Zuletzt aktualisiert am 3. Mai 2017 um 22:58
Eines der zentralen Themen auf diesem Blog sind Ausstellungs- und Museumstipps für Familien: Wie und wo es gut funktioniert und Spaß macht, Kunst mit Kindern zu erleben. Heute ist der Tag für die nackte Wahrheit: Nein, es läuft nicht immer gut mit Kindern im Museum, und ja, es gibt so manche Arten von Kunst, die man sich mit Kindern lieber spart.
Wer öfter mal auf Kind am Tellerrand herumstöbert, könnte sich fragen, was bei uns nicht stimmt. So viel Kunst und Kultur mit Kindern? Haben wir willenlose Marionetten großgezogen? Wir können allerdings selbstbewusst kontern: Nein. Unsere Töchter wurden weder einer Gehirnwäsche unterzogen noch sind sie Kulturnerds. Sie meckern oft, wenn wir ins Museum gehen – wie es sich für normale Kinder gehört. Je nach Alter und akuter Situation fällt das Gemecker aggressiver, bockiger, lahmer oder intelligenter aus. Gleichzeitig fügen sie sich meistens doch ins Unvermeidliche, und heimlich sind wir Eltern natürlich davon überzeugt, dass ihnen Kunstmuseen auch in größerer Menge nicht schaden, sondern sie langfristig bereichern.
Aber das sind die persönlichen Problemchen, mit denen sich kulturbeflissene Eltern genauso herumschlagen müssen wie wanderwütige oder mit anderen Vorlieben gesegnete, die ihren Kindern die Teilnahme an ihren Lieblingshobbys nicht ersparen. Darüber hinaus gibt es im Falle der Kunst allerdings einige Dinge, die schlicht und ergreifend nicht mit Kids funktionieren. Dies hat uns die Erfahrung einprägsam gelehrt. Um anderen kulturfreudigen Eltern den Umweg über ermüdende Museumsbesuche zu ersparen, kommen hier meine Top Six von Kunstsorten, die bei Kindern leicht floppen.
Anspielungsreiche Bilderzählungen à la Neo Rauch
Hier eine subtile Bezugnahme auf zeitgeschichtliche Ereignisse, dort eine Anspielung auf die Populärkultur, daneben eine auf die Kunsthistorie: Kunstwerke, die einen großen Teil ihrer Wirkung durch das Zusammenspiel von Anspielungen erhalten, verfangen bei Kindern nicht. Ganz einfach, weil die zu jung sind, um die komplexen Bezüge einordnen zu können. Ein Gemälde von Neo Rauch mag trotzdem eine erzählerische oder atmosphärische Wirkung auf ein Kind ausüben, aber die vielen inhaltlichen Unklarheiten verderben den Spaß.
Kunst mit Ekelfaktor
Meine jüngere Tochter ist zwar kürzlich freiwillig mit mir in eine Ausstellung mit Fleisch-Kunst gegangen, doch grundsätzlich gilt zumindest für meine Kinder seit vielen Jahren: Bei allzu körperlicher Kunst oder bei Arbeiten, die gezielt aufs Schockieren durch einen Ekelfaktor setzen, fühlen sie sich schnell abgestoßen – und irgendwie auch veräppelt. Weil sie nicht verstehen, warum sie für so etwas in ein Museum gehen sollen.
Niederländische Ratsherren
Frans Hals: Gruppenporträt der Regenten des St.-Elisabeth-Hospiz von Haarlem, 1641
Bestimmte Sujets sind für Kinder so angestaubt und so weit von allem entfernt, was sie interessiert, dass sie einfach keine Chance haben. Da kann man ihnen tausendmal mit großartiger Lichtführung und genialer Raumkonstruktion kommen; die Langeweile siegt. Was man als Erwachsener unter Umständen ganz gut verstehen kann. Ich habe mir auch erst mit Ü30 freiwillig Niederländer angeschaut.
Impressionisten-Romantik
Claude Monet: Impression Sonnenaufgang, 1873
Als ich zwölf war, waren impressionistische Sonnenauf- und -untergänge meine Vorstellung von Romantik. Aber die Zeiten haben sie geändert. Auch die Kids von heute haben ihre imaginären Welten für träumerischen Eskapismus – man schaue sich nur an, was viele Teens auf Instagram posten. Impressionistisches Flirren allerdings lässt sie meiner Erfahrung nach meist kalt und ist allenfalls von kunsthistorischem Interesse. Warum das so ist? Gute Frage.
