Zuletzt aktualisiert am 1. Februar 2024 um 12:27
Wien mit Teenager ist natürlich grundsätzlich ein guter Plan. Wir haben unseren Mutter-Tochter-Trip vor allem dazu genutzt, sehr viel zu essen. Was in Wien eine so empfehlenswerte wie kulturhaltige Tätigkeit ist.
Wien mit veganem Teenager: Die Herausforderung
Als ich vor längerer Zeit auf die Idee kam, mit meiner älteren Tochter nach Wien zu fahren, um dort in erster Linie viele gute Sachen zu essen, war auf kulinarischer Ebene alles noch ganz einfach: Das Kind liebte Schnitzel, Kaffee und Schokolade. Als wir geraume Zeit später wirklich fahren, sieht die Lage anders aus: Kaffee und Schokolade liebt das Kind immer noch, aber es ist vegan. Ich beschließe, die Herausforderung anzunehmen.
Reelle Kaffeehausküche mit veganen Einsprengseln: Café Prückel
Better safe than sorry: Weil ich unbedingt in ein Kaffeehaus will und dort unbedingt ein Wiener Schnitzel essen, recherchiere ich vor der Reise. Im Netz finden sich eine Menge Speisekarten, und die vom Café Prückel führt neben der klassischen Wiener Kost klipp und klar eine kleine Anzahl veganer Gerichte auf.
Das Café Prückel passt mir gut. Ich kenne es nicht, kenne mich in Wien überhaupt nicht besonders aus. Aber ich lese, dass es ein richtig ordentliches Ringstraßen-Kaffeehaus ist, in dem man mit einer Zeitung in der Hand den ganzen Tag zubringen könnte. Außerdem lese ich, dass es in designtechnischer Hinsicht eine Wonne sein soll: eingerichtet mit dem originalen Fifties-Interior, das sich der Architekt und Designer Oswald Haerdtl einst für diesen Ort einfallen ließ.
Das schon etwas angestaubte Ambiente des Café Prückl kriegt uns sofort: ein riesiger Raum mit hohen Decken und zierlichen Möbeln, gehalten in Rosa und Beige. Keine fünf Minuten in dem Etablissement, und da ist es, dieses Andere-Welt-Gefühl, das ich in Wien so wunderbar finde. Die Leute reden ähnlich wie bei uns, nur auch wieder ganz anders, sie sehen so ähnlich aus wie bei uns, aber gleichzeitig ganz anders, und diese kleine Verschiebung sorgt für meinen persönlichen mentalen Wien-Vertigo, der manchmal bewusstseinserweiternder wirkt als die Begegnung mit der weit entfernten Fremde.
Die familiäre Vegan-und-Fleisch-Kombi funktioniert perfekt. Das Kind bekommt gemüsige Pasta, ich das angestrebte Schnitzel. In Vincent Klinks Buch “Ein Bauch lustwandelt durch Wien”, das stellenweise etwas altherrenhaft klingt, ansonsten aber wunderbar ist, habe ich erfahren, dass Sahne in der Panade die Entwicklung von Wasserdampf hervorruft, welche für Blasen zwischen Fleisch und Kruste sorgt. Der Effekt ist bei Prückel gegeben, sowieso ist das Schnitzel eine andere Klasse als das, was man in Deutschland gewöhnlich serviert bekommt. Aber um ehrlich zu sein: Es ist vielleicht nicht das allerbeste Schnitzel, das ich in Wien je gegessen habe. Egal. Wir sind mehr als zufrieden.
Sahnetörtchen, mit tierischem oder veganem Schlagobers: Café Aida
In Sachen Atmosphäre und Design machen wir an unserem zweiten Wientag dort weiter, wo wir am Abend zuvor aufgehört haben: beim angestaubten Rosa. Wir spazieren durch den Stadtteil Alsergrund und wollen eigentlich Mittag essen, als mich durch die Türöffnung des Café Aida hindurch die Vokabel “vegan” anspringt, die auf die Sahnetörtchenvitrine gemalt ist.
Wenn so ein offensichtlich patinagetränkter, einer Epoche lange vor dem Hipster-Zeitalter entsprungener Ort vegane Torten anbietet, dann muss es sich eigentlich um traditionelle Wiener Konditoreierzeugnisse in Vegan handeln. Das, finden wir, sollten wir ausprobieren. Und sowieso hat es uns noch nie Probleme bereitet, das Dessert vor dem Mittagessen zu uns zu nehmen.
