Zuletzt aktualisiert am 1. November 2023 um 14:47
Kohle. Kunst. Kürbisse. Außerdem spektakuläre Architekur von märchenhaft bis maritim – und Strände, die selbst Strandmuffel wie mich die Vokabel “Traumstrand” murmeln lassen. Vier Tage haben wir auf Long Island verbracht, genauer: in den Hamptons. Wir haben fürs Leben gelernt und hoffen, dass die eine oder der andere von unseren teuer erworbenen Long-Island-Tipps profitiert.
Wo New York City in eine Insel übergeht
Warum man irgendwo hinreist? Das mag sehr individuell sein. Mich persönlich treiben gern fixe Ideen an, die sich über viele Jahre irgendwo im Reisehirn festsetzen. Eine davon war Long Island. Musste doch einfach herrlich sein: eine Halbinsel mit ganz viel Küste, die direkt vor den Toren von New York City mitten in den Atlantik hineinragte. Eine Meereslandschaft mit Wind und Wellen, in die die berühmteste Metropole der Welt einfach so übergeht, und die noch dazu für für den Stil ihrer Häuser berühmt ist: eine unwiderstehliche Idee.
Bei näherem Hinsehen, zumindest von Europa aus, zeigt sich Long Island etwas unübersichtlich: Es gibt die Hamptons und die Gold Coast, die North Fork, die South Fork, diverse Städte, viele Strände – wo soll man hin? Long-Island-Reiseführer sind Mangelware; in der Regel wird die legendäre Halbinsel in Büchern über New York City oder die East Coast mit abgehandelt.
Wir ließen das Schicksal für uns entscheiden: das Schicksal in Form des Angebotsspektrums eines Reisebüros unseres Vertrauens. Wann immer wir in den USA und in Kanada waren, haben wir dem Unternehmen Canusa unsere persönliche Reiseroute geschickt und uns dann Angebote für Flüge, Mietwagen und Unterkünfte machen lassen. Das können wir empfehlen: Die Reisevorschläge von Canusa sind vielseitig, die Preise liegen ein gutes Stück unter dem, was man bei individuellen Buchungen bezahlt, Beratung und Buchung laufen reibungslos.
Wie wir in die Hamptons gerieten
Für Long Island schlug man uns exakt drei Hotels vor, von denen uns exakt eins gefiel: das Southampton Inn, gelegen in einem Ort namens, oh Wunder, Southampton. Nach den Orten mit “-hampton” am Ende sind die berühmten Hamptons benannt, von denen so ziemlich jeder gehört hat, der gelegentlich einen Einrichtungskatalog durchblättert. Hamptons-Style ist ein zugkräftiges Schlagwort. Lässiges Blau-Weiß, vielleicht etwas shabby, aber in jedem Fall stylisch, zog vor meinem inneren Auge vorbei. Ich buchte vier Nächte im Southampton Inn und freute mich.
Dem Osten der Halbinsel nähert man sich von New York aus gewöhnlich über den Long Island Expressway: eine Autobahn, auf der wir so gar nicht express unterwegs sind, sondern im Schneckentempo. Es ist voll. Wir fühlen uns an die Staus auf der Küstenstraße an der Côte d’Azur erinnert, sehen aber keine Küste. Sondern durchqueren Ortschaften mit Vorstadt-Feeling statt mit Inselflair. Bis wir zu den östlichen Ausläufern von Long Island vorgedrungen sind. Da, wo die Hamptons beginnen, werden die Straßen schmaler, die Autos weniger, die Orte rarer und landschaftliche Reize sichtbarer.
Der Ort Southampton beginnt mit ausgedehnten Anwesen in üppigem Grün. Unser Hotel ist die Erfüllung klassischer “American holiday”-Träume: Schmal und lang liegt es an einer kleinen Straße, betreten kann man es durch hübsche weiße Holzportale mit Giebelchen. Jedes Zimmer hat einen eigenen Eingang, und der führt in einen Garten mit Rasen, Pool, behaglichen Sitzgelegenheiten. Wir erfreuen uns an diesem Ort, dann bekommen wir Hunger. Damit beginnt das Verhängnis.
In welchem Film sind wir gelandet?
