright, sondern auch ihre Liebe zur Natur. Die “Bear Run”-Gegend in den Laurel Highlands, in der Fallingwater liegt, begeisterte Kaufmann seit jungen Jahren. Wright erfasste den Reiz und die Eigenheit der Landschaft sofort, den Entwurf für Fallingwater soll er im Rekordtempo zu Papier gebracht haben. Bereits 1937, im Jahr nach den ersten Skizzen, war der Bau fertig, und er war ein Kunstwerk.
In Fallingwater verschwimmen die Grenzen zwischen Natur und Bau
Der 1867 geborene, 1959 verstorbene Wright steht für die Idee einer “organischen Architektur”, die sich in die weite amerikanische Landschaft einfügen sollte, und ein besseres Beispiel als das Haus der Kaufmanns lässt sich kaum denken. Fallingwater ist durchdrungen von der Natur. In flachen, übereinander gestaffelten Ebenen liegt es am Hügel, großteils erbaut aus dem Stein, den die Landschaft hergibt. Dieser Stein – horizontal geschichtet wie das Haus selbst – löst die Grenzen zwischen Innen und Außen auf; er ist tragendes Baumaterial und gleichzeitig das entscheidende Gestaltungselement der Innenräume.
Wo ist draußen, wo ist drinnen?
Auch ganz konkret wechselt man, wenn man durch Fallingwater spaziert, ständig zwischen drinnen und draußen. Die Grundfläche der aus Beton gegossenen Balkone und Terrassen des Hauses ist ebenso groß wie die der Innenräume; Balkontüren und Fenster mit hervorragend ausgetüftelten Öffnungmechanismen gibt es in Hülle und Fülle.
Am amerikanischen Kamin
Im Winter kann es kalt werden in den Wäldern Pennsylvanias. Für diese Zeiten hat Wright im zentralen Wohnzimmer mit einem steinernen Kamin vorgesorgt – ein Lieblingsobjekt des Architekten, für den das offene Feuer das Herz eines Hauses war.
So ein Kamin im Stein hat etwas Archaisches und sehr Amerikanisches: Pioniere waren vom offenen Feuer ebenso abhängig wie Cowboys und Indianer. Feine Fireplaces wie in England waren in den frühen USA dekadente Erzeugnisse europäischer Zivilisation: Auf Derartiges konnte man keine Energien verschwenden, solange es ums nackte Überleben auf dem neuen Kontinent ging. In den Kreisen der Kaufmanns ging es darum nicht, aber Wrights Kamine bringen einen Hauch von der Atmosphäre dieser Zeiten mit sich – genauso wie ein richtig rauchiges Barbecue.
Haus mit Geschichten
Auch über den Kamin hinaus hat Wright großen Einfluss auf die Gestaltung der Innenräume von Fallingwater genommen. Die offene Raumstruktur, die zu seinen Markenzeichen gehört, und die rohen Steine prägen die Wohnatmosphäre von vornherein. Außerdem tragen die Möbel die Handschrift des Architekten. Viele, darunter die zahlreichen fest eingebauten, wurden speziell für Fallingwater von ihm entworfen.
Dies und viele andere Einzelheiten erfahren wir bei der Führung, an der wir teilnehmen – denn ohne Führung kann man Fallingwater nicht besichtigen. Unsere Töchter freut das zuerst wenig. Aber es ist nicht schlecht – zum einen aus organisatorischen Gründen, denn die Besucheranzahl ist groß, und das System der geführten Gruppen führt dazu, dass die ganze Anlage übersichtlich bleibt und kein unkoordiniertes Gewimmel entsteht. Außerdem hat unsere Führerin viel zu erzählen: nicht nur über Wrights Arbeit und über die zahlreichen Kunstgegenstände, die über das Haus verteilt sind, sondern auch über die Familie Kaufmann. Deren einziger Sohn übergab Fallingwater im Jahr 1963 dem Western Pennsylvania Conservancy, damit die Öffentlichkeit sich selbst ein Bild von einem der bedeutendsten Bauten des 20. Jahrhunderts machen konnte.
Unvergesslich
Genau das tun wir: ein Elternpaar, für dessen weiblichen Teil mit diesem Besuch ein Lebenstraum wahr wird, und zwei Teenager-Töchter, die die fast spirituelle Wirkung dieses gebauten Kunstwerks in der amerikanischen Landschaft gefangennimmt. Es ist nicht schlimm, dass viele Besucher da sind. Sobald man auf einer der Terrassen steht und das laute Rauschen des Wasserfalls hört, ist man allein mit sich, der Natur und diesem poetischen Stück Architektur.
