Zuletzt aktualisiert am 24. Juni 2019 um 13:21
Wie ist es, wenn man als Fortysomething, Warmduscher, Wandermuffel, Nordlicht, Kulturfreak, Städtejunkie zum ersten Mal nach Südtirol reist? Ein sehr subjektives Fazit nach sechs Tagen Meran und Umgebung.
Gibt es ein Südtirol jenseits der Wanderwege?
“Hoffentlich langweilst du dich nicht, es ist ja ein völlig anderer Urlaubsstil für dich als sonst”, whatsappt mir besorgt die Freundin, deren Tochter mit uns in Südtirol ist. Noch deutlicher hatte es mir vor der Abreise die Freundin geschrieben, mit der ich mehrfach Helsinki durchkämmt habe und die sonst Hardcore-Asienreisende ist: “Südtirol??? Da war ich mit 13 zum letzen Mal!” Andererseits wohnen wir in Baden-Württemberg, und in den letzten Jahren sind immer wieder einmal alte Freunde aus Hamburg auf der Durchreise nach Südtirol bei uns vorbeigekommen. Wenn sich für die der ungleich weitere Weg lohnt, könnten wir doch auch mal schauen, wie es so ist in Südtirol. Trotz meiner mangelnden Affinität zu Bergen lasse ich mich ein auf einen für uns ungewohnten Reiseplan: sechs Osterferientage Meran mit vier Erwachsenen (die sich in der Realität dank einer Sehnenoperation auf drei dezimieren) und vier Girls im Teenageralter. Wie das Experiment verlief und was die Mädchen aus Südtirol gemacht haben, wird Thema späterer Blogposts sein. Jetzt erstmal die Frage: Gibt es ein Südtirol jenseits der Wanderwege?
Plötzlich Sommer
Bevor ich in Meran-Obermais aus dem Bus vom Bahnhof zum Hotel steige, weiß ich nicht, wie manipulierbar meine Sinne sind. Jetzt aber stehe ich zwischen Bergen, Palmen und Villen und habe einen Blütenduft in der Nase, der sich nach den vielen Herbst- und Wintermonaten wie ein grandioser Schock anfühlt. Wir laufen zu unserem Hotel, in dessen Garten ein Pool und Palmen stehen. Ich zweifle an mir selbst: Normalerweise träume ich von Ferien in Skandinavien und auf den Britischen Inseln. Wie kann es sein, dass ich nur ein paar klassische südliche Schlüsselreize brauche und schon in eine hemmungslose Urlaubsstimmung versinke?
Tourismus versus Gastfreundschaft
Nach einer Nacht habe ich mich daran gewöhnt, dass ich in eine Art Entspannungsautomatismus verfallen bin. An dem ist nicht zuletzt unser Hotel schuld: Die Villa Freiheim im Meraner Villenviertel Obermais war ein Internetfund der anderen Mutter in unserer kleinen Reisegruppe, und sie ist perfekt. Wenn ich je wieder nach Südtirol komme (und ja, bei solchen Planungen bin ich bereits), möchte ich nirgendwo anders wohnen. Nie, außer vielleicht in Japan mit seiner extrem höflichen Kultur, habe ich mich in einer Ferienunterkunft so willkommen gefühlt, und im Grunde war mir nicht einmal bewusst, wie angenehm der persönliche Empfang in einem familiengeführten Hotel sein kann. Plötzlich ist mir klar, wie oft ich mir auf Reisen als zwar zahlender, ansonsten aber tendenziell lästiger Gast vorkomme. Hier nicht; hier scheint man sich zu freuen, dass wir da sind, mit Sack und Pack und Teenagern, und alles ist so eingerichtet, dass wir uns wohlfühlen: die Zimmer geschmackvoll in Naturmaterialien, außerdem durchdacht bis hin zu Duschkopf, Snackangebot und Wasserkocher. Wenn wir etwas wissen wollen, sind immer mehrere Leute zur Stelle, die uns weiterhelfen.
Bio-Paradies Südtirol
Mit den vielgerühmten kulinarischen Qualitäten Südtirols kommen wir erstmals beim Frühstück in der Villa Freiheim in Berührung. Dort begegnen wir den sehr zeitgemäßen Tendenzen, mit denen Südtirols Küche in den letzten Jahren von sich reden gemacht hat: lokale Erzeugnisse, die sich auf Traditionen besinnen und für aktuelle Trends offen sind; viel Bio-Kost; Gewürz- und Kräuteraromen, die aus den heimischen Überlieferungen und von den Bergwiesen stammen; ein naturverbundenes Gesundheitsbewusstsein. Wir können Deftiges essen, aber auch hausgemachte Antipasti, Salate, Pasten vom separaten veganen Büffet.
In der Innenstadt von Meran führt das Geschäft Pur das Konzept weiter. Hier gibt es jede Menge Lebensmittel von regionalen Höfen und Erzeugern. Viel Platz nehmen selbstverständlich die Südtiroler Highlights Speck, Schüttelbrot und Wein ein, aber im Grunde kann man sich bei Pur für jede Küchenorgie eindecken.