Southampton ist nicht groß. Das Stadtzentrum besteht im wesentlichen aus einer Main Street. In fußläufigem Abstand gibt es eine Dependance des Auktionshauses Christie’s, eine große Philips-Niederlassung und ein Sotheby’s-Immobilienbüro. Wir essen Pasta in einem Restaurant, das aussieht, wie nett eingerichtete Italiener auch bei uns aussehen. Die Herren am Nebentisch tragen sportliche Outfits, aber diverse Damen kommen im langen Schwarzen, mit Stilettos und Glitzertasche zum Essen. Die Pasta schmeckt wie bei einem der besseren Italiener, die man in Deutschland so frequentiert. Ihre Preise entsprechen denen von Luxusrestaurants, die wir in Deutschland nur in Ausnahmefällen frequentieren. Wir beißen unsere Zähne zusammen und beschließen, das Essen trotzdem zu genießen. In einem Anfall von wahnsinnigem Fatalismus bestellen wir Desserts. Wenn wir hier schon arm werden, dann auch richtig! Wir sitzen unter freiem Himmel in einer Atmosphäre, die sich nach der abgründigen Kleinstadt aus David Lynchs Film “Blue Velvet” anfühlt.
Der Weg zurück zum Auto führt uns an einem geschlossenen Schönheitssalon vorbei. Alles ist pink. “Kinn hoch! Beide!” zitiert mein Unterbewusstes aus dem Film “The Women” von George Cukor. Seltsame Welt, diese schnuckelige Kleinstadt. Am folgenden Morgen lese ich, dass unser Restaurant Tutto Il Giorno der Tochter der Modeschöpferin Donna Karan gehört. Wir haben unsere erste Hamptons-Lektion gelernt.
Überall Kunst: Highlights unter den Long-Island-Tipps
Der Reichtum unseres Örtchens hat auch seine Vorteile. Damit sich die betuchten Hamptons-Urlauber in Ruhe überlegen können, welche Kunstwerke sie im Herbst bei den großen Auktionen in New York City erstehen wollen, stellt Philips an der Main Street von Southampton Unglaubliches aus: Werke auf Papier von Künstlern wie Hockney, Rauschenberg, Lichtenstein. Fotografien von den größten Namen, die mir bekannt sind. Das alles in zwanglosem Ambiente, ein kostenfreier Kunstgenuss am Straßenrand.
Vom Auktionshaus brauchen wir im Grunde nur geradeaus zu fahren, um nach Bridgehampton zu kommen. Dort steht ein ursprünglich als Feuerwache konzipiertes, später als Kirche genutztes Gebäude, das seit 1983 das Dan Flavin Art Institute beherbergt. Es gehört dem Netz von Kunsteinrichtungen der Dia Art Foundation an, und man muss wissen, wo es zu finden ist, ansonsten könnte man es inmitten der traditionellen Hamptons-Holzarchitektur übersehen, die von den neuen Luxusvillen ebenfalls gern aufgegriffen wird. Auch hier ist der Eintritt frei. Wer sich in dieser Gegend für Kunst interessiert, investiert richtig: in Form von Anschaffungen und Stiftungen; mit Tickets von ein paar Dollar gibt man sich nicht ab.
Bei Dan Flavin ist es großartig. Der Künstler selbst hat das Gebäude mit seinen Neonkunst-Installationen ausgestattet. In keiner Museumsausstellung erschließen sie sich so gut wie hier, wo sie Räume aus Licht schaffen, deren Farben und Atmosphären mit jedem Schritt des Betrachters changieren. Die spirituelle Anmutung dieser ganz losgelösten Dan-Flavin-Sphäre passt zu einem Bau, der einst Kirche war.
Am nächsten Tag besuchen wir das ehemalige Wohnhaus und Studio von Jackson Pollock und seiner Frau Lee Krasner – auch dies nur ein paar Kilometer entfernt. Über dieses sehr einzigartige Kunsterlebnis habe ich hier bereits einen eigenen Blogartikel geschrieben. Wir könnten tagelang so weitermachen; die Gegend scheint getüpfelt zu sein mit Privatmuseen, Skulpturengärten, ehemaligen Künstlerkolonien. Es ist ein Jammer, dass wir nicht mehr Zeit haben als ein paar Tage. Andereseits ist das auch gut, denn wir müssen essen und können nicht jeden Tag die Preise von Donna Karans Tochter bezahlen.
Farmshops und Kürbisse
Doch mit jedem Tag werden wir findiger. Wir lernen die unromantische Gastronomie der nächstgelegenen Shopping Mall schätzen. Vor allem jedoch entdecken wir ein paar Geschäfte, in denen es wunderbare lokale Lebensmittel gibt. Tate’s Bake Shop wird im Handumdrehen unser absoluter Favorit: ein Cookie-Paradies in Southampton, bis zum Rand gefüllt mit dem unfassbarsten hausgemachten Gebäck. Außerdem wunderbar idyllisch und spätsommerlich geschmückt mit Kürbissen.
In der Nähe des Jackson-Pollock-Hauses verpflegen wir uns im Shop der Round Swamp Farm, der zwar durchaus in die Kategorie Delikatessengeschäft fällt, uns jedoch eines der bestmöglichen Picknicks beschert, die man in einem Auto veranstalten kann.
