Zuletzt aktualisiert am 18. Februar 2019 um 14:57
Natürlich ist es Zufall, dass die Ausstellung “Diana: Her Fashion Story” und die Schau “Grayson Perry: The Most Popular Art Exhibition Ever!” in diesem Sommer zeitgleich in den Kensington Gardens laufen, getrennt durch einen Fußweg von zehn Minuten. Aber wenn man, wie ich, beide direkt nacheinander anschaut, zieht man im Kopf unwillkürlich Verbindungslinien zwischen ihnen. Und ist erstaunt, was dabei herauskommt. Denn ein Statement zum Staate Großbritannien machen sie beide.
Grayson Perry: ein Gesamtkunstwerk im Minidress
Grayson Perry ist ein Gesamtkunstwerk: ein töpfernder Transvestit, der 2003 den Turner-Preis gewonnen hat, der seither mit seinen Vasen, seinen Teppichen und seiner schrillen Selbstinszenierung in Damenkleidern eine prominente Rolle in der britischen Kunstwelt spielt und der gleichzeitig auf verschiedensten Kanälen als kluger Kommentator zu gesellschaftlichen und kulturellen Themen auftritt. Seine neuen Arbeiten sind den Sommer über unter dem von ihm selbst gewählten Titel “The Most Popular Art Exhibition Ever!” in der Serpentine Gallery in den Kensington Gardens zu sehen. Dort ist man freundlich genug, eine unbekannte deutsche Journalistin, die nur kurz per Mail ihr Interesse an der Ausstellung bekundet, zur Eröffnung einzuladen. Mit dem Ergebnis, dass ich ein hinreißendes Geschöpf im psychedelischen Minidress und mit mega-maskulinem Lachen erlebe. Denn das Weibliche beschränkt sich bei Grayson Perry nur aufs Styling; er ist weder transgender noch schwul. “Ich bin einfach ein Kerl in Damenkleidern”, hat er einmal gesagt.
Vasen und Wandteppiche; gern politisch
Dieser Kerl ist mit aufwändig handgetöpferten Vasen berühmt geworden. Material und Technik faszinierten den jungen Perry, und dass er durch den Rückgriff auf die in der Kunstwelt verpönten Handwerkskünste ein Tabu brach, war seiner Bekanntheit nicht abträglich. Auch Wandteppiche entwirft Grayson Perry mit Vorliebe. Meist sind seine Arbeiten überzogen mit vielen kleinen Details: Motiven, Ornamenten und Textbausteinen, die sich im poppigen Duktus zu Miniaturlandschaften zusammenfügen und ihre Message klar zur Schau tragen. Denn Grayson Perry will verstanden werden – nicht nur von Kunstwelt-Insidern, sondern auch von normalen Leuten. Die Arroganz, mit der die kulturelle Elite Popularität gern ablehnt, geht ihm gegen den Strich: Tastächlich die “most popular art exhibition ever” zu bestreiten, wäre ihm eine Freude.
Was auf Grayson Perrys Arbeiten zu sehen und zu lesen ist, bezieht sich oft auf die aktuelle britische Gesellschaft, auf ihre Klassenunterschiede und Rollenklischees. Und dieser Tage auf den Brexit, den Perry offen verurteilt – allerdings ohne diejenigen bloßzustellen, die sich für ihn entschieden haben. Lieber hört der Sohn einer einfachen Familie aus Essex ihnen zu, thematisiert ihre Sorgen und sieht die Ursache der politischen Probleme in einem “Divided Britain”, in dem das Leben je nach Einkommensklasse und sozialer Schicht sehr unterschiedlich aussieht.
Der Exzentriker und die Klassengesellschaft
Grayson Perry tut einiges dafür, dass die Trennwände zwischen den Klassen zumindest im Hinblick auf zeitgenössische Kunst ein wenig durchlässiger werden. Er befragt die Engländer über Social Media zu ihren Gedanken zum Brexit und verewigt diese auf Vasen. Er begibt sich in verschiedene gesellschaftliche Milieus, um sie aus der Nähe kennen- und verstehen zu lernen. Er tritt im Fernsehen auf und vermittelt seine Kunst ans breite Publikum – wirkungsvoll angetan mit schrillen Frauenkleidern. Ein sympathischer Exzentriker.
Wenn es nicht so unglaublich abgeschmackt klänge, könnte man Grayson Perry als die Lady Di der Kunstwelt bezeichnen. Schließlich ist er einer, der die Grenzen zwischen intellektueller Elite und Working Class ebenso aufweichen will, wie Lady Di die Grenzen zwischen Aristokratie und einfachem Volk aufweichen wollte. An den tief in der britischen Gesellschaft verwurzelten Klassenunterschieden haben sie sich beide abgearbeitet, der 1960 geborene Künstler und die 1961 geborene Ex-Prinzessin.
Zehn Minuten Kensington Gardens zwischen Grayson Perry und Lady Di
Vermutlich bin ich nicht Einzige, die in diesem Sommer die zehn Minuten Fußweg zwischen der Serpentine Gallery und dem Kensington Palace zurücklegt, um die beiden dort gezeigten Ausstellungen zu besuchen. Wenngleich die Zielgruppen für Grayson Perry und Lady Di recht unterschiedlich aussehen dürften. Ich persönlich finde die Kombination der beiden Schauen empfehlenswert: Modern Britain in geballter Form, denn obwohl die Ausstellung im Kensington Palace sich um die Garderobe Dianas dreht, erfährt man als Besucher einiges über die englische Gesellschaft. Der Tenor von “Diana: Her Fashion Story” lautet: Dianas Kleiderwahl war keine oberflächliche Modeverliebtheit, sondern in jedem Moment ein Statement. Weshalb es auch keineswegs frivol ist, ihr Leben anlässlich ihres 20. Todestags ausgerechnet mittels ihrer Roben nachzuerzählen. Und zwar in dem Palast, in dem sie lebte.
Kleider, die zu Ikonen wurden
Di war ein Medienstar, das meistfotografierte Mitglied der britischen Königsfamilie, auch nach ihrer Scheidung von Prinz Charles. Die Kleider, die sie auf den zahllosen Fotos trug, setzten Trends, viele ihrer Looks wurden durch die massive Verbreitung der Fotos ikonisch. Ihre Outfits illustrieren die britische Geschichte der Jahre zwischen ihrer Verlobung mit dem Thronfolger 1981 und ihrem Tod 1997. Schon mir scheinen manche der in den Vitrinen gezeigten Kleidungsstücke wie alte Bekannte – wie mag es erst den graumelierten Engländerinnen gehen, die die Ausstellung schwerpunktmäßig bevölkern?
Am spannendsten jedoch ist die Schau da, wo man etwas über die Hintergründe von Dianas Looks erfährt: etwa, dass sie bei Besuchen in Krankenhäusern gern Blumenkleider trug, um Heiterkeit auszustrahlen. Außerdem vermied sie nach Möglichkeit große Hüte, denn in denen kann man keine Kinder umarmen. Vor allem aber zog Di die Handschuhe aus, die die Royals traditionell trugen: Sie wollte beim Händeschütteln keinen Stoff zwischen sich und den Leuten. Zum publikumswirksamen Statement wurde das Ablegen der Handschuhe 1991, als Diana einem Aidskranken die bloße Hand gab – und damit aller Welt signalisierte, dass man sich dadurch nicht mit der noch ziemlich unbekannten und stark stigmatisierten Krankheit ansteckte.
Diana war das Gegenstück zum Klischee des Briten mit der “stiff upper lip”, das ihre Schwiegermutter erfüllte. Statt auf Elitismus setzte sie auf Popularität – und war mit Sicherheit die “most popular princess ever”. Wenn man zwischen ihrer und zwischen Grayson Perrys Ausstellung hin- und herwandert, hat man den Eindruck, dass die Lage nicht einfacher geworden ist in Großbritannien.
INFO: Zwei Ausstellungen in den Kensington Gardens
Die Ausstellung “Grayson Perry: The Most Popular Art Exhibition Ever!” ist noch bis zum 10. September 2017 in der Serpentine Gallery zu sehen. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, der Eintritt ist frei. Die Serpentine Gallery ist am West Carriage Drive gelegen, der durch die Kensington Gardens führt.
Von der Serpentine Gallery sind es zu Fuß etwa zehn Minuten bis zum Kensington Palace. Dort läuft noch bis zum 17. Februar 2019 die Ausstellung “Diana: Her Fashion Story”. Der Ausstellungsbesuch ist in den Eintrittspreis der – lohnenden – Palastbesichtigung eingeschlossen. Der beträgt 15,50 Pfund; für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren ist er frei. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist der Kensington Palace am besten von den Underground-Stationen Kensington High Street oder Queensway zu erreichen.
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