Zuletzt aktualisiert am 24. Mai 2021 um 21:51
Unsere unvergesslichste schottische Unterkunft heißt Stonefield Castle und ist nicht so vornehm, wie Schlosshotels auf dem europäischen Kontinent es üblicherweise sind. Wir fühlen uns in diesem Schloss eher wie in einem Agatha-Christie-Film. Obwohl völlig gespensterfrei, ist Stonefield Castle perfekt für uns. Sollten wir einmal wiederkommen, wird es nicht mehr in der EU stehen. Weshalb ich diesen Blogpost mit Wehmut schreibe.
Clan, Loch, Castle: Schottischer geht’s nicht
Die Campbells, so viel steht fest, sind ein großer schottischer Clan. In der westschottischen Grafschaft Argyll hat so ziemlich jeder Hektar Land und jedes herrschaftliche Gebäude irgendetwas mit den Campbells zu tun. Selbst, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der Familie um einen weitverzweigten Clan handelt, ist es erstaunlich, wie viele Schlösser seine Mitglieder benötigten.
Eins davon, weder das stattlichste noch das berühmteste, ist Stonefield Castle. Es liegt direkt am Loch Fyne, nahe beim Örtchen Tarbert; dort, wo die dank Paul McCartney weltberühmte Halbinsel Kintyre aufs schottische Festland stößt. Von Glasgow benötigen wir etwa zweieinhalb Autostunden hierher: zweieinhalb landschaftlich extrem schöne Stunden.
Früher die Campbells, heute wir
Das Schloss, in dem wir drei Nächte verbringen wollen, sieht in unseren Augen erfreulich schottisch aus: wehrhaft und ein bisschen dunkel, geschmückt mit allerlei Türmchen und Erkern, eingebettet in einen waldigen Landschaftsgarten direkt am See.
Wir betreten Stonefield Castle und sind mittendrin in unserem persönlichen Schottland-Film. Wenn man von der Anzahl der Schlafzimmer absieht, kann man sich gut vorstellen, wie hier eine betuchte Familie residierte – herrschaftlich und doch behaglich. Es gibt eine Bibliothek, einen Salon, intime Sitzecken, Nischen mit Schreibtischen, einen Snooker-Raum. Was einst die Mitglieder des Campbell-Clans nutzten, steht heute Leuten wie uns zur Verfügung.
Der Moment, in dem wir Geweihe an der Wand zu mögen beginnen
Am allerbesten ist die Hotelbar mit karierten Fauteuils, Reihen voller Whiskyflaschen, Hirschköpfen und Jagdszenen an den Wänden. Kein Setdesigner eines Highland-Films hätte sich ein besseres Interieur ausdenken können. Haben sie wirklich so bilderbuchmäßig gelebt, die alten Schotten?
Ich entwickle während unserer zwei schottischen Wochen eine nerdige Hartnäckigkeit, mit der ich zu ergründen versuche, wieso dieses Land so filmreif ist. Überall romantische Castles; manchmal in Form von Ruinen, noch öfter allerdings gut in Schuss. Türmchen, Erker, Zinnen finden sich auch an Häusern, die nicht aussehen, als wären sie jemals ein Schloss gewesen. Und immer wieder Innenräume, die so mega-schottisch sind wie unsere Hotelbar, ohne aber die gelackte Anmutung teurer Luxussanierungen zu besitzen.
Wieso sieht Schottland so filmreif aus?
Ich kaufe Bücher, die mir erklären, dass das Bilderbuch-Schottland zu großen Teilen eine Kreation des 19. Jahrhunderts ist. Dank des durch den Handel mit den Kolonien entstandenen wirtschaftlichen Aufschwungs sei es zu einem Bauboom gekommen, im Zuge dessen sich die Schotten auf ihr mittelalterliches Erbe besonnen hätten. Schuld daran sei nicht zuletzt Sir Walter Scott gewesen, der mit seinen Romanen bis heute das romantische, wilde, heroische Schottland-Bild prägt.
Gleichzeitig entdeckte Queen Victoria, die der ganzen Epoche ihren Namen gab, die raue Landschaft der Highlands für sich und machte sie unter den besseren Schichten der englischen Gesellschaft populär. Es wurde schick, sich zum Jagen und Fischen auf einen schottischen Landsitz zurückzuziehen – und der sollte natürlich so aussehen, als hätte er von einem von Sir Walter Scotts Helden bewohnt sein können.
Viktorianismus versus EU-Bürgerschaft
Also baute und restaurierte man ein Schottland, das mittelalterlicher aussah als das echte Mittelalter. Dieser Retro-Welle verdankt sich auch unser Schlosshotel. Zwar gab es an seinem Ort bereits im 18. Jahrhundert ein Campbell-Schloss; der aktuelle Bau jedoch stammt von 1837. Weshalb sich das Stonefield Castle Hotel zwar altmodisch, aber weder archaisch noch fake anfühlt. Und wir sind nicht einfach Eindringlinge aus dem reiselustigen 21. Jahrhundert, sondern so etwas wie die legitimen Nachfahren der viktorianischen Schottland-Touristen, wenn wir in der Hotelbar unter Jagdtrophäen am Breakfast Martini nippen – oder natürlich, stilechter, am Whisky.
