Zuletzt aktualisiert am 27. August 2019 um 12:10
Zwei Teenager im Kunstrausch; ein Museumsaufseher, der mir eine Papierblüte schenkt; Farben, die ich noch nie gesehen habe: In der Ausstellung “Zhuang Hong Yi – Flowerbeds” im Museum Ulm muss Magie am Werk sein.
Der ultimative Ausstellungstipp
Dringender Aufruf an alle, die in Ulm, um Ulm, um Ulm herum wohnen oder bis zum 17. Juni 2018 hinkommen: Unbedingt in die Ausstellung des chinesischen Künstlers Zhuang Hong Yi im Ulmer Museum – mit neuerem Namen Museum Ulm – gehen! Hier wartet ein Glückserlebnis.
Mein Staunen beginnt schon zu Hause: Die 13-jährige Tochter erklärt sich freiwillig bereit, an einem ganz gewöhnlichen Nachmittag mit mir ins Museum zu gehen, und sie nimmt sogar die Freundin mit, mit der sie verabredet ist. Meiner Tochter gefällt der Ausstellungsflyer, und ich bin mir tatsächlich nicht zu blöd dafür, den billigsten Köder auf ihre Aufgeschlossenheit draufzusetzen, nämlich: “Die Kunst da dürfte ziemlich instaworthy sein.” Zur Ehrenrettung meines Kindes muss ich sagen, dass es das Handy nicht mitnimmt ins Museum.
Reispapier, Farben, Blüten
In der Ausstellung empfängt uns Farbe, Textur, Zartheit, Schönheit. Zhuang Hong Yi, der zunächst in China und dann in den Niederlanden studiert hat, arbeitet mit Reispapier, das er zu dreidimensionalen Blüten und Knospen faltet. Diese setzt er zu mal kleineren, mal wandgroßen Ensembles zusammen, den von ihm so genannten “Flowerbeds”, und koloriert sie auf subtilste Weise. Ob die Kunstwerke von Zhuang Hong Yis als Bilder zu bezeichnen sind oder aufgrund ihrer Dreidimensionalität als Wandinstallationen, lässt sich nicht mit abschließender Sicherheit sagen, aber das ist auch egal. Was zählt, ist die Wirkung: Bewegt man sich von einer Seite eines “Flowerbeds” zur anderen, dann changiert die Farbigkeit mit jedem Schritt, geht vom Hellen ins Dunkle über, vom kühlen Blau- ins warme Rotspektrum, vom Zurückhaltend-Pastellfarbenen ins Kräftig-Leuchtende.
Von China in die Niederlande: Der Weg des Zhuang Hong Yi
Man denkt immer wieder einmal an die Seerosen von Monet, bei denen Blüten ebenfalls in einen abstrakten Farbrausch übergehen, und in der Tat wird der 1962 geborene Zhuang Hong Yi gelegentlich als zeitgenössicher Impressionist bezeichnet. Es gab in seinem Werdegang einen Moment, der sein künstlerisches Schaffen zutiefst beeinflusst hat, und der hat denn auch mit einem sehr europäischen Blumenerlebnis zu tun: Als Zhuang Hong Yi 1990 erstmals in die Niederlande kam, sah er beim Anflug auf Amsterdam die Tulpenfelder von Keukenhof. “Es war wie ein Schock: nie zuvor hatte ich Blumen in dieser Fülle und Opulenz gesehen!”, wird der Künstler in der Ulmer Ausstellung zitiert. “Das Bild hat sich regelrecht in meinen Kopf eingebrannt. Und sollte fortan mein künstlerisches Schicksal bestimmen.”
Macht Kunst glücklich?
