Zuletzt aktualisiert am 28. August 2023 um 10:09
Wir hatten drei Tage in Manchester, drei in Liverpool. Über keine der beiden Städte in Nordengland wussten wir mehr als die simpelsten Basics: Industrialisierung. Beatles. Fußball. Es ist vielleicht unsinnig, Städte miteinander zu vergleichen, aber wir haben es ganz unwillkürlich getan. Ergebnis? Siehe unten.
1. BEI NACHT UND ZU FUSS
Manchester und Liverpool gleichauf
Ganz oben: Manchester, Pub “The Salisbury”. Hier: Liverpool, Albert Docks
Das Bild ganz oben habe ich in Manchester gemacht. Das darunter in Liverpool. Ich hätte sie auch tauschen können. Auf jeden Fall belegen sie, dass eine entscheidende Regel auch für die beiden Großstädte in Englands Nordwesten gilt: Nachts sind alle Städte schön.
Außerdem haben wir eine zweite, für Nordengland-Reisende sehr praktische Feststellung gemacht: Obwohl Manchester mit seiner etwas mehr als halben Million und Liverpool mit seiner etwas weniger als halben Million Einwohner keine kleinen Nester sind, lassen sich die Zentren beider Städte hervorragend zu Fuß erkunden. Wir haben während unserer Manchester-Liverpool-Tage nur einmal ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt, und das war der Zug, der die beiden Städte verