Zuletzt aktualisiert am 22. März 2020 um 21:21

Bevor der Zauber am 30. Juli 2016 schon wieder vorbei ist, hier noch schnell ein paar Eindrücke von den beiden Yayoi-Kusama-Ausstellungen, die die Victoria Miro Gallery in ihren zwei Londoner Häusern zeigt.

KusamaExhibitionSchlangestehen in der Wharf Road in Islington

Yayoi Kusama ist 87. So weit ist es bei mir noch lange nicht, trotzdem bin ich eine der Ältesten in der Schlange, die vor der Victoria Miro Gallery in der Wharf Road darauf wartet, die neuen Wunderkammern der japanischen Künstlerin zu sehen. Ein sympathischer junger Brite im gepunkteten Kusama-Shirt informiert uns höflich über die Wartezeit, mit der wir an unserem jeweiligen Standort in der Schlange noch zu warten haben. “35 minutes plus”, erfahre ich, und “inside the gallery the maximum waiting time will be 30 minutes”. Also gut. Für Yayoi Kusama ist mir keine Schlange zu lang, schließlich bin ich Hardcore-Fan. Aber die Geduld der, wie ich höre, 2000 täglichen Besucher dieser Ausstellung finde ich insgesamt schon erstaunlich. Viele haben übrigens Kinder dabei.

Kürbisse. Mal glänzend, mal leuchtend. Und schnell

YayoiKusamaEternalLoveYayoi Kusama: “All the Eternal Love I Have for the Pumpkins” von 2016

Das Erste, was es in der Galerie zu sehen gibt, sind große Bronzekürbisse von spiegelndem Glanz mit schwarzen Punkten. So einen haben wir schon bei Victoria Miro auf der Art Basel gesehen, also schnell weiter in die nächste Schlange, die vor einem der Mirror Rooms wartet: einer geschlossenen Rauminstallation mit vielen Spiegeln. Ich schaue auf die Uhr: 20 bis 30 Sekunden dauert der Aufenthalt meiner Vorgänger in dem Kunstwerk “All the Eternal Love I Have for the Pumpkins”. Man darf den Raum nur zu zweit betreten. Mir wird eine Partnerin zugeteilt, die ein cooles Blumenkleid trägt – ein Glück, denke ich, dann stört sie wenigstens nicht auf den Fotos.

KusamaPumpkinsErstmals leuchten die Kürbisse von Yayoi Kusama

Einlass. Ich habe meine Kamera parat, drücke aber in der Panik fortwährend auf die falschen Knöpfe, sie geht an, wieder aus, wieder an, wieder aus, ein paarmal treffe ich tatsächlich den Auslöser – und bing: time’s over, die Tür geht auf, wir müssen das psychedelische Paradies aus leuchtenden, sich ins Endlose spiegelnden gepunkteten Kürbissen verlassen. Ich glaube, es war toll und eindrucksvoll, doch so richtig Zeit und Muße für ein Kunsterlebnis hatte ich nicht zwischen Stoppuhr und Fotografierzwang. Aber gut, bei 2000 Besuchern pro Tag ist nicht viel Zeit für die einzelne Zweiergruppe, irgendwie klar.

Der Kronleuchter der Yayoi Kusama

KusamaVictoriaMiroMit der Stoppuhr vor dem Mirror Room in der Victoria Miro Gallery

Vor dem nächsten Mirror Room wird die Zeit wieder gestoppt, aber hier geht es relaxter zu – aus einem einfachen Grund: In “Chandelier of Grief” werden etwa vier Personen zugleich hereingelassen, das lockert den Zeitdruck.

YayoiKusamaChandelierYayoi Kusama: “Chandelier of Grief”, 2016

Was ein Glück ist. Bei diesem Kunstwerk installiert Yayoi Kusama einen Kronleuchter inmitten einer geschickt  ausgetüftelten Anordnung von Spiegeln, die das Funkeln des sich drehenden Leuchters in irritierende und faszinierende Bahnen und Ebenen hinein fortsetzen. Der sinnliche und der räumliche Effekt sind enorm. Aus einem Kronleuchter, der schnell nach Bling-bling-Geglitzer aussehen könnte, ein Kunstwerk von fast transzendentaler Wirkung zu machen, dürfte außer Yayoi Kusama so leicht niemandem gelingen. Sie allerdings ist seit Jahrzehnten die Königin der Balance zwischen dekorativem Effekt und eindringlicher Kunsterfahrung.