Meine Tochter verzehrt ein veganes Schwarzwälder-Kirsch-Törtchen, von dem sie höchst angetan ist. Aida ist eine Café-Kette mit vielen Wiener Filialen und mehr als hundertjähriger Tradition, die in den fünfziger Jahren ein rosafarbenes Corporate Design verpasst bekam – durch den Architekten Rudolf Vorderegger, der vom Prückel-Designer Haerdtl beeinflusst war. Die Atmosphäre liegt irgendwo zwischen Retro-Flair und abgehalfterter Tristesse; die rosafarbenen Mund-Nase-Masken mit “Aida”-Aufschrift, die die Bediensteten in diesem Coronasommer verwenden, sind allerdings einwandfreier Millennial Style. Weniger zeitgemäß sind die rosa Röckchen, die die im Volksmund angeblich als “Aida-Damen” bezeichneten Kellnerinnen seit den Fünfzigern tragen.
Frau Kim kocht koreanisch, gern mit Gemüse und flexibel
Für unser Mittagessen müssen wir vom Café Aida aus nur wenige Schritte die Währinger Straße heruntergehen. Dort finden sich zwei der drei Lokale, die die koreanischstämmige Köchin Kim Sohyi in Wien betreibt: Im Kim Shop verkauft sie kulinarische Produkte und serviert mittags vegane oder vegetarische Gerichte, im Restaurant Kim kocht bietet die ehemalige Fernsehköchin und Kochbuchautorin feine Abendmenüs und unkomplizierte Business-Lunches an.
Der Raum ist klein und intim, eigentlich sollte man wohl reservieren, aber wir haben Glück und bekommen einen Platz. Wie groß dieses Glück ist, wissen wir, als wir die ersten Bissen von unserem Essen nehmen. Obwohl Kim Sohyi für ihre Liebe zum Gemüse bekannt ist, finden sich auf der Karte bei unserem Besuch nur Gerichte mit Fleisch oder Fisch. Ob man das Fleisch bei ihr einfach weglassen könne, fragt meine Tochter den Kellner. Und der fragt zurück, ob sie vielleicht Tofu wolle. Fantastische Flexibilität aus einer fantastischen Küche. Wir essen koreanische Klassiker – Bulgogi und Bibimbap -, die mit maximaler Finesse und kreativen Details zubereitet sind. Vorweg gibt es eine Misosuppe, zum Abschluss ein Stück Melone und ein winziges Gläschen völlig unveganer Schokoladencreme, für die mein Kind kurz seine Prinzipien ausklammert. Das “infused water”, das wir bestellen, kommt in einer Karaffe mit Wurzel- und anderem Gemüse, sieht maximal schön aus und schmeckt unglaublich. Leider habe ich den Restaurantbeleg weggeworfen, aber bei Kim kocht gilt wie so oft in Wien, dass gutes Essen wesentlich günstiger ist als bei uns.
Trześniewski oder: Im Schnittchen-Paradies werden alle glücklich
Unter kulinarischen Gesichtspunkten möchte man ja im Grunde halb Wien nach Deutschland importieren, aber wenn ich mich für ein Importgut entscheiden sollte, dann wäre es wohl Trześniewski. Dort bereitet man seit über hundert Jahren spektakuläre Schwarzbrot-Schnittchen mit Aufstrichen zu, deren Rezepturen streng geheim bleiben. Der polnischstämmige Gründer der legendären Wiener Institution brachte, wie so viele Einwanderer, osteuropäische Küchenimpulse mit in die k.u.k.-Hauptstadt, und von denen profitiert sie bis heute in vielerlei Hinsicht.
Die Schnittchen bei Trzenśiewski sind typischerweise in farbenfroher Drei-Streifen-Optik gehalten und weisen charakteristische Gabelspuren auf den Belägen auf. Diese sind ein Beweis für die Handarbeit, in der die Brötchen – so das vor Ort gebräuchliche Wort – bestrichen werden. Der Preis dieser kleinen aromatischen Wunder treibt einem die Tränen in die Augen: Er liegt bei bescheidenen 1,40 Euro.
Keine Ahnung, ob die vier angebotenen veganen Brötchen-Varianten sich den modernen Trends oder der Tradition verdanken, aber ich kann versichern: Linse mit roter Rübe – österreichisch für Rote Bete – ist der Hammer, auch für Nicht-Veganer. Ebenso wie annähernd hundert Prozent der Schnittchen, die ich bei Trzenśiewski im Laufe der Jahre probiert habe. Das Haus kultiviert den Slogan “unaussprechlich gute Brötchen”, und die verkauft es in immerhin elf über ganz Wien verteilten Filialen.
