INWIEFERN GEHT DESIGN KINDER UND JUGENDLICHE AN? #DESIGN-DIENSTAG
Ein Bullet Journal macht das Leben nicht unbedingt einfacher – wenngleich sein Erfinder, der amerikanische Designer Ryder Carroll, das Organisations-Tagebuch genau zu diesem Zweck erfunden hat. Als Carroll ein Kind war, stellte man bei ihm ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom fest. In der Folge arbeitete er 20 Jahre lang an einer Methode, Ordnung in sein Leben zu bringen. Das Ergebnis nannte er Bullet Journal, nach den Bullet Points, die in Präsentationen dazu dienen, einzelne Punkte aufzulisten. Was der inzwischen vom Aufmerksamgeitsdefizit-Syndrom freie Carroll nicht ahnte: dass sein aus der Not geborenes System zu einem globalen Megatrend werden würde.
Die zahllosen Bullet-Journal-Fans, die ihre Tagebuchseiten heute über Social Media mit der Welt teilen, halten sich durchaus an die Basics von Carrolls Methode. Sie benutzen ein Notizbuch mit durchnummerierten Seiten, stellen an den Beginn ein Inhaltsverzeichnis und entwerfen verschiedene Kalendarien, in die sie eintragen, was sie tun müssen und was sie gerne tun wollen. Damit schreiben sie sich ihre Pläne von der Seele und bewahren sie vor dem Vergessen; gleichzeitig organisieren sie ihre Vorhaben nach Priorität. So entstehen maßgeschneiderte Mischungen aus Kalendern, To-do-Listen und Projektbüchern.
Aber das ist noch lange nicht alles, was die große Masse der Bullet-Journal-Fans so sehr an ihren Büchern liebt. Bullet Journals haben sich zu wunderschön gestalteten Inventarien des eigenen Lebens entwickelt. Da werden jahreszeitlich passende Bilder in die Kalender gemalt und aufwendige Farbsysteme für Glückserlebnisse kreiert. Bullet Journals sind Fundgruben der Kreativität, wenn es um Handlettering, Kalligraphie und kleine Kritzeleien geht. Sie speichern auf ihren Seiten die Verwirklichung von DIY-Gelüsten und versinnbildlichen die Liebe zum Analogen, die wie der Rückschlag eines Pendels aus der stetig zunehmenden Digitalisierung unserer Welt entstanden ist.
Außerdem ist jedes Bullet Journal ein Werkzeug der Trend-Ideale Entschlackung und Achtsamkeit – besser bekannt als Decluttering und Mindfulness. Die Community erfindet ständig neue Konzepte von Listen, mittels derer man sein Alltagsleben in seinem Notizbuch verewigen kann. Sleep Tracker und Habit Tracker gehören zu den Standards; schon gelesene Bücher werden ebenso in Listen verzeichnet wie noch zu sehende Filme – und umgekehrt. Die Garderoben der verschiedenen Jahreszeiten, Packlisten für Reisen, Tagesroutinen und Ernährungsgewohnheiten: Für alles ist im Bullet Journal Platz, und jede Liste führt dazu, dass das Leben noch aufgeräumter und übersichtlicher scheint: Decluttering auf Buchseiten. Gleichzeitig ist das Bullet Journal das perfekte Tool für ein achtsames Leben, in dem man nicht hektisch über die Alltagsdinge hinwegsieht, sondern sich jeder einzelnen Verrichtung liebevoll widmet. Bullet-Journal-Fans verlieren vermutlich mehr Zeit mit ihren Büchern, als Ryder Carroll je für möglich gehalten hätte. Dafür gewinnen sie Momente der Ritualisierung, mit der sie den eigenen Alltag zelebrieren. Würde mich irgendjemand nach dem Objekt fragen, das den augenblicklichen Zeitgeist symbolisiert, würde ich ihm ein Bullet Journal geben.
(Danke an meine jüngere Tochter, dank der ich Bullet Journals überhaupt nur kenne und die mir erlaubt hat, ein paar von ihr gestaltete Seiten zu fotografieren. Ich selbst fühle zwar keine Neigung, auf den Zug aufzuspringen, habe mich aber bereits zum Kauf eines neuen, flexiblen und ästhetisch äußerst ansprechenden Kalendersystems inspirieren lassen.)
Was es mit dem DESIGN-DIENSTAG auf sich hat, steht hier
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