An ähnlichen so genannten Farm Stands kommen wir immer wieder vorbei, und immer wieder stoßen wir auf immense Displays von Kürbissen. Bis Halloween dauert es noch mehr als einen Monat, die Kürbisse sind keineswegs ausgehöhlt, erleuchtet und gruselig. Eher scheinen sie wie üppige Erntesymbole in strahlenden Herbstfarben unter spätsommerlichem Himmel. Thanksgiving ist der Legende nach entstanden, als eine Gruppe früher Siedler zusammen mit Natives feierte, nachdem diese den von Hunger und Skorbut geplagten künftigen Kolonisatoren ihres Kontinents gezeigt hatten, wie man mit den heimischen Nahrungsmitteln überleben konnte. Auf einmal erscheinen mir die Kürbisansammlungen von Long Island wie nahezu religiöse Symbole einer Geschichte, die sich der Abenteuerlust von Pionieren verdankt.
Aber das sind nur meine Assoziationen. Die Gegend hier ist zwar wahrlich nicht für Mittelschichtsmenschen wie uns gemacht, doch sie löst so einiges an nachdrücklichen Empfindungen bei meinen Familienmitgliedern und mir aus. Allein der Strand: Ich habe nie einen schöneren gesehen als Coopers Beach bei Southampton. Üblicherweise habe ich ein Problem mit Stränden. Ich finde sie hübsch, aber anstrengend. Nicht hier, wo das Licht so weich ist, die Brandung uns in einen Rausch versetzt, die Landschaft ausgedehnt und endlos wirkt. Unsere siebzehnjährige Tochter – die ältere Schwester reist nicht mit – mag Strände sowieso, außerdem ist sie verzückt von der heimelig-schnieken Architektur der diversen Main Streets auf Long Island. Und ziemlich verzaubert von Dan Flavins Licht-Haus.
Hitchcock trifft den Großen Gatsby
Mein Mann hat seinen großen Long-Island-Moment am letzten Tag unserer Reise. Wir fahren von den Hamptons zurück nach Westen, Richtung John F. Kennedy Airport. Eine halbe Stunde vom Flughafen entfernt, fast auf unserer Route, liegen die 1906 fertiggestellten Old Westbury Gardens. Weite Gärten um ein irrwitzig luxuriöses Herrenhaus von der Sorte, von der es an der Nordküste von Long Island – der so genannten “Gold Coast” – so einige gibt und in denen F. Scott Fitzgerald den Roman “The Great Gatsby” ansiedelte. Ab den 1890-ern ließen die New Yorker Superreichen sie sich gern als Wochenendresidenzen bauen – und zwar so, dass sie bei allem modernen Komfort das Flair eines alten englischen Herrenhauses oder eines französischen Châteaus besaßen.
Die Old Westbury Gardens liegen nicht direkt an der Gold Coast, gehören aber auch zu den berühmten Long Island Mansions. Und sie haben Filmgeschichte geschrieben: als Drehort für den Hitchcock-Klassiker “North by Northwest”. Ich bin mit einem Hardcore-Hitchcock-Fan verheiratet. Er wandelt auf den Spuren des Meisters und im siebten Himmel, während meine Tochter und ich über dieses eigenwillige Luxusdomizil staunen: Einerseits zitiert es historische europäische Pracht, wo es nur geht. Andererseits hängen Portraits von Familiensöhnen mit Baseballschlägern an den Wänden, die Polster sind deutlich bequemer als ihre Gegenstücke in englischen Herrenhäusern, und zugig wird es hier im Winter garantiert auch nicht.
Ja, ich würde wiederkommen
Dieses ganze Long Island ist für uns ein bisschen wie eine alternative Realität. Ich persönlich mag auf Reisen gerne mal das Gefühl haben, in einem seltsamen Film zu sein. Der Long-Island-Film ist zwar nicht genau der richtige für Leute wie uns, aber er fesselt uns zu sehr, um der völlig falsche Film zu sein. Nach ein paar Tagen ist es dann durchaus wieder nötig, das Setting zu wechseln. Aber ich würde wiederkommen, vielleicht für einen Zwei-Tages-Trip von New York City aus. Wenn sich denn je die Gelegenheit ergibt. Am besten wieder im September, wenn der Sommeransturm vorbei ist und die Kürbisse sich stapeln.
Wie ich erst seit unserem ersten Besuch so richtig weiß, hält diese Halbinsel noch einiges bereit in Sachen Geschichte, Kunst und Architektur, was ich gern entdecken würde. Außerdem haben wir das Thema Seafood schmählich vernachlässigt. Und schließlich gibt es mit Coopers Beach bei Southampton jetzt tatsächlich einen Strand, den ich wiedersehen möchte.
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