Zuletzt aktualisiert am 24. Juni 2019 um 13:19
Blutrünstige Insekten statt der erwarteten Wildponys. Ein Strandhäuschen zwischen einem mäßig romantischen Hafen und einer Autobrücke. Bisschen durchgeknallt, bisschen cool. Nicht das, was wir uns zur relaxten Abrundung eines historisch gehaltvollen USA-Trips vorgestellt hatten. Und trotzdem mochten wir Chincoteague Island.
Am Ende des Roadtrips auf der Insel chillen
Niemand in meiner Familie hat je erfahren, wie viel ich für die zwei Nächte in einem der Key West Cottages auf Chincoteague Island ausgegeben habe. Sämtliche Unterkünfte unserer USA-Reise hatten wir über Canusa gebucht, deren Preis-Leistungs-Verhältnis wir schätzen, aber dieses hier habe ich auf der freien Wildbahn des World Wide Web ergattert. Vier pastellfarbene Holzpavillons auf Stelzen, die im Netz genau so aussahen, wie ich mir Strandhäuschen in Florida vorstelle. Ich musste eins haben für unseren abschließenden Inselstop, der als Relax-Finale eines ansonsten kulturell ziemlich dicht gefüllten Roadtrips herhalten sollte.
Chincoteague Island ist eine längliche, schmale Insel vor der Ostküste Virginias; verschlafen und nicht besonders berühmt. Noch weniger berühmt wäre die Insel, wenn es hier nicht eine Herde wilder Ponys gäbe, die in den USA eine Rarität darstellt und von der niemand so genau weiß, wie sie hergekommen ist. Passt super, denke ich: ein pittoreskes Strandcottage und nebenher ein bisschen Tierbeobachtung.
Über eine lange Brücke fahren wir auf die Insel und sehen zu unserer Rechten sofort die vier hübschen pastellfarbenen Pavillons. Zartrosa, hellgelb, lindgrün, fliederfarben. Am Ende steht noch ein grauer, der war auf den Seiten des Buchungsportals nicht zu sehen gewesen. Er ist unserer. Keine Chance auf eine Pastellnacht. Und statt am Strand befinden wir uns in einem mäßig romantischen und roh bebauten Hafen.
Aber wir haben eine riesige Holzveranda zum Wasser hin, Deck Chairs, Möwen. In der grauen Schwüle sitzt man hier ganz gut, und innendrin ist unser Cottage geräumig, außerdem nett im maritimen Stil eingerichtet.
Das Örtchen Chincoteague besteht im Wesentlichen aus einer Main Street. Deren Highlights sind ihre Seafood-Restaurants. Die Szenerie, durch die uns unser Weg zu Muscheln und Schalentieren führt, ist so amerikanisch wie ein etwas unheimliches Film-Suburbia. Welche Geheimnisse könnten sich hinter den dekorativ verzierten Türen der gelb leuchtenden Häuser im Victorian Style verbergen? Auf ihren Schildern behaupten sie, Feriendomizile zu sein, aber wer weiß? Und wieso strahlt der Waschsalon so expressiv ins Dunkel der verlassenen Straße?
Wildlife, anders als erwartet
Natürlich wollen wir die Ponys sehen. Sie sollen auf der kleinen Insel Assateague zu Hause sein, die ganz und gar Naturschutzgebiet ist. Assateague liegt im Osten von Chincoteague Island und ist über eine Brücke zu erreichen. Ich würde gerne eine der Captain-Dan’s-Bootstouren buchen, die sich mir bei meinen Recherchen als die optimale Möglichkeit zur Naturbeobachtung rund um die beiden Inseln darstellen. Leider werden die Boote ausgerechnet an den Tagen, an denen wir da sind, irgendeinem Check unterzogen; Touren gibt es nicht.
Aber wozu haben wir einen Mietwagen? Wir fahren gen Osten, passieren den Eingang zum Chincoteague National Wildlife Refuge, bezahlen 20 Dollar Eintritt und parken beim Strand. Die Luft ist trüb und sandfarben, die Wellen plätschern über unsere Füße, einige unermüdliche Strandbesucher halten trotz zunehmenden Windes die Stellung. Man sieht nicht viel, die Atmosphäre ist eigenwillig.
Auf dem Rückweg zum Auto nähert mein Mann sich einem kleinen Bach. Als er aus dem Schilf herauskommt, sind seine Beine in geradezu alttestamentarischem Ausmaß von dicken schwarzen Insekten besetzt. Wir springen in den “Foul Weather Shelter”, der aus offenbar gegebenem Anlass am Straßenrand steht. Drei weibliche Familienmitglieder sehen feige und tatenlos zu, wie sich der Vater von der lebenden Plage befreit. Es wird Wochen dauern, bis seine Beine wieder normal aussehen.
Wir beschließen, die Ponys vom Auto aus zu suchen. Wir scheitern. Die Insel ist klein, aber nicht so klein, dass sich hinter jedem Baum ein Wildpferd verstecken würde. Die Luft liegt dumpfig und milchiggrün über uns und der Landschaft, die Baumsilhouetten zeichnen unwirkliche Formen in den Nebel, und die Sicht reicht nicht weit. Irgendwann entscheiden wir uns gegen Ponys, gegen Moskitos und für die Wonnen der Zivilisation.
Ein Ice Cream Parlor und ein Raketenstartplatz von der NASA
Zum Glück haben wir uns die Island Creamery empfehlen lassen. Die scheint eine Institution auf dieser Insel zu sein und setzt auf handgemachte Eissorten. Uns damit zu fangen, ist nicht besonders schwer.
Die Island Creamery ist in einer schrillen türkis-lila-orangen Farbkombination gehalten, hat ein bisschen hippiemäßiges Flair und dient gleichzeitig Damen im fortgeschrittenen Alter als Treffpunkt für den Kaffeeklatsch. Wir bleiben länger, als für die beachtlichen Eisportionen nötig wäre, und finden die komplett zwanglose Lässigkeit dieses Ice Cream Parlors extrem amerikanisch.
Noch amerikanischer ist der Ort, den wir am nächsten Tag auf unserer Rückreise von Chincoteague Island aufs Festland passieren. Unser Weg führt uns über Wallops Island, eine noch kleinere Insel, die, weitgehend unbemerkt von der touristischen Öffentlichkeit, den aktivsten Raketenstartplatz der Nasa darstellt.
Unnötig zu sagen, dass während unserer Tage in der Gegend keine Rakete startet. Schließlich hatten wir auch keinen pastellfarbenen Holzpavillon und keine Ponysichtung. Aber das gar nicht mal so kleine Wallops-Besucherzentrum und die geheimnisvollen Anlagen hinter Drahtabsperrungen verströmen doch ein bisschen Raumfahrt-Appeal.
2 Comments
Julia
Das ist ja eine filmreife Kulisse…für einen Horrorfilm 😀 Ich glaube, mir wäre da die Phantasie dermaßen durchgegangen.
Maria-Bettina Eich
Das war auch meine Assoziation. Eine Kulisse für einen sehr amerikanischen Horrorfilm.
Grüße!
Maria