Mindestens Meran
So weit, so herrlich. Aber lassen wir die Kirche im Dorf. Hätten wir nicht in Meran gewohnt, sondern in irgendeinem Weiler am Berg, dann wäre es mir persönlich schnell zu viel geworden mit Südtirol. Rundherum um Meran führen Promenaden und Wanderwege, ohne Zweifel wunderschön, aber gerne auch gesäumt von höchst folkloristischen Gasthöfen und Geschäften, außerdem bevölkert von einem stetigen Strom Bewegungsfreudiger, die die bestens erreichbaren und ausgebauten Routen ablaufen. Dagegen spricht im Grunde überhaupt nichts, aber mein Ding wird dieses Reisen auf sorgsam vorgezeichneten Wegen niemals sein.
Meran allerdings ist eine Perle. Manche alte Kurstadt trägt eine etwas speckige Patina – Meran nicht. Es gibt eine traditionelle Kuranlage, eine pittoreske Innenstadt mit hübschen Läden in Laubengängen, stille Altstadtstraßen, großartige Panoramen und immer wieder moderne Einsprengsel: perfekte Mischung. Alles ist bestens zu Fuß zu erreichen. Einen Tag verbringen wir in Bozen, das mindestens ebenso schön ist, aber urbaner und italienischer. Wenn ich mal wiederkomme, will ich mir Bozen genauer anschauen, es scheint sich sehr zu lohnen.
Sommervillen in Obermais
Natürlich sind die Berge toll. Aber ich finde sie am allertollsten, wenn sie hinter den Villen des Stadtteils Obermais auftauchen, in dem wir wohnen. Als Meran gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Kurort der Schönen und Reichen wurden, baute manch einer sich in diesem Stadtteil östlich des Flusses Passer eine Sommerresidenz – meist in verspielter Architektur und inmitten üppiger mediterraner Gärten. Viele Villen werden heute als Touristenunterkünfte genutzt, aber von seiner verwunschenen Stille hat der Stadtteil nichts verloren. Zu Fuß brauchen wir maximal 15 Minuten von Obermais in die Innenstadt, und die Atmosphäre dieses Viertels trägt für uns alle – Erwachsene und Teenager – spürbar zum sympathischen Südtirol-Reisefeeling bei.
Spannende Geschichte und Kultur
Schließlich und endlich ist da die bewegte Geschichte Südtirols, das immer wieder Spielball der Mächte war, um seine Autonomie kämpfte, im 20. Jahrhundert zwischen Österreich und Italien hin- und hergerissen wurde. Bis heute ist Südtirol ein kultureller Einzelfall mit dominanten österreichischen Zügen und vielen italienischen Akzenten. Das im Alltagsleben mitzubekommen, ist spannend: In Meran spricht man uns meist auf Deutsch an, aber unversehens geraten wir immer wieder in Restaurants oder Geschäfte, in denen alles mit größter Selbstverständlichkeit auf Italienisch läuft. Beschilderungen sind durchgehend zweisprachig; in einigen Bergtälern wird auch der romanische Dialekt Ladinisch gesprochen.
Ein idealer Ort, um in die Geschichte Südtirols einzutauchen, ist das mittelalterliche Schloss Tirol, das sehr romantisch über Meran thront. Das Gemäuer ist fantastisch, ebenso zwei romanische Portale und eine Kapelle mit alten Fresken. Außerdem aber beherbergt das Schloss das Landesmuseum Südtirol mit einer sehr aufschlussreichen Ausstellung über die Geschicke der Region im 20. Jahrhundert. Den Ausflug auf dieses Schloss haben nur die drei Erwachsenen unserer Teenager-Eltern-Reisegruppe unternommen, was allerdings nicht heißt, dass das Schloss nichts für Kinder wäre. Im Gegenteil, viele ausgestellte Dinge sind für Kids spannend, außerdem gibt es ein eigenes Museumsareal für sie: das Kinderschloss Tirol mit eigens angefertigten historischen Kostümen zum Anprobieren. Erwachsenensache allerdings ist ein Buchtipp, den mir eine Südtirol-begeisterte Freundin gegeben hat (denn nicht alle meine Freundinnen mutmaßen, man könne sich in Meran leicht langweilen): Lion Feuchtwangers historischer Roman “Die hässliche Herzogin” von 1923 liest sich zwar etwas behäbig, ist aber mit seinen spannenden Geschichten um die Intrigen der Herzogin Margarete Maultasch die perfekte Lektüre für alle, die sich eine Vorstellung vom mittelalterlichen Leben auf Schloss Tirol und rundherum machen wollen.
5 Comments
Vera
Irgendwie hab’ ich Lust auf Südtirol… und einen Aperitief am Hotelpool oder in der Meraner Altstadt.
Toller Beitrag !
Maria-Bettina Eich
Merci, my dear – aber ein Karhu auf Helsinkis Esplanadi toppt jeden Aperol Spritz unter Palmen!!
Tessa
Da bekommt man direkt Lust auf Südtirol! 🙂
Maria-Bettina Eich
Nix wie hin!!