Akte
Amadeo Modigliani: Liegende mit unter dem Kopf gefalteten Armen, 1916
Vor dem erfolgreichen Abschluss der Pubertät ist Nacktheit auf Kunstwerken eine schwierige Angelegenheit – meine Elfjährige kam eben am Schreibtisch vorbei, hat das Modigliani-Bild gesehen und gesagt: “Bäh, ist das hässlich!” Was nicht unbedingt treffend formuliert ist, aber ein Beleg dafür, dass man sich in ihrem Alter von Aktbildern oder erotischen Nuancen in der Kunst peinlich berührt fühlt. Natürlich begegnet man unbekleideten Modellen bei jedem Gang durch ein größeres Museum, aber man tut Kindern und Teenagern einen Gefallen, wenn man sie links liegenlässt.
Groteske Kunst
Fernando Botero: Frau mit Blumen, 1976
Kann gutgehen, kann schiefgehen: Groteske Kunstwerke irritieren vor allem dann, wenn Kinder noch klein sind und vom Abgebildeten nur schwer abstrahieren können. Insbesondere wirken sie manchmal verstörend, wenn Menschen auf abstoßende oder erschreckende Weise dargestellt werden. Groteske Bilder muss man mit Kindern keineswegs umschiffen, aber vorsichtig umkreisen, bis der richtige Zeitpunkt für das eine oder andere Werk gekommen ist
Alles, was ich hier erzähle, entspringt unseren eigenen Erfahrungen – und bestimmt haben andere Familien andere Erfahrungen gemacht. Ich freue mich über Kommentare zu diesem Thema!
3 Comments
Jutta
Also wir haben derzeit keine Chance Filius zum Museumsbesuch zu überreden (zuletzt waren wir zusammen im Januar und da ging es um Naturkunde). Was bei Sohnemann funktioniert ist kinetische Kunst, etwa Tinguely. Da fühlt er sich angesprochen. Wir drängen ihn also nicht. Warten einfach, bis er selbst wieder Interesse zeigt und genießen einfach mal die KunstZEIT zu zweit.
Etwas, das weniger Kunst, aber trotzdem sehenswert ist: Streetart. Das mag unser inzwischen 16-jähriger schon. Im vergangenen Sommer war ich mit ihm im verlassenen Dorf Doel bei Antwerpen, wo jedes Haus mit einem Mural verziert ist. Das hat uns beiden sehr gut gefallen.
Sonnige Grüße
Jutta
PS: Kunst mit Ekelfaktor ist auch nicht mein Ding!
Maria-Bettina Eich
Liebe Jutta,
Dein Sohn ist 16, meine ältere Tochter 14 – ich kann mir gut vorstellen, dass auch sie irgendwann gar nicht mehr mitwill. Doch vielleicht macht das gar nichts; man hat die Kids über eine lange Strecke mit dem Kunst-Thema vertraut gemacht, und irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem sie ihr eigenes Verhältnis dazu finden. Aber Street Art ist mindestens ebenso gut wie ein Museumsbesuch! Ich möchte unbedingt mal nach Doel. Vor knapp zwei Jahren waren wir in Antwerpen, und ich ärgere mich sehr, dass wir den Abstecher nicht gemacht haben – mir war damals nicht bewusst, wie nah wir dran waren. Aber die Region ist ja immer eine Reise wert!
Ein schönes Wochenende,
Maria
Carmen
Hallo Maria,
ich denke du hast es auf den Punkt gebracht: Nicht direkt von Kunst und Kultur abschrecken lassen, sondern durch Versuch und Irrtum herantasten, was für die ganze Familie zum Kulturgenuss wird. Mit steigendem Alter werden die Themen da ja auch vielfältiger. Wichtiger ist, denke ich, dass man Kinder überhaupt an Kultur heranführt, damit sie auch als Jugendliche, junge erwachsene und später vielleicht selber Eltern Kulturgenuss leben können.
ach und das mit dem selektiven Bild kenne ich auch: bei unseren Blogs glauben die Leser bestimmt auch manchmal an Gehirnwäsche. aber was soll ich sagen: als wandernde Archäologenfamilie hat man mit der Zeit eben auch so seine Tricks in petto, wie man Quengelei, aber auch zuviel Übermut sowohl beim Wandern, als auch im Museum zumindest gering halten kann. Und wenn’s mal gar nicht geht (jeder hat mal einen schlechten Tag), wird halt abgebrochen und findet vielleicht auch keinen Weg in einen der Blogs.
In diesem Sinne viele Grüße
Carmen
Übrigens toll, dass ich über #KultTrip überhaupt auf deinen Blig gestoßen bin.