Zuletzt aktualisiert am 3. Januar 2024 um 14:01
Das letzte Viertel seines viel zu kurzen Lebens verbrachte Jackson Pollock auf Long Island – zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Lee Krasner. Heute ist das Pollock-Krasner House and Studio ein Museum. Ein einzigartiges. Wenige Minuten entfernt: der kleine Friedhof, auf dem die beiden nebst einer erstaunlichen Reihe weiterer Künstler begraben sind.
Wo Scheune und Fischerhaus Kunstgeschichte schrieben
Dieser Boden. Wer sich nur je ein kleines bisschen für Jackson Pollock interessiert hat, hat Bilder von ihm gesehen: von diesem Holzboden in einer Scheune, auf dem sich Pollock um seine großen Leinwände herumbewegte und Farbe tropfte, malte, sprengte – unter ganzem Körpereinsatz.
Die ziemlich unscheinbare Scheune steht auf einer Wiese hinter dem Haus, das Jackson Pollock und seine Frau Lee Krasner ab 1945 auf Long Island bewohnten: in Springs, einem Weiler, der zu der Kleinstadt East Hampton gehört. Ihr Haus war keine Hamptons-Villa und keine mondäne Künstlerresidenz, sondern ein ehemaliges Fischerhäuschen in der freien Natur, bescheiden eingerichtet für ein Paar, das ums finanzielle Überleben kämpfte. Lee Krasners Arbeiten brachten nicht viel Geld ein; als Frau war sie auf dem Kunstmarkt wenig wert. Und ihr von Jugend an alkoholkranker Mann durchlebte ausgedehnte Phasen, in dem seine Abhängigkeit ihn vom Malen und damit vom Geldverdienen abhielt.
Das Leben auf Long Island brachte für beide eine wohltuende Ruhe mit sich; nicht zu vergleichen mit dem Lifestyle ihrer vorherigen Heimat New York City. Pollock und Krasner liebten ihr Wiesengrundstück mit Blick auf das Wasser des Accabonac Creek, das zu einem wichtigen Fixpunkt im Schaffen beider wurde. Nachdem Jackson Pollock 1956 im Alter von 44 Jahren, schwer alkoholisiert und im Beisein seiner Geliebten, bei einem Autounfall ums Leben kam, währens sich Lee Krasner in Europa aufhielt, bewohnte Krasner das Haus bis zu ihrem Tod 1984 allein. Hier entwickelte sie eine distinktive künstlerische Sprache und nutzte nun ihrerseits die Scheune als Atelier. Allerdings verwendete sie Staffeleien für ihre Leinwände, nicht den Boden. Der bleibt Pollocks. Bis heute. Unverkennbar.
Ergreifende Holzbretter
“Der Boden sieht ja aus wie seine Bilder,” schreibt meine Freundin, der ich Fotos schicke. Ja. Das tut er. Die Farbkleckse, -tropfen, -schlieren, -texturen erzählen von dem Gestus, mit dem der Action Painter seine Kunstwerke schuf. Und wir – wir bekommen zwar weiche Stoffschühchen an die Füße, aber wir laufen auf diesem Boden herum. Dies, muss ich sagen, ist eines der ergreifendsten Kunsterlebnisse meines Lebens. Wenn mich jemals Walter Benjamins vielzitierte Aura angeweht hat, dann hier.
Ich könnte ein wenig herumspekulieren, warum dem so ist. Ich habe diverse Stätten künstlerischen Wirkens gesehen, ohne ähnlich emotional zu werden. Vielleicht weckt die Wildheit von Pollocks Studioboden den Eindruck, nah dran zu sein an der Action seines künstlerischen Schaffens. Andererseits rührt mich dieser einerseits bescheidene, andererseits kunstgeschichtlich maximal bedeutsame Ort in seinem Kontrast zu dem offensichtlichen Reichtum, der die Hamptons allerorten dominiert. Und die Führung, im Rahmen derer das Pollock-Krasner House and Studio überhaupt nur zu besichtigen ist, tut das Ihre: Unter Bäumen und in der Scheune erzählt man uns sehr konzentriert sehr viel von der Arbeit beider Künstler, von ihrem Leben, ihrer Ehe, ihrer Beziehung zu diesem Anwesen auf Long Island. Statt Kunstrummel herrscht hier Intimität; statt des Kunstszenen-Schicks der Orte, an denen Pollocks Werke heute zu sehen sind, umfängt uns hier der gelegentlich fast düstere Ernst, mit dem einige der größten Bilder der amerikanischen Kunst entstanden sind.
