Zuletzt aktualisiert am 25. Juni 2023 um 13:59
Zweimal Herbsttee im historischen Kyoto
Ginkaku-ji: Tee in dem Garten, der den ersten Teezeremonie-Raum beherbergt
Zweiter Stop meiner – sehr klassischen – Japan-Route: Kyoto. Während ich in Tokio bei meiner Suche nach dem echten japanischen Tee auf digitale und poppige Erlebnisse, allerdings auch auf sehr stille Überraschungen mitten in der Metropole gestoßen bin, ist Kyoto Balsam für die Seele der Tee-Romantikerin – und jede Tasse erzählt eine Japan-Story.
Es ist November, während ich zehn Tage lang allein durch Japan reise. Die zweite Novemberhälfte gilt in Kyoto als touristische Hochsaison: Dann nämlich nehmen die zierlichen Blätter des omnipräsenten Japan-Ahorns ihre blut-, scharlach-, tomaten- und überhaupt knallrote Färbung an. Ich wusste, dass der Wechsel der Jahreszeiten in der japanischen Kultur eine große Rolle spielt, aber mir war nicht klar, wie hingebungsvoll er zelebriert wird. Alles, schlichtweg alles, ist während meiner Zeit in Japan mit orangen und roten Ahornblättern dekoriert. Schon im Flughafen komme ich an künstlichen Gestecken vorbei, überall hängen Ahorn-Girlanden. Süßigkeiten und Reiscracker gibt es im Ahornlaub-Design, und selbst in der Bento-Box liegt ein essbares oranges Blättchen.
Da ich in der ersten Novemberhälfte unterwegs bin, bekomme ich nur eine Ahnung von der asiatischen Version des Indian Summer. Im Garten des Ginkaku-ji, der Tempelanlage mit dem berühmten Silbernen Pavillon, färben sich erste Blätter tiefrot. Über den Ginkaku-ji könnte man viel sagen: Er ist einer der berühmtesten Tempel Kyotos, gehört zum UNESCO-Welterbe, verfügt über einen wundervollen Garten, wird auch in der Nebensaison so gut besucht, dass man beim Durchstreifen der Anlage öfter mal im Stau steht. Außerdem jedoch gehört zum Ginkaku-ji ein Gebäude namens Togu-do – siehe Bild ganz oben -, in dem das erste Teezimmer entstand: der erste bekannte Raum, der allein der Teezeremonie gewidmet war. Dojinsai lautet der Name dieses speziellen Raums. Dieses Haus lässt sich nur gelegentlich im Rahmen einer japanischsprachigen Sonderführung von innen anschauen, und wenngleich mir jegliche Japanischkenntnisse fehlen, gehört diese Besichtigung zu den schönsten Erlebnissen meiner Reise. Wer einen kompakten Eindruck von der traditionellen japanischen Architektur mit ihrer Raumgestaltung, ihrer Reduziertheit und ihrem engen Bezug zur Natur bekommen will, der besuche diesen Ort.
Tee allerdings gibt es in dem als “national treasure” zertifizierten Bau nicht; den bekommt man im Souvenirshop des Ginkaku-ji: Matcha, schlicht und elegant serviert auf einem schwarzen Teetablett. In die zugehörigen Wagashi – die zum Tee gereichten Süßigkeiten – sind Symbole des Tempels geprägt. Inmitten des touristischen Trubels bin ich die Einzige, die am Rand des Herbstgartens sitzt, ein paar Schritte vom ehrwürdigen historischen Teehaus entfernt, und tut, was in Tokio gar nicht so einfach war: einen traditionellen japanischen Tee trinken.
Süßigkeiten im saisonalen Design und ein herbstlicher Kimono bei Kagizen Yoshifusa
Als es dunkel wird an meinem ersten Kyoto-Tag, kehre ich ein bei Kagizen Yoshifusa: einem traditionsreichen Süßigkeitengeschäft im so historischen wie touristischen Stadtteil Gion. Während unserer ersten Japan-Reise war uns der zugehörige Tearoom von Tokioter Kollegen empfohlen worden, schon damals haben wir dort Tee getrunken. Diesmal versorgt mich Kagizen Yoshifusa mit der ultimativen Herbstromantik à la japonaise: Nicht nur die Wagashi sind saisonal designt; nein: Von meinem Tisch aus habe ich den Rücken einer Dame im Blick, die einen Kimono in feinsinnigsten Herbsttönen trägt. Japan ist an Raffinesse schlichtweg nicht zu überbieten.
Tee-Tourismus: Ein Tag auf den Obubu Tea Farms in Wazuka und ein kurzer Stop in Uji
An der Quelle und am Ziel: Tea Tour bei den Kyoto Obubu Tea Farms
Wenn ich an dieser Stelle bitte nach Strich und Faden kitschig werden darf: Ich gehöre zu den Menschen, die tagein, tagaus mit einer gewissen emotionalen Wallung dankbar sind für den Tee in ihrer Tasse. Seit einigen Jahren stand der Besuch einer Teeplantage sehr weit oben auf meiner nicht eben kurzen Reise-Wunschliste. Weshalb ich während meiner Tage in Kyoto einen Ausflug auf die Kyoto Obubu Tea Farms in Wazuka gemacht habe.