Aber genau das wollen wir nicht. Wir wollen uns nicht wie viktorianische Engländer vorkommen, die, von folkloristischen Sehnsüchten beseelt, nach Schottland reisen. Weil wir nämlich Europäer sind und weil unsere Anglophilie durch das Brexit-Referendum einen heftigen Knacks bekommen hat. Und weil wir uns zwei Wochen lang zutiefst solidarisch mit diesen Schotten fühlen, die nach jahrhundertelangen Unabhängigkeitskämpfen endlich zu einer friedlichen Existenz im United Kingdom gefunden hatten und jetzt gegen ihren Willen die EU verlassen müssen. Ein Jammer.
INFO: Stonefield Castle Hotel
Zunächst ein paar Worte zum Preis unserer schottischen Schlossübernachtungen: Wenngleich das Stonefield Castle Hotel um einiges günstiger ist als ein luxuriöses kontinentales Schlosshotel, ist der Aufenthalt hier nicht wirklich gut für unseren Geldbeutel. Der entscheidende Punkt jedoch ist: Ganz Schottland ist schlecht für unseren Geldbeutel. Egal, wo wir suchen, in der Stadt oder auf dem Land: Schottische Hotels sind teuer; auch, wenn sie nicht in Schlössern untergebracht sind. Für ein Castle Hotel ist Stonefield relativ erschwinglich. Da die Preise saisonal variieren, gebe ich hier keinen an, sondern verweise auf die Website.
Die Lage des Hotels ist perfekt: Vor der Tür liegt Loch Fyne; der nette Künstenort Tarbert ist knapp 4 Kilometer entfernt. Südllich von Tarbert ragt die Halbinsel Kintyre ins Meer, weshalb sich eine Kintyre-Tour anbietet. Auf dem Blog family4travel findet sich ein ausführlicher Kintyre-Guide. Wer wenig Zeit hat, fahre trotzdem unbedingt an die Westküste mit ihren schroffen Felsen, Stränden und gelegentlichen Seehunden.
Wiewohl Stonefield Castle Hotel die perfekte schottische Schlosserfahrung für unsere Familie ist, gibt es ein paar Dinge zum Standard anzumerken: Wer eine Inneneinrichtung erwartet, die auf dem neuesten Stand ist, wird enttäuscht werden – den Räumen des Hotels sieht man an, dass sie schon ein paar Jahre erlebt haben. Was den Komfort für mein Empfinden allerdings nicht einschränkt. Im Winter dürfte Stonefield Castle weniger gemütlich sein als im Sommer, die Fenster wirken teilweise etwas zugig. In einem verglasten, neu hinzugefügten Schlosstrakt mit wunderbarem Seeblick ist ein Restaurant untergebracht, in dem wir gut gegessen haben. Noch mehr Spaß hatten wir allerdings am günstigeren, ebenfalls warmen Bar Food in der Hotelbar. Das Frühstück hingegen war keine Wonne. Es schmeckte zwar nicht schlecht, wurde aber stets erst nach langem Warten von unmotiviertem und unaufmerksamem Personal serviert. Das kann man natürlich auch positiv sehen: So hatten wir endlos Zeit, den Loch-Blick zu genießen. Allerdings mit hungrigen Mägen.
6 Comments
Lena
Ahhh, wie schön, hier bei dir einen Erfahrungsbericht zu lesen! Das Stonefield Castle Hotel hatte ich nämlich auch schon am Wickel, als ich nach Unterkünften für Kintyre geguckt habe, aber es war mir dann doch zu teuer dafür, dass es so weit nördlich liegt. Toll, dass ich dank dir jetzt doch einen näheren Eindruck bekomme!
Maria-Bettina Eich
Bei uns gab es das innerfamiliäre Briefing “In Schottland mindestens einmal im Schloss übernachten” – und wenn schon Schloss, dann ist Stonefield immerhin noch einigermaßen erschwinglich.
Lena
Sehr günstige Hotel-Schnäppchen kannst du übrigens auch in Schottland machen, aber halt eher in den großen Städten und in den gängigen Hotelketten. Wir haben in Glasgow für 54 Euro zu viert im Familienzimmer übernachtet, ich glaube sogar, inklusive Frühstück. Südlich von Tarbert habe ich auf ganz Kintyre auch nichts unter 200 Euro die Nacht für uns vier gefunden, wenn man nicht campen will.
Maria-Bettina Eich
Ketten in den Städten sind sicher die beste Option, wobei wir auch da Pech hatten, denn sowohl in Glasgow als auch in Edinburgh fanden während unserer Reise Großveranstaltungen statt, was die Preise in die Höhe trieb. In Edinburgh bin ich mehrmals sehnsüchtig am Motel One vorbeigegangen, was ja in der Regel immer erschwinglich und angenehm ist, aber das war ausgebucht…
Xenia Hausbeck
Das sieht urgemütlich aus. Und wenn man weiß, dass man keinen Hotelservice erwarten darf, kann man sicher über ein paar Dinge wie das eher mäßige Frühstück hinwegsehen. Schöner Bericht!
Maria-Bettina Eich
Es war urgemütlich – und wirklich ein Erlebnis! Wobei ich betonen will, dass man durchaus Hotelservice bekommt; es gibt nur hier und da ein paar Schwachstellen, die uns aber nicht so sehr gestört haben, dass wir nicht liebend gern wiederkommen würden.
Herzliche Grüße!
Maria