Zuletzt aktualisiert am 29. April 2018 um 20:26
Die Pictoplasma ist ein Jahr älter als meine zehnjährige Tochter, mit der ich an diesem Wochenende endlich da war: bei einem Festival, das jedes Frühjahr in Berlin zeigt, was sich international tut im Character Design. Ein Wochenende voller grinsender, fieser, fröhlicher und tendenziell runder Gesichter.
Sernuretta, Türkei: Happiest in the Forest
Früher fand ich Figürchen schrecklich. Zumindest, wenn sie in figürchenfremdem Kontext auftauchten. Auf T-Shirts zum Beispiel oder Geschirr. Ich war der Meinung, was nicht grinsen kann, hat auch nicht zu grinsen: alte europäische Schule. Weshalb ich die frühe Begeisterung meiner jüngeren Tochter für fies-süße Monster denn auch mit großer Skepsis sah. Der Untergang des Abendlandes ausgerechnet in meiner Familie?
Zweigesichtige Flaschen von Yomsnil aus Korea
Dann kamen wir nach Korea und gerieten in den Sog des Asia-Pop. Sechs Tage reichten, um meine bornierte Oppositionshaltung gegenüber dem Lächeln des Produkts aufzuweichen. Hier hatte alles Gesichter, und schon vor dem Rückflug hatte sich die grimmige Niedlichkeit aus der Anime-, Manga- und Kawaii-Konsumwelt einen bleibenden Platz in den Herzen unserer Familie erobert.
Hikari Shimoda, Japan: Child on the Edge
Als wir von der Pictoplasma hörten, fanden meine jüngere Tochter und ich, dass wir das Thema dort vertiefen sollten. Ein ganzes Festival nur für Figürchen; Vorträge, Filme, Ausstellungen über Cute-Monster und Grinsegesichter, und das unter dem wunderbar provokativen Motto “Form follows Empathy”. Die Veranstalter sprechen von Piktopsychologie, was im Emoji-Zeitalter nach einem Visual-Culture-Trend klingt, der uns noch länger begleiten wird.
Banane vom koreanischen Sticky Monster Lab
Wir konzentrieren uns auf die Ausstellungen. Im Silent Green, einem ehemaligen Krematorium im Wedding, findet die Pictoplasma Main Exhibition statt. 18 Illustratoren, Comiczeichner und Multimediakünstler stellen ihre zwei- und dreidimensionalen Arbeiten aus. Schrill und witzig, hintergründig und gespenstisch, gerne auch mal kindlich-albern: Meine Tochter kommt voll auf ihre Kosten, fotografiert besinnungslos und ist bei weitem nicht das einzige Kind im Raum. Als Vertreterin der Ü-40-Generation hebe ich den Altersdurchschnitt in der Ausstellung und gerate dafür auch nicht bei jeder der gezeigten Figuren in Ekstase.
Berlinisch-undergroundig wird es in der Urban Spree Gallery, wo die Nachwuchs-Schau Academy All Stars stattfindet und wo manche Arbeiten direkt als Street Art an die Wände des Urban-Spree-Geländes gemalt sind.
Und dann gibt’s noch die Möglichkeit zum Pictoplasma-Shopping. Die japanische Modemarke Uniqlo ist Partner des Festivals und veranstaltet in ihrem Berliner Geschäft an der Tauentzienstraße diverse Pictoplasma-Aktionen. Zum Beispiel T-Shirt-Entwerfen mit dem renommierten japanischen Zeichner Akinori Oishi.
Auf einem I-Pad kann man sich aus Figürchen und Buchstaben von Akinori Oishi ein T-Shirt designen, während der Künstler daneben in rasender Geschwindigkeit ein Plakat mit seinen typischen Motiven füllt.
Nach unserem Pictoplasma-Wochenende können wir definitiv sagen: Wir hatten Spaß. Wobei wir tolerant bleiben und auch alle verstehen, die hier keinen Spaß hätten. Denen gefällt statt der Blob-Gesichter vermutlich eher die schwanenhalsige Nofretete im Neuen Museum, bei der wir auch waren – doch dazu ein andermal.
2 Comments
Jenny
Ohhhh, das wäre ja was für uns gewesen! Leider verpasst 🙁
Maria-Bettina Eich
Zum Glück gibt’s die Gelegenheit alle Jahre wieder!