Im Pollock-Krasner House
Behaglich ist es im Inneren des Pollock-Krasnerschen Wohnhauses. Die Einrichtung präsentiert sich heute so, wie Lee Krasner sie bei ihrem Tod hinterlassen hat: mit persönlichen Modifizierungen, die sie während der Jahre vornahm, in denen sie allein hier lebte. Aus der gemeinsamen Zeit stammen die Bücher – und vor allem die Plattensammlung des großen Jazz-Liebhabers Pollock. Wir gehen durch ein unprätentiöses, persönlich und funktional gestaltetes Haus. Mit den Summen, die ein Pollock heute auf dem Kunstmarkt erzielt, hatte das Leben an diesem Ort nichts zu tun.
Green River Cemetery: der Künstlerfriedhof von Long Island
Bevor wir das Pollock-Krasner House verlassen, gibt man uns einen Tipp: Ein paar Autominuten entfernt fänden wir den Green River Cemetery, auf dem nicht nur Jackson Pollock und Lee Krasner begraben seien, sondern außer ihnen noch eine ganze Reihe anderer Künstler – ebenso wie ganz normale Bewohner der Gegend.
Wir fahren. Und kommen an einen eigenwilligen Ort. An einen rustikalen Friedhof in the middle of nowhere, auf dem eine Fülle extravaganter Grabsteine zu finden ist. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Gegend um East Hampton offenbar zu einer Region, in der Schriftsteller, Filmleute, Maler und Bildhauer teils ihr Leben, teils längere Auszeiten von ihrem New Yorker Alltag verbrachten. Und in der sie begraben sein wollten.
Jackson Pollocks Grab ist so etwas wie die Hauptattraktion dieses überschaubaren Friedhofs: ein riesiger Feldstein mit einer Tafel, in die sein Name in seiner Handschrift graviert ist. Lee Krasner liegt ein paar Meter von ihm entfernt; ihr Stein ist wie der ihres Mannes ein Fundstück aus der Umgebung ihres Hauses.
Wir gehen weiter. Sehen ein Grab, das mit Filmspulen geschmückt ist, exzentrische in Stein gemeißelte Typographien und Signaturen, viele mit auffälligem Stilwillen konzipierte Grabsteine. Die Stätte der Schriftstellerin Barbara Goldsmith markiert eine steinerne Bank, auf der ebenfalls aus Stein gehauene Bücher liegen. Sehr schlicht ist die Bodenplatte des Dichters Frank O’Hara, bei der fein säuberlich angeordnet Colaflaschen im Gras liegen: Hommage an sein wundervolles Gedicht “Having a Coke With You”.
INFO: Das Pollock-Krasner House and Studio und den Green River Cemetery besuchen
Sowohl das Pollock-Krasner House and Studio als auch der Green River Cemetery liegen im äußersten Osten von Long Island, auf der South Fork, der südlichen Landzunge der Hamptons. Der Weiler Springs, zu dem beides gehört, ist offiziell Teil des Städtchens East Hampton und von dort mit dem Auto in weniger als einer Viertelstunde zu erreichen – so man nicht in einen der auf Long Island häufigen Staus gerät.
Das Pollock-Krasner House und das Scheunen-Atelier sind ausschließlich im Rahmen von rund einstündigen Führungen während der Monate Mai bis Oktober zu besichtigen. Eine Vorab-Reservierung wird verlangt und ist problemlos über die Website möglich, auf der sich auch die jeweils aktuellen Uhrzeiten der Führungen befinden.
2 Comments
Tobias
Es fühlt sich an, als wäre ich selbst dabei gewesen. Vielen Dank für diesen lebendigen Einblick in die Welt des berühmten Künstlers. Eure Begeisterung ist ansteckend!
Liebe Grüße und weiterhin viele inspirierende Erlebnisse,
Tobias
Maria-Bettina Eich
Vielen Dank für das nette Feedback und herzliche Grüße!
Maria