Exot in der Stadt der Kaffeehäuser: das Teehaus Chánnagasse
Wenn es regnet, kann man in Wien mit Teenager eine ganze Menge schöner Sachen machen. Zum Beispiel in eines der unzähligen Museen von Weltklasse gehen. Normalerweise ist das eine Aktivität, die ich sogar bei Sonnenschein praktiziere und auch in Städten mit einem weitaus schlichteren Angebot als Wien, aber diesmal ist alles anders. Rund eineinhalb Stunden sitzen wir im Teehaus Chánnagasse – über einen Zeitraum, der locker für einen Museumsbesuch gereicht hätte.
Das Teehaus entdecken wir zufällig, als wir unter einem frisch gekauften Schirm mit Sisi-Porträt durch die kleine Annagasse nahe der Hofburg huschen. Den Anschlägen an den Außenwänden ist zu entnehmen, dass es hier um chinesischen Tee geht, das Ambiente sieht einladend aus, wir gehen hinein und bleiben. Gong-fu Cha heißt das Zauberwort an diesem Ort. Damit ist die chinesische Teezeremonie gemeint, die vorsieht, dass man dieselben Teeblätter in winzigen Gefäßen unzählige Male aufbrüht und frisch trinkt, wobei sich das Aroma von Aufguss zu Aufguss verändert. Das funktioniert nur bei hochwertigem Tee, aber etwas anderes haben sie hier sowieson nicht. Ich neheme tiefdunklen Pu-Erh, meine Tochter einen Grüntee. Wir wärmen Tassen vor, gießen, sieben, trinken, schütten nicht benötigtes Wasser über das “tea pet”, das auf jedem der tiefen Tabletts mit Kapazität für viel überschüssige Flüssigkeit ruht. Wir widmen uns den Teearomen und schieben hin und wieder eine exzellente vegane Energiekugel ein. Außer uns sind keine Gäste da. Der Tee-Experte, der uns erklärt, wie alles funktioniert beim Gong-fu Cha, schaut versonnen in den Regen und sagt: “Da kommen’s wieder, die Touristen.” Ehrlicherweise gestehen wir ihm, dass wir auch welche sind. Offenbar jedoch haben wir schon eine ganz gute Wiener Gangart angenommen, sonst hätte man uns sofort entlarvt.
Manner-Waffeln sind sowieso vegan: Wien mit Teenager in Lachsrosa
Manner-Waffeln spielen im Leben meiner Töchter schon lange eine große Rolle. Weshalb ein Besuch im lachsrosa Manner-Imperium neben dem Stephansdom bereits bei unserem ersten familiären Wien-Besuch ein Muss war. Diesmal hat der Reiz noch zugenommen, denn Manner-Waffeln sind seit jeher vegan.
Wir könnten uns mit Devotionalien in der ganz speziellen Manner-Farbe eindecken; vom Flip-flop bis zum Regenschirm ist alles zu haben. Aber wir bleiben bei den Basics. Nicht alle süßen Spin-offs der klassichen Waffel sind frei von tierischen Lebensmitteln, doch wir machen die Entdeckung des Jahres: vegane Lebkuchen! Im Juni! Wir ziehen nach Wien.
Wem die Ladenzeiten nicht ausreichen, der kann übrigens in einem zirkuszeltartigen Manner-Shop auf dem Prater einkaufen – siehe Foto ganz oben im Artikel. Eine Runde im berühmten Riesenrad lohnt sich sowieso, wenn man schon Wien mit Teenager besucht.
Ein Hauch von Japan im 7. Bezirk
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich an einen beruflichen Wien-Trip einen Tag fürs Privatvergnügen gehängt, während dessen ich eigentlich strikt auf Wiener Küche aus war und trotzdem in Mari’s Metcha-Matcha hängengeblieben bin. Das enge Lokal im coolen 7. Bezirk ist so etwas wie eine stylisch europeanisierte Izakaya-Gastwirtschaft für den Genuss kleiner Gerichte. Über die Hintergründe gibt das Internet Auskunft: Das Restaurant wird von der Japanerin Mari Wanzel und ihrem österreichischen Mann Christoph betrieben. Der ist als Designer für die stilvolle Gestaltung des Hauses bis hin zur Speisekarte zuständig.