Eine Museumsaufseherin spricht mich an, sie ist genauso begeistert wie ich und macht mich auf ein Video aufmerksam, in dem Zhuang Hong Yi erklärt, seine Kunst solle den Leuten Freude machen. Bei ihr und bei mir geht die Rechnung auf – aber nicht nur bei uns. Die Mädchen wandeln staunend von Raum zu Raum. Wir schauen uns die Kunstwerke von rechts nach links und von oben nach unten an. Jeder Blickwinkel bietet neue visuelle Überraschungen. Ein Raum wurde als Installation zum Mitmachen konzipiert: Der Boden ist mit Papierblüten übersät; von einem Regal an der Wand darf man welche nehmen und hinzufügen oder sogar als Souvenir behalten. Ein Museumsaufseher überreicht mir eine und freut sich mit uns über die Schönheiten seines Arbeitsplatzes. Als wir das Museum verlassen, bedauert die Dame am Empfang, dass es weder einen Katalog noch eine Postkarte zu den wunderbaren floralen Schöpfungen gibt. Ich kann mich nicht erinnern, je in einer Ausstellung gewesen zu sein, in der das Personal eine solche Begeisterung über die Kunstwerke an den Tag gelegt hätte. Ich möchte unbedingt mit meiner älteren Tochter wiederkommen, denke darüber nach, wie herrlich die Schau auch für jüngere Kinder ist, und überlege, welche Ulmer Bekannten ich sofort in diese Ausstellung schicken muss. Unversehens stellt sich die Frage, die unter halbwegs intellektuellen Menschen eigentlich ein plattes No-go ist: Macht Kunst glücklich?
Zeitgenössische Kunst als Blumenbett
Zhuang Hong Yi operiert mit traditionellen Konzepten und Materialien: mit dem Reispapier, der kunsthandwerklichen Finesse und den ephemeren Formen seiner asiatischen Heimat; mit dem wahrlich nicht ungewöhnlichen Motiv der Blüte; mit Farbspielen, die wohl jeder als schön bezeichnen würde. Er verzichtet auf Kanten, Brüche, rebellische Gesten, hat kein Problem mit dekorativen Effekten – und schafft dennoch etwas, was kein bisschen seicht und gefällig ist. Ich habe mich in den paar Tagen, die seit unserem Ausstellungsbesuch vergangen sind, immer wieder gefragt, warum mich die Arbeiten von Zhuang Hong Yi stärker beeindrucken als viele zeitgenössische Kunstwerke, in deren Konzept eine weitaus größere Sprengkraft angelegt ist.
Komplexe Schönheit
Diese Kunst, die uns auf verführerische Weise sofort in ihren Bann zieht, ist auf den zweiten Blick ziemlich komplex. In dem Moment, in dem wir beginnen, eines der “Flowerbeds” anzuschauen, sind wir bereits Mitwirkende, denn wie das Kunstwerk aussieht, hängt von unserem Blickwinkel ab. Damit aktiviert Zhuang Hong Yi unsere Sinne, zirht uns hinein in den ästhetischen Prozess, macht uns zu Komplizen statt zu Zuschauern. Ständig erleben wir visuelle Überraschungen, kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, empfinden die zarten Papiergebilde als Zauberei – und haben Spaß. Gleichzeiteig packt Zhuang Hong Yi uns bei den Grundlagen unseres visuellen Erlebens, teilt uns mit, dass nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint, dass Wahrnehmung eine vielschichtige Angelegenheit ist und die Wahrheit eine Frage der Perspektive. Bei Zhuang Hong Yi mündet diese Irritation der sinnlichen Gewissheiten nicht, wie es in der westlichen Kunst zum guten Ton gehört, in eine Verunsicherung des Betrachters, sondern eher in ein Glücksgefühl darüber, dass alles immer im Fluss ist. Und natürlich in einen wunderbaren Sinnesrausch.
INFO Zhuang Hong Yi im Museum Ulm:
Die Ausstellung “Zhuang Hong Yi – Flowerbeds” ist noch bis zum 17. Juni 2018 im Museum Ulm zu sehen. Das Museum liegt in der Innenstadtmitte am Ulmer Marktplatz, knappe fünf Gehminuten vom Ulmer Münster entfernt. Die Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr; donnerstags hat das Museum bis 20.00 Uhr geöffnet. Der Eintrittspreis beträgt 8 Euro; Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben freien Eintritt. Am ersten Freitag im Monat ist der Eintritt im Museum Ulm generell frei.
2 Comments
Geertje Marquardt
Ich bin verzaubert!
Maria-Bettina Eich
Liebe Geertje, das ist aber schön! Solltest Du statt nach Norden mal gen Süden fahren, komm zum Kaffee vorbei!
Liebe Grüße,
Maria