Über diesen Tee-Tag habe ich inzwischen einen kompletten Blogartikel geschrieben. Der Tag war großartig, inspirierend und voller interessanter Eindrücke und Informationen, von denen ich in dem Artikel berichte. An dieser Stelle jedoch schon einmal die Basics: Wazuka ist ein ländlicher Ort in der Präfektur Kyoto, in dem seit Jahrhunderten sehr hochwertiger grüner Tee angebaut wird. Für Nichtjapaner sind die Obubu Tea Farms der ideale Anlaufpunkt, um sich ins Thema Tee zu vertiefen: Ein sehr internationales, großteils junges Team kümmert sich hier nicht nur um den Anbau und die Verarbeitung eigener Tees von hoher Qualität, sondern auch um die Vermittlung dessen, was Nihoncha – der traditionelle japanische Tee – eigentlich ist. Geführte Tee-Touren finden hier so gut wie täglich statt und sind online einfach zu buchen. Nach meinem Besuch bei Obubu kann ich Folgendes sagen: An einem Tag lässt sich eine Menge lernen über Sorten, Anbau, Aromen, Zubereitung. Man kann innerhalb weniger Stunden mehr verschiedene Tees trinken, als man es je für möglich gehalten hätte. Teefelder sehen flauschig aus und fügen sich zu bestechenden Landschaftsbildern. Außerdem hat man eine Menge Spaß bei einer Tee-Tour.
Hochgeklappte Bürgersteige und viele Teekisten in Uji
Zwischen Kyoto und Wazuka liegt die alte Teehändler-Stadt Uji. Uji-Tee steht seit Jahrhunderten für Nihoncha von hoher Qualität; viele der hier gemischten und gehandelten Tees stammen aus Wazuka. Ob sich ein Besuch in Uji lohne, frage ich das Team auf den Obubu Tea Farms am Ende meiner Tour. Ja, sagt man mir, auf jeden Fall, aber nicht nachmittags um fünf Uhr, da habe in Uji alles geschlossen. Naja, denke ich, so schlimm wird es nicht sein. Da mein Zug ohnehin in Uji vorbeifährt, steige ich aus. Und siehe da: Was noch nicht geschlossen hat, ist gerade im Begriff, die Bürgersteige hochzuklappen. In der Dämmerung laufe ich durch die Straßen einer schnieken alten Stadt, die von Teehandlungen gesäumt sind. Hier und da könnte man sich zu einer anderen Tageszeit in ein Teehaus setzen, in einzelne Geschäfte kann ich noch einen schnellen Blick werfen. Viel sehe ich nicht, aber ich bin angefixt. Hier will ich wieder hin, in Uji gibt es eine Menge zu entdecken für Teefans.
Tee in Kyoto: Ippodo muss sein
Learning by doing im Kaboku Tearoom
Wer Tee in Kyoto erleben will, kommt um Ippodo nicht herum. Ippodo ist seit über 300 Jahren eine Institution in Sachen Nihoncha, versendet japanischen Tee in die ganze Welt und hatte bis zur Corona-Zeit sogar in New York einen Shop. Das Hauptgeschäft allerdings steht in Kyoto: eine Teehandlung mit dem angeschlossenen Kaboku Tearoom. Dort kann man die unterschiedlichen japanischen Teesorten probieren: Matcha, Sencha, Gyokuro, Hojicha und andere in diversen Variationen.
Das Konzept des Kaboku Tearooms ist außergewöhnlich: Dem Gast wird nicht einfach ein fertiger Tee serviert, sondern ein Ensemble aus Tassen, Kännchen, Heißwasserkanne und Uhr. Das Personal gibt in mühelosem Englisch Anleitungen, wie man genau den Tee, den man bestellt hat, zubereiten sollte: wie man das Wasser durch Umfüllen abkühlt, wie lange man den Tee ziehen lässt, wie oft man ihn aufgießen soll. Bis man schließlich semiprofessionell selbst Hand anlegt – und einen erhöhten Anspruch an die Teezubereitung mit nach Hause nimmt. Dass ich bei Ippodo jede Menge Franzosen antreffe, wundert mich kein bisschen. Deren kulinarisches Interesse ist grenzenlos und hat dazu geführt, dass Paris eine der Tee-Hauptstädte der westlichen Welt ist.
Maximale Tee-Magie im Shoren-in-Tempel
Nachts im illuminierten Garten
Mein letzter Abend in Kyoto. Ich bin viele Kilometer gelaufen und müde. Aber da wäre noch der Shoren-in: ein Tempel, den ich aus architektonischen Gründen sehen wollte, und der jetzt, im Herbst, bis weit in den Abend hinein geöffnet hat, damit die Besucher seine saisonale Illumination betrachten können. Mein innerer Schweinehund ist stark, aber dieses eine Mal bin ich stärker. Ich mache mich auf den Weg. Denn wer weiß, wann ich wieder nach Kyoto komme.
Und es ist magisch. Es wäre auch magisch, den nächtlichen Tempel zu besuchen, wenn die Bauten, der Garten, der zugehörige Bambuswald nicht in spektakulären Farben illuminiert wären.
Außerdem gibt es Tee. Wer einen entsprechenden Obulus bezahlt hat, nimmt Platz in einer zum Garten hin offenen Halle und bekommt von einem Tempelmitarbeiter unter ritualisierten Verbeugungen einen Matcha mit Gebäck vor die Knie gestellt. Ein Schluck, ein Biss, ein Blick auf den Teich mit Koi-Karpfen und auf den fast noch vollen Mond. Hach, Japan.
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