Zuletzt aktualisiert am 18. September 2019 um 13:30
Früher, als das Reisen auf andere Kontinente noch ein großes Abenteuer war, sammelten europäische Adlige erstaunliche Dinge aus fernen Ländern und stellten sie zusammen mit heimischen Raritäten in Wunderkammern aus. Eine Wunderkammer, die ganz so aufgebaut ist wie die damaligen, gibt es heute im me Collectors Room in der Berliner Auguststraße zu sehen. Mein Tipp: Beim nächsten Berlin-Besuch die Kinder nehmen und mit die magischen und exotischen Räume der Wunderkammer Olbricht durchwandern – staunend.
Unendliche Welten in der Wunderkammer Olbricht
Schwer zu entscheiden, worüber man an diesem Ort mehr staunen soll: über die ausgestellten Artefakte und Naturalien oder über die eigenwillige Atmosphäre, die durch die Versammlung unterschiedlichster Gegenstände aus fremden Ländern und vergangenen Zeiten entsteht. Im Grunde sind es nur zwei Räume und zwei Gänge im ersten Stock des me Collectors Room, aus dem die Wunderkammer des Kunstsammlers Thomas Olbricht besteht, aber die Welt, die sich hier hinter den Vitrinen entfaltet, ist unendlich.
Kostbarkeiten und Kuriositäten
Für Kinder gibt’s in der Wunderkammer Olbricht viel Augen- und Phantasiefutter. Das beginnt schon im Treppenhaus mit dem ersten Blick nach oben: Dort hängt ein präpariertes Nilkrokodil in ganzer Länge an der Decke. Am anderen Ende der Ausstellung steht das, was man in früheren Jahrhunderten als Horn des Einhorns ansah: der mannshohe in sich gedrehte Stoßzahn eines Narwals. Dazwischen finden sich natur- und menschengemachte Kuriositäten und Kostbarkeiten aller Art: religiöse Devotionalien, Kunsthandwerksgegenstände aus exotischen Materialien wie Koralle oder Elfenbein sowie weitere präparierte Tiere. Und außerdem und eine Menge Sachen zum Gruseln.
Die Wunderkammer und der Tod
Totenschädel, anatomische Modelle mit geöffneten Körpern, Dosen in Sargform und “Tödchen” – Statuetten, die den Tod darstellen: Die Berliner Wunderkammer zeigt eine Menge Morbides. Schädel und Todessymbole waren in der Bildsprache des Barock allgegenwärtig – als Vanitas-Motive, die den Menschen an seine Sterblichkeit und an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnern sollten. Ein in der Berliner Wunderkammer ausgestellter Vitrinenschrank aus dem 17. Jahrhundert, dessen Türen mit Totenkopf-Intarsien geschmückt sind und der eine stattliche Sammlung von 30 kleinen Schädeln präsentiert, wirft allerdings die Frage auf, ob hier nicht aus dem Vanitas-Motiv genau das gemacht wurde, wovor es eigentlich warnen wollte: eine passionierte Ansammlung irdischer Güter.
In ihrer Ausstrahlung unterscheiden sich diese Objekte mit religiösem Hintergrund nicht besonders stark von verschiedenen anatomischen Lehrmodellen aus dem 17. Jahrhundert: zierlichen Elfenbeinminiaturen menschlicher Körper, zu Wissenschaftszwecken geöffnet und teilweise zerlegt, dennoch pietätvoll auf einen kleinen Sarg gebettet. Wo auch immer man hinschaut in der Wunderkammer: Die Grenzen zwischen Religion und Naturwissenschaft scheinen fließend – was sie denn für das voraufklärerische Weltbild, dem die historischen Wunderkammern entstammen, auch waren.
Als die Vermessung der Welt noch ein Abenteuer war
Kinder interessiert das nicht, sie haben mehr Spaß an den einzelnen Stücken dieses überraschenden Kuriositätenkabinetts. Unwillkürlich bekommen aber auch sie eine Idee von einer Zeit, in der die Welt riesig und voller Geheimnisse war, in der man der Andersartigkeit fremder Kulturen mit tiefer Verwunderung gegenüber stand – einer Zeit, die Äonen von der Ära der Billigflieger und des World Wide Web entfernt war. Und in der Wunderkammern nicht in hippen Straßen voller schicker Galerien lagen, die nur halb so cool wären, wenn sie nicht durch Akzente typisch berlinerischen urbanen Verfalls ihre subversive Note erhielten.
INFO Wunderkammer Berlin:
Die Wunderkammer Olbricht ist fester Bestandteil des me Collectors Room Berlin, der von der Stiftung Olbricht in der Auguststraße in Berlin-Mitte betrieben wird und in dem ansonsten wechselnde Ausstellungen zur Gegenwartskunst zu sehen sind. Die Öffnungszeiten sind Mittwoch bis Montag von 12.00 bis 18.00 Uhr. Der Eintritt beträgt 8 Euro für das ganze Museum; Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben freien Eintritt. Der me Collectors Room ist von den U- und S-Bahn-Haltestellten Oranienburger Straße, Oranienburger Tor, Rosenthaler Plath und Hackescher Markt zu Fuß in jeweils knapp zehn Minuten zu erreichen.
4 Comments
Gela
Liebe Maria,
das ist ja ein Spitzen-Tipp! Ich liiiiiebe Wunderkammern und hatte keine Ahnung, dass wir hier in Berlin eine haben, in die man einfach reinkann. Der nächste freie Regentag ist schon verplant!
Liebe Grüße
Gela
Maria-Bettina Eich
Hallo, Gela,
Ihr werdet den Besuch nicht bereuen – lass mich hören, wie es Euch gefiel!
Liebe Grüße,
Maria
Simone
Hallo,
Cooler Tip! Ich steh ja auf solche besonderen Museen, die ein wenig verrückt sind. So ein ähnliches gibt es in London auch. Jetzt habe ich Lust auf einen Vergleich der beiden..und ich bin auch bald in Berlin 🙂 perfekte Inspiration, vielen Dank
Simone
Maria-Bettina Eich
Hallo, Simone, das freut mich! Wo gibt es denn so ein ähnliches Museum in London? Wäre vielleicht etwas für den nächsten oder übernächsten Trip…
Herzliche Grüße,
Maria