Mari’s Metcha-Matcha ist kein rein veganes Restaurant, aber etwa die Hälfte der Speisen verzichtet auf tierische Zutaten. Wir schwelgen in Gemüse-Vorspeisen, unter denen es die in Miso marinierte Aubergine – Nasu Dengaku – auf die Liste meiner Alltime-Favourites schafft. Danach Ramen, einmal vegan, einmal mit kräftiger Tonkotsu-Brühe auf Schweinefleischbasis. Hin und wieder denken meine Tochter und ich an dieses Essen zurück und beneiden die Wiener heiß, die nicht nur eine tolle eigene Küche haben, sondern auch ein entsprechend gutes Angebot an internationalen Restaurants.
Zum Nachtisch ein Eis bei Veganista
Von Mari’s Metcha-Matcha sind es nur wenige Schritte bis zu Veganista, einer Wiener Erfolgsstory: Zwei vegane Schwestern hatten irgendwann genug vom ewigen Zitronensorbet und eröffneten 2013 eine eigene Eisdiele, in der nur Lebensmittel auf Pflanzenbasis verwendet wurden. Außerdem ließen sie keine Fertigprodukte in ihre Küchen und Werkstätten, ihr Fruchteis stellten sie mit frischem Obst her, und ständig kreierten sie neue Eissorten, klassische und exzentrische.
Aus der einen Veganista-Location sind mittlerweile zwölf Eissalons in ganz Wien geworden, die keineswegs nur von Veganern frequentiert werden. Das Angebot wechselt so oft, dass das aktuelle Eisprogramm täglich auf Facebook bekanntgegeben wird. Veganista müssen wir probieren, und wir tun gut daran: keine Geschmacksknaller, sondern zarte Aromen; cremiges Eis in überzeugender Konsistenz. Man sollte wiederkommen und sich durch die Sortenvielfalt hindurchessen.
Das vegane Wiener Kultfrühstück im Yamm!
Für unsere letzte Mahlzeit in Wien lassen wir uns von diversen Internet-Empfehlungen leiten, die sämtlich das Yamm! als Go-to-Adresse fürs vegane Frühstück anführen: ein vegetarisches Restaurant an der Ringstraße gegenüber von der Uni. Ich erwarte einen Hipster-Schuppen, aber Pustekuchen: Wir finden uns in einem großen Buffet-Restaurant wieder, in dem der Kellner mindestens dreimal “meine Dame” zu mir sagt und uns ins Obergeschoss auf roséfarben glänzende Polster lotst. Dort sitzen – es ist Sonntag – Familien, Pärchen und Personen, die die Anrede “meine Dame” wirklich verdient haben.
Während das Yamm! größtenteils nach dem Buffet-Prinzip funktioniert, gibt’s die Frühstücke à la carte. Meine Tochter nimmt selbstverständlich die vegane Option mit dem schönen Namen “Bali Sun & Island Breakfast”. Sie bekommt einen Burrito, gegrillte Auberginen mit Granantapfelkernen, einen Avocado-Dip, Soja-Joghurt, ein tropisch gelb-grünes Törtchen und was weiß ich. Mein “Californian Breakfast” intensiviert die tropische Farbskala des Tischs durch eine blaue Joghurt-Bowl; außerdem bekomme ich einen Schoko-Erdnuss-Muffin, einen – halben – Bagel, ein Spiegelei und diverse andere südlich anmutende Häppchen. Kaffee wird nachgefüllt, soviel man möchte, alternative Milch ist selbstverständlich im Angebot.
Hach, Wien. Du funktionierst vegan und nicht-vegan als Food-Paradies. Wir fahren satt nach Hause und beschließen, die Erhöhung des kulinarischen Niveaus in Deutschland zu beantragen.
2 Comments
Jenny
Was für ein wundervoller, Appetit machender Beitrag – wieso hast du den nicht vor unserem Wien-Kurzbesuch im August geschrieben??
Immerhin, im Yamm haben wir auch gefrühstückt (und kurz gekeucht wegen der Preise…), und noch sehr leckere Burger im Swing Kitchen gegessen. Manner ist eh klar 😉
Ich sehe, ich muss da sofort nochmal hin. Ob mit oder ohne veganen Teenie!
Maria-Bettina Eich
Hi, Jenny,
danke – der Punkt bei Wien ist, glaube ich, dass man sowieso immer nochmal hinmuss.
Das Yamm-Frühstück fand ich übrigens auch nicht grade günstig, aber generell muss man schon sagen, dass gutes Essen in Wien eine Ecke erschwinglicher ist als bei uns, oder was meinst Du?
Grüße!
Maria