Zuletzt aktualisiert am 15. Oktober 2017 um 17:42
Bücher-Countdown Nr. 4
Zwei Brüder, einer Comiczeichner und einer Fotograf, werden vom französischen Polarinstitut auf eine Expedition in die Antarktis eingeladen. Nach der Reise veröffentlichen Emmanuel und François Lepage die Graphic Novel WEISS WIE DER MOND (auf Deutsch im Splitter Verlag): ein Buch, bei dessen Lektüre man sich zusammen mit den Autoren vor der Natur verneigt – und vor den Menschen, die sich ihr verschreiben. Für Jugendliche und Erwachsene.
Der Plan: eine Forschungsreise in die Antarktis
Das Abenteuer beginnt ganz unspektakulär: Nachdem der Zeichner Emmanuel Lepage einen Comic über die Reise zu den subantarktischen Inseln Frankreichs geschrieben und gezeichnet hat, fragt ihn der Direktor des französischen Polarinstituts, ob er ein ähnliches Buch nicht auch über Frankreichs Forschungsstationen auf der Antarktis machen wolle. Die Idee: Emmanuel soll zusammen mit seinem Bruder François, einem Fotografen, nach Tasmanien fliegen und von dort auf dem französischen Expeditionsschiff Astrolabe in die Antarktis reisen.
Authentische Alltagserzählung statt Heldenstory
Mit ihren künstlerischen Mitteln – dem Text, der Zeichnung, dem Aquarell und der Fotografie – beginnen die Brüder zu erzählen. Und zwar keineswegs von dramatischen Fahrten durchs Eis, sondern zunächst vom Warten. Das klingt nicht besonders spannend, aber auf den Seiten, die sich um die Vorbereitung, die Organisation und die Teilnehmer der Expedition drehen, kommt eine der ganz großen Qualitäten von WEISS WIE DER MOND zum Tragen: Dieses Buch ist kein touristischer Bericht und auch keine Abenteuerstory, sondern eine dokumentarische Erzählung über eine reale Expedition, die zu wissenschaftlichen Zwecken durchgeführt wird. Der optisch sehr reizvolle, inhaltlich aber unspektakuläre Bericht vom alltäglichen Ablauf einer an sich ungeheuer spektakulären Unternehmung macht einen immensen Reiz dieser Graphic Novel aus. Mit jeder Seite hat man als Leser das Gefühl, tiefer einzusteigen in eine Welt von extremen Bedingungen, harter Arbeit, ausgefeilter Logistik und kompromissloser wissenschaftlicher Passion.
Rückblende auf die frühen Antarktis-Expeditionen
Die Abreise der beiden Brüder verzögert sich, denn ihr Schiff steckt im Packeis fest. Auf einigen aufregend gezeichneten Seiten erzählt Emmanuel die Geschichte von der Entdeckung das Südpols, und auf diesen Bildern geht es dramatisch und abenteuerlich zu wie auf alten Gemälden. Dann holt das zermürbende Warten die Brüder wieder ein. Ihr Abreisezeitpunkt nämlich ist entscheidend: Emmanuel und François wollen an einem Versorgungskonvoi teilnehmen, der Material von der Küste zur Forschungsstation Concordia transportiert. Concordia liegt weit entfernt vom Meer auf dem antarktischen Eisschild und ist nur im Polarsommer zu erreichen. Kommt das Schiff zu spät an, ist der Konvoi, der sogenannte Raid, schon abgefahren. Die Brüder wollen nicht aus reiner Abenteuerlust am Raid teilnehmen, sondern auch, um nicht nur als Zuschauer vom Leben auf der Antarktis erzählen zu können – sondern als Beteiligte.
Inmitten passionierter Wissenschaftler
Als das Schiff schließlich fährt, ist Seekrankheit das beherrschende Thema. Beim Lesen schwankt man mit, stolpert von der Kajüte zum Essen und zurück ins Bett und atmet schließlich auf, als die Brüder wieder am Leben teilnehmen können. Jetzt widmen sie sich der Landschaft, zeichnen, fotografieren. Und sprechen mit ihren Reisegefährten. Viele unter ihnen sind passionierte Wissenschaftler, die mit ihrem Einsatz mehr über die Erde erfahren wollen – und dazu beitragen, den Planeten zu schützen. Wie die junge Meteorologin, die erklärt, warum die Fallwinde der Antarktis für die Klimaentwicklung wichtig sind. Plötzlich ist WEISS WIE DER MOND ein Buch über Wissenschaft, und zwar ein überhaupt nicht trockenes. Auf jeder Seite ist die Schönheit der Landschaft zu sehen, über die geredet wird, und unwillkürlich will man zu denen gehören, die sie schützen.
Endlich: die Antarktis
Die Astrolabe kommt in der Antarktis an. Und, soviel sei an dieser Stelle verraten, nach einigen Verwicklungen nehmen beide Brüder am Raid teil. Damit beginnt ein letzter Teil der Graphic Novel, in dem es zwar ums Überleben geht, allerdings ums Überleben im Rahmen einer täglichen Routine mit präziser Arbeit, durchdachter Organisation und extremem psychischem wie physischem Einsatz. Das Ganze immer wieder durchsetzt mit Bildern von der Landschaft, mit Emmanuels Gedanken zu seiner Rolle als Zeichner und François’ Ausschnitten an Briefen an seine Freundin.
Was für ein Buch
WEISS WIE DER MOND wurde seit seinem Erscheinen – 2014 in Frankreich, 2015 in Deutschland – viel gelobt, insbesondere für seine einzigartige Ästhetik. Aber auch die Texte und überhaupt das ganze Konzept sind bemerkenswert: Die Antarktis-Reise ist für die Brüder Lepage zwar ein Abenteuer und eine Heldengeschichte, aber es ist nicht die Geschichte eines einzelnen Helden, sondern vieler individueller Persönlichkeiten. Und die Überwindung von Hindernissen und Gefahren ist kein dramatischer Gewaltakt, sondern eine Frage von Disziplin und Durchhaltefähigkeit. Mit Lepages dokumentarischer und ehrlicher Erzählung identifiziert man sich leichter als mit Superhero-Stories. WEISS WIE DER MOND ist nicht als Jugendbuch konzipiert, ist aber für Jugendliche ab etwa 14 hervorragend geeignet: gut verständlich und eindrucksvoll. Der Preis ist mit 39,80 Euro stattlich, aber man bekommt dafür ein 250-Seiten-Kunstwerk.
“Weiß wie der Mond” kaufen:
In jeder niedergelassenen Buchhandlung in Deutschland kann man dieses Buch telefonisch oder persönlich bestellen, so dass es am nächsten Tag abholbar ist.
Wer dennoch online ordern möchte, kann das Buch über diesen Link bei Amazon bestellen. Es handelt sich dabei um einen Affiliate-Link, was bedeutet, dass ich einen kleinen Prozentsatz des Kaufpreises erhalte. Wobei ich trotzdem jeden ermutigen möchte, lieber die örtlichen Buchhandlungen zu unterstützen!
2 Comments
Inka
OMG, tausend Dank für diese megaspannende Rezension. Dieses Buch muss ich uuuuunbedingt haben!
Liebe Grüße
/inka
Maria-Bettina Eich
Ja, ich glaube, das musst Du!!!
Liebe Grüße,
Maria