Zuletzt aktualisiert am 22. Juli 2015 um 22:25
Bücher-Countdown Nr. 8
Man schlägt dieses Buch auf und ist mittendrin – in einer Welt, die allen Anzeichen nach unsere ist, gleichzeitig aber, wie sie da so von oben durch Engel angeflogen wird, eine ganz andere.
DER ENGEL AUS DEM NIRGENDWO ist ein Bilderbuch des Australiers Tohby Riddle (erschienen im Gabriel Verlag), und zwar ein einzigartiges. Riddle nimmt Fotos von Großstädten, Personen, Landschaften, gibt ihnen einen Schwarz-Weiß- oder Sepia-Grundton, der manchmal koloriert wird, verleiht ihnen eine künstliche Patina und fügt sehr zweidimensionale, unverkennbar ausgeschnittene Gestalten in die Fotos ein. Alles sieht irreal, ein bisschen magisch und ein bisschen unheimlich aus in dieser Welt, die nichtsdestotrotz sehr konkrete Züge moderner Großstädte trägt. Wenngleich die Großstadt-Elemente mal einer früheren Epoche, mal unseren Tagen zu entstammen scheinen. Beziehungsweise Epochen mischen.
Durch solche Szenerien bewegen sich Riddles cartoonartig niedliche und gleichzeitig fast transparente Engel. “Niemand weiß, woher sie kommen”, lautet der erste Satz des Buchs, aber jetzt, da sie einmal hier sind, tun sie, was Engel tun: helfen und beschützen.
Die Probleme, denen sie begegnen, machen ihnen oftmals schwer zu schaffen. Ein Engel fällt ermattet auf den Boden und schleppt sich fortan nur noch müde durch die Welt.
Bis er langsam, aber sicher zur Statue wird.
Doch auch Engel können auf Hilfe hoffen. Dieser hier wird von einigen ganz irdischen Wesen gefunden, die sich ihm gegenüber wie Engel verhalten.
Bis er am Ende wieder fliegen kann. “Und wohin er dann geht?” “Das weiß niemand.”
Was aber jeder weiß, der DER ENGEL AUS DEM NIRGENDWO anschaut und die sparsamen Textzeilen liest, ist, dass Tohby Riddle ein Buch gemacht hat, das sich auch unter außergewöhnlichen Büchern noch außergewöhnlich ausnimmt. Die Geschichte hat das Flair alter Schwarz-Weiß-Filme, gelegentlich denkt man an den weihnachtlichen Filmklassiker “It’s a Wonderful Life”, in dem ebenfalls ein Schutzengel schwer zu tun hat mit dem prosaischen Alltagselend der Menschen. Gleichzeitig ist in diesem Buch alles auf eine ganz eigene Weise geheimnisvoll, und selbst auf die schmale Storyline könnte man verzichten. Die Bilder reichen aus, um die Leser in ihren Bann zu schlagen. Egal, ob diese Leser Kinder im Bilderbuchalter oder Erwachsene sind – und auch, das sei hier ausdrücklich gesagt, wenn sie nicht unbedingt von Natur aus Engelbuch-affin sind.
Am Ende von DER ENGEL AUS DEM NIRGENDWO kann man nur mit John Lurie in “Down by Law”, einem anderen Schwarz-Weiß-Filmklassiker, konstatieren: It’s a strange and beautiful world.
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