Spiegelungen im Garten der Victoria Miro Gallery

YayoiKusamaMirrorYayoi Kusama: Where the Lights in My Heart Go, 2016

Im Garten der Victoria Miro Gallery geht es weiter. Im dortigen Teich residiert Yayoi Kusamas Kugel-Kunstwerk “Narcissus Garden”, das sie 1966 für die Biennale in Venedig schuf und dort inoffiziell ausstellte (siehe Bild ganz oben). Doch die rund 800 Kugeln im Teich sind nicht alles, was im Garten der Galerie reflektiert. Auf der Terrasse steht ein komplett verspiegelter Kubus mit dem Titel “Where the Lights in My Heart Go”, der viele eigenwillige Vexierspiele mit seiner Umgebung treibt. Und in den man hineingehen kann – diesmal allein und trotzdem ohne ernstzunehmende Wartezeit. Innendrin eine kosmische Kusama-Erfahrung: Das einzige Licht in dem dunklen Raum ist das Tageslicht, das durch zahllose Löcher in den Wänden hereinfällt. Die alltägliche Stadtumgebung wird in diesem Raum zu einem Sternenhimmel, in dem man sich staunend umdreht und begreift: Nothing is ordinary.

Endlose Netze

YayoiKusamaInfinityNetsYayoi Kusama: The Setting Sun, 2016

Der zweite Ausstellungsbereich der Victoria Miro Gallery in der Wharf Road ist den neuen “Infinity Nets” von Yayoi Kusama gewidmet. Schon früh in ihrer künstlerischen Laufbahn hat sie solche Bilder geschaffen, die über und über mit netzartigen Strukturen bedeckt sind und weder Anfang noch Ende noch ein Zentrum haben. Hier, zwischen den Netzen, ist es sehr ruhig – scheinbar verlassen viele Besucher die Galerie nach dem Erlebnis der Mirror Rooms. Das mag man kulturkritisch als Reduzierung der Kunst aufs Spektakuläre sehen, aber dazu habe ich keine Lust. Manch ein Besucher dürfte nach langer Wartezeit und Kunsterlebnis im Sekundentakt etwas mehr von der Ausstellung mitnehmen als ein paar nette Instagram-Fotos.

Grandioses Alterswerk

KusamaVictoriaMiroMayfair

Ruhig ist es auch am nächsten Tag, als ich die andere Location der Victoria Miro Gallery in Mayfair nicht weit vom Piccadilly Circus besuche. Hier gibt es neue Werke aus Yayoi Kusamas Serie “The Eternal Soul” zu sehen. Seit 2009 malt die Künstlerin diese großformatigen Bilder, die, in meist leuchtenden Farben gehalten, Konstellationen von Strukturen, Mustern, Blumen, organischen Gebilden und symbolträchtigen Ornamenten zeigen. Bei letzteren handelt es sich besonders oft um Augen, die durch Isolierung und serielle Wiederholung fast abstrahiert werden. Auf diesen Bildern gibt es viel zu sehen, jedes für sich scheint wie eine vielschichtige und expressive Erkundung innerer Landschaften – immer von beglückend strahlender Optik. Mit weit über 80 Jahren solche Bilder zu schaffen, die noch dazu ein jüngeres Publikum stark ansprechen, ist ein Gipfel.

KusamaPaintingYayoi Kusama: Talks of a Flower Garden, 2015

INFO

Bis zum 30. Juli 2016 laufen die Yayoi-Kusama-Ausstellungen in den beiden Locations der Victoria Miro Gallery noch. In der Wharf Road Nr. 16 in Islington werden die Rauminstallationen und die “Infinity Nets” gezeigt; mit Wartezeiten sollte man unbedingt rechnen. Von der Underground-Station Angel ist die Galerie in einer knappen Viertelstunde zu erreichen. In der Victoria Miro Gallery Mayfair sind neue Bilder aus der Serie “My Eternal Soul” zu sehen. In der Saint George Street Nr. 14 gelegen, ist sie etwa zehn Gehminuten vom Piccadilly Circus entfernt.