Irgendwann ist die Führung zuende, aber zum Glück geht das Fallingwater-Erlebnis noch ein bisschen weiter. Wir laufen um das Haus herum und nehmen dann einen Pfad durch den Wald, der uns an den Fuß des Wasserfalls führt – und damit zu der ikonischen Sicht auf Fallingwater, die ganz oben in diesem Blogbeitrag zu sehen ist.
Fallingwater besuchen: INFOS
Fallingwater liegt nicht auf den klassischen US-Roadtrip-Routen. Wir haben im Rahmen einer Reise durch die Capital Region der USA einen Abstecher ins – sehr lohnende – Pittsburgh gemacht, um das Haus von Frank Lloyd Wright von dort aus zu besuchen. Man fährt etwa 100 Kilometer Richtung Südosten durch herrliche Landschaften.
Fallingwater ist gut besucht, allerdings auch bestens organisiert. Wir haben unsere Tickets lange im voraus online gebucht, wozu ich jedem raten möchte, der den Weg auf sich nimmt, zumal Fallingwater zusammen mit sieben anderen Bauten von Frank Lloyd Wright nach unserem Besuch in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurde.
Vom 9. März bis zum 31. Dezember ist Fallingwater für Besichtigungen geöffnet – täglich außer mittwochs und nur im Rahmen von Führungen. Über die jeweils gültigen Preise, Öffnungs- und Tourenzeiten informiert die Website.
10 Comments
Geertje Marquardt
So cool, mit dem Architekten habe ich mich im Studium viel beschäftigt – ein Haus wie dieses zu betreten ist ein Traum! Viele Grüße von der Innenarchitektin Geertje der nordicfamily
Maria-Bettina Eich
Ja, es ist ein Traum! Spannend, dass Du Innenarchitektin bist! Meine letzte herrliche Architekturentdeckung lag übrigens im Norden: die Villa Mairea von Alvar Aalto an der finnischen Westküste, die wir vor eineinhalb Wochen besucht haben. Auch wunderbar.
Liebe Grüße,
Maria
Inka
Das ist so ein riesengroßer Traum von mir, das mal zu sehen – ich fürchte nur, dann wird man in keiner anderen Wohnstätte mehr glücklich? Ein toll geschriebener Beitrag, vielen Dank dafür!
Maria-Bettina Eich
Danke Dir für Dein Feedback – und hach, ich weiß nicht: Vielleicht kann man in seiner eigenen bescheidenen Behausung auch nach dem Fallingwater-Besuch noch glücklich sein, aber ein Gefühl von “ich kenne jetzt den Gipfel, den ich in meinem eigenen Leben nie erreichen werde” bleibt durchaus. Andererseits macht mich bereits das Anschauen unserer Fallingwater-Bilder so glücklich, dass ich dieses leichte Bedauern gern in Kauf nehme.
Liebe Grüße,
Maria
Cappi
Wow…ok nun bin sogar ich sprachlos. Eigentlich kenne ich schon so gut wie alles an “Luxuswohnen” bzw. habe Häuser gesehen die selbst von Stars bewohnt waren, aber das grenzt echt an “kunst” und wohlfühlen. Dankeschön Maria für diese tollen Bilder 🙂
LG Cappi
Maria-Bettina Eich
Hallo, Cappi,
danke für Deine Nachricht! Es ist wirklich, wie Du schreibst: ein Kunstwerk, in dem man sich wohlfühlt. (Außer möglicherweise in sehr kaltem Winterwetter…)
Liebe Grüße,
Maria
Cappi
Liebe Maria, ich glaube, selbst im Winter würde ich es nehmen 😀 haha
Liebe Grüße
Maria-Bettina Eich
Ehrlich gesagt: Ich glaube, ich auch!
Gunnar
Sehr schön, dass ich diese Seite mit der umfangreichen Beschreibung des Fallingwater.Hauses gefunden habe. In seinem Roman 2Die Frauen” von T.C. Boyle hat der Schriftsteller dieses und seinen Erbauer (natürlich auch sein Leben mit und zu Frauen) eindrucksvoll beschrieben.
Maria-Bettina Eich
Ja, das ist ein super Lesetipp an dieser Stelle! Ich habe das Buch erst ein Weilchen nach meinem Besuch in Fallingwater gelesen und es sehr genossen.
Herzliche Grüße!
Maria