Zuletzt aktualisiert am 9. Februar 2021 um 20:51
Du willst ihr die schönsten Ecken deiner Heimat zeigen, und sie sagt: “Mein Bild von Hamburg wird zerstört.” Willkommen in der unberechenbaren Teenager-Welt. Die Kurve zu einem netten Tag in Hamburgs Westen haben meine Fast-Sechzehnjährige und ich am Ende allerdings doch noch bekommen. Sich den Reizen dieser Ecke der Hansestadt völlig zu verschließen, ist nämlich nicht so einfach.
Wat mutt, dat mutt: das Treppenviertel in Blankenese
Hach, wie schön, denke ich, als wir auf der Elbchaussee nach Westen fahren. Wie lange war ich nicht hier, auf dieser Prachtmeile mit ihrem luxuriösen Grün und ihren unglaublichen Villen. Und wie überfällig ist es, dass ich meinem großen Kind nach fast sechzehn Jahren regelmäßiger Großeltern-Besuche in Hamburg endlich diesen Teil der Stadt zeige, der so lauschig und elegant zugleich ist, so völlig anders als andere Gegenden. Während ich meiner Tochter erzähle, dass die Bewohner des vornehmen Blankenese ihren Stadtteil mit nonchalanter Selbstgefälligkeit das “Dorf” nennen, setze ich das Auto in ebendiesem Dorf in falscher Richtung in eine Einbahnstraße, was das Kind als schlechtes Omen zu werten scheint. Bis wir am Rande des Süllbergs einen Parkplatz gefunden haben, ist die Stimmung bei null. “Alles voll reich hier”, äußert der Teenager abfällig, und dann fällt der entscheidende Satz: “Mein Bild von Hamburg wird zerstört.”
Oh, Mist, das wollte ich natürlich nicht. Als ich knapp 16 war, mochte ich es auch lieber undergroundig als gelackt. Trotzdem fand ich die Kapitänshäuschen-Idylle im Blankeneser Treppenviertel traumhaft.
Und während ich solchen Gedanken nachhänge, stelle ich fest, dass ich ununterbrochen den Teenager, der ich mal war, in den Kopf meiner Tochter hineininterpretiere. Ich pfeife mich zurück, wir gehen schweigend nebeneinander her, den Süllberg hinunter, auf dem die Wohnhäuser eng beieinander stehen und oft nur über Treppen zu erreichen sind. Manche sind alt und reetgedeckt, erzählen von den Fischern und anderen Seeleuten, die die Gegend im 18. Jahrhundert besiedelten. Angeblich wohnen noch ziemlich viele Nachkommen ihrer Familien im Treppenviertel und keineswegs nur Geldadel. Die kleinen Gärten sind oftmals eher malerisch als vornehm. “Ich wusste nicht, dass wir in so eine touristische Ecke fahren”, sagt das Kind.
Und ist auch am Fuße des Berges durch den Elbstrand und das Vorbeiziehen der großen Pötte nicht umzustimmen. Ich schweige, genieße vor mich hin und frage mich, ob das Kind möglicherweise irgendwie recht hat und alles hier vielleicht ein bisschen zu schnuckelig ist.
Zwischenstopp mit Hanseatenadel: Nienstedtener Friedhof
Da man nicht auf jede Stimmungsschwankung Rücksicht nehmen kann und ich an diesem Tag in Hamburgs Westen nicht nur meiner Tochter etwas zeigen, sondern auch meine eigene Memory Lane hinabwandeln will, machen wir nach dem Treppenviertel beim Nienstedtener Friedhof an der Elbchaussee halt. Im Sommer ist dieser Friedhof von betörendem Grün, außerdem gibt es eine Menge zu sehen: auf hohem künstlerischen Niveau gestaltete Grabstätten, ein Panorama von Namen der berühmtesten Hanseatenfamilien und immer wieder Schiffe auf Grabsteinen, oft auch die zugehörigen Berufsbezeichnungen. Hier liegen Kapitäne, Schiffsingenieure, Reeder. Ihretwegen komme ich her, sie sind mein Heimwehfutter. Das Kind? Schaut hin, sagt nicht viel, lässt sich aber ein bisschen hamburgische Geschichte im Vorbeigehen gefallen.
Bauernhaus trifft Nobelviertel: Kaffeetrinken im Röperhof
Dass mein Kind nicht alles zauberhaft findet, wofür ich mich in meinen romantischen Teenagerzeiten erwärmte, ist die entscheidende Lektion dieses Tages. Trotzdem setze ich volles Vertrauen in den Röperhof, denn mit Kaffee und Kuchen geht bei meiner Tochter einiges. Der Röperhof, heute Restaurant und Café, ist ein denkmalgeschütztes Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert, das mitten im feinen Othmarschen gelegen ist. Als solches war er schon vor hundert Jahren eine Ausnahmeerscheinung; heute, nachdem er auch noch den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit unbeschadet überstanden hat, ist er im Grunde ein Wunder.
Vielleicht sind es die Gene, vielleicht ist es der Kuchen, jedenfalls ist meine Tochter dem norddeutschen Charme dieses Hauses gegenüber nicht immun. Die Stimmung wendet sich zum Guten – und das, obwohl ich mich in Betrachtungen über den speziellen Geruch alter nordischer Bauernhäuser verliere. Das Kind beginnt sogar, über den Mangel schöner Cafés in unserer heimischen Umgebung zu philosophieren. Volle Punktzahl für den Röperhof. Als sich der Kuchen dem Ende neigt, wage ich, ehrlich zu sagen, dass ich keineswegs auf den von mir geplanten Museumsprogrammpunkt zu verzichten gedenke. Ich ernte Nachsichtigkeit.
Kontemplativer Ort: das Ernst Barlach Haus
Es gibt Museen, und es gibt das Ernst Barlach Haus. Jedenfalls für mich. Schon lange, bevor die Metropolen dieser Welt überzogen waren von Privatmuseen, die betuchte Sammler durch Stararchitekten hatten errichten lassen, um dort ihre Kunstschätze zu präsentieren, stand im Jenischpark an der Elbchaussee das stille Barlach-Museum der Stiftung Herrmann F. Reemtsma. Noch immer besticht der klare weiße Bau von 1962 im Grün des Parks durch seinen Purismus, noch immer geht man durch eine überaus bescheidene dunkle Tür in einen Kunstraum, dessen Ausstrahlung die Jahrzehnte überdauert.
Meine Tochter weiß nicht viel von Ernst Barlach, dessen Skulpturen ich ihr im Grunde schon seit zehn Jahren zeigen will. Ich sage auch nicht viel, erwähne kurz den Ersten Weltkrieg, der Rest ist Schauen.
Über die Himmelsleiter zur Strandperle
Die Himmelsleiter hinunterzugehen, sind wir Oma schuldig, denn die lief sie als Kind immer zum Spielen an der Elbe hinab. Die Himmelsleiter ist eine Treppe von der Elbchaussee hinunter ans Övelgönner Ufer. Övelgönne ist ähnlich idyllisch wie das Blankeneser Treppenviertel, auch hier wohnten früher Fischer. Außerdem verfügt es über eine Attraktion mit Kultstatus: die Strandperle. In der Strandperle holt man sich seinen Kaffee, sein Fischbrötchen oder sein Bier und setzt sich damit entweder auf einen der besonnenschirmten Plätze oder gleich in den Elbstrand-Sand.
Die Strandperle, das kann ich meiner Tochter glaubhaft versichern, ist der einzige würdige Abschluss eines Sommertages in Hamburgs Westen. Sie hat nichts dagegen.
INFO Hamburgs Westen:
Unsere Mutter-Tochter-Tour in Hamburgs Westen lässt sich in dieser Form am besten mit dem Auto organisieren. Die Punkte, die wir besucht haben, liegen mehr oder minder aufgereiht an der Elbchaussee – und zwar in folgender Reihenfolge, wenn man aus Richtung Landungsbrücken nach Westen fährt: Zunächst führt auf der linken Straßenseite die Himmelsleiter nach Övelgönne und zur Strandperle hinab. Später kommt man rechts zum Halbmondsweg, in den man hineinfährt, um kurz darauf rechts in den Agathe-Lasch-Weg zu biegen, an dem der Röperhof liegt. Zurück an der Elbchaussee, fährt man wenige Minuten bis zum Jenischpark mit dem Ernst Barlach Haus (Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 11.00 bis 18.00 Uhr; Eintritsspreis: 7 Euro, bis 18 Jahre frei). Noch ein Stück, und man gelangt zum Nienstedtener Friedhof, auch er rechts von der Elbchaussee gelegen. Das Treppenviertel befindet sich direkt im Stadtteil Blankenese und ist auch mit der S-Bahn gut zu erreichen: Vom S-Bahnhof Blankenese geht man etwa eine Viertelstunde zu Fuß.
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