Zuletzt aktualisiert am 7. Juni 2019 um 11:13
Jugendstil ist immer ein guter Ausgangspunkt, wenn man zusammen mit Kindern Kunst anschauen will: Wie starre Formen sich in blumenartige Gebilde verwandeln, ist schon für Kleine eindrucksvoll. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt die Bewegung in der Ausstellung “Jugendstil. Die große Utopie” jetzt von einer anderen Seite. Und wir erleben Töchter, die mit eigenem Interesse bei der Sache sind.
In jedem Alter anders: Kunst mit Kindern
Mit dem Alter der Kinder ändern sich auch die gemeinsamen Kunsterlebnisse. Bis zum späten Grundschulalter sind wir in der Regel gemütlich kommunizierend durch Museen gelaufen, hier stehengeblieben, dort schnell vorbeigehuscht, diskret von Muttern gesteuert. Dann begann das ältere Kind, elterlich initiierte Kulturprojekte grundsätzlich doof zu finden, und zog die jüngere Schwester im Sog der eigenen Anti-Haltung im Rekordtempo mit sich durch die Ausstellungsräume. Irgendwann sahen wir dann die Töchter nahe beim Ausgang gelangweilt auf Bänken herumsitzen und auf uns warten. Mütterlicher Standardsatz: “Schaut euch doch mal dies oder das an!” Kindliche Standardantwort (in finsterem Tonfall geäußert): “Wir haben alles gesehen.” Hin und wieder habe ich sie genötigt, in meinem Schlepptau das eine oder andere Kunstwerk näher zu betrachten. Die Stimmung war bei solchen Unternehmungen nicht immer gigantisch, aber wir Eltern haben das gelassen gesehen und uns gedacht: Auch, wenn sie sich mit demonstrativer Genervtheit rasend Richtung Ausgang bewegen, werden sie den einen oder anderen Eindruck mitnehmen. Und auch, wenn man die Stimmung noch weiter nach unten zieht, indem man sie gezielt vor bestimmte Kunstwerke schleift, wird schon irgendetwas hängenbleiben. Schließlich gehört Genervtheit bei kulturellen Aktivitäten in einem bestimmten Alter zum guten Ton und reicht vermutlich nicht immer bis in die tiefsten Tiefen des Gemüts.
Jugendstil und der Traum vom besseren Leben
Als wir die Ausstellung “Jugendstil. Die große Utopie” im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe betreten, ist alles sofort ganz einfach. Wild und seltsam tanzende Mädchen in komischen Turnanzügen lassen uns vor Bildschirmen stehenbleiben. Die Hamburger Jugendstil-Schau fokussiert sich weniger auf die Blumenformen, dafür mehr auf den reformatorischen Impuls der Kunstbewegung, und mit ihm sind Dinge wie Ausdruckstanz, rhythmische Gymnastik und korsettfreie Kleidung untrennbar verbunden. Genauso wie die Kritik an den entfremdeten Arbeitsbedingungen der frühen Industrialisierung, von denen Filmszenen mit englischen Fabrikarbeiterinnen erzählen. Aus dieser Kritik entstand die Sehnsucht nach einem idealisierten Mittelalter, in dem Menschen von Hand und mit Herzblut wunderschöne Dinge schaffen. Solche romantischen Träume werden durch Bilder der englischen Präraffaeliten und durch Arbeiten des großen britischen Designers, Kunsthandwerkers und Reformators William Morris veranschaulicht.
Wir sehen Reformkleider, Gemälde, die den Menschen in seiner Natürlichkeit darstellen wollen, und Beispiele für den Einfluss exotischer fernöstlicher Welten auf das europäische Kunstgewerbe. Die Töchter ziehen einzeln durch die Räume und bilden diesmal nicht den üblichen “Oh-Mann-ist-das-langweilig”-Block. Werden sie groß? Mögen sie die ausgestellten Dinge? Keine Ahnung, ob sie etwas von dem inhaltlichen Impetus der Schau mitbekommen, aber ich habe keine Lust, etwas zu erklären. Hauptsache, sie schauen hin.
INFO
Die Ausstellung “Jugendstil. Die große Utopie” läuft noch bis zum 28. Februar 2016 im Museum für Kunst und Gewerbe im Zentrum von Hamburg – zu Fuß wenige Minuten vom Hauptbahnhof.
Bild ganz oben: Tapisserie von Edward Burne-Jones und William Morris, 1901
3 Comments
Lena
Das klingt toll! Schade, dass für uns in naher Zukunft kein Hamburg-Trip wahrscheinlich ist. Und vielleicht wäre es bei uns dann doch so, dass die Jungs nur durchlaufen. Ich kann nie sagen, ob eine Ausstellung sie wirklich packen wird, oder nicht. Es hilft, wenn sie vorher durch Bücher oder besser noch Hörspiele einen Zugang zum Thema haben (wir sind irgendwie eine auditiv geprägte Familie), aber eine Garantie ist das auch nicht. Aber manchmal passiert es, so wie du es beschreibst, und sie sind Feuer und Flamme für etwas, das ich gar nicht so spannend für sie eingeschätzt hätte.
Liebe Grüße,
Lena
Maria-Bettina Eich
Hallo, Lena,
stimmt, man weiß bei Ausstellungen und Museen nur selten vorab, ob die Kids Feuer fangen werden oder nicht. Wobei ich finde, es kommt immer auf einen Versuch an, auch wenn man vorher eher pessimistisch ist – die wenigsten Kulturaktivitäten schaden ihnen wirklich, und auch, wenn die Begeisterung sich in Grenzen hält, nehmen sie möglicherweise etwas mit.
Liebe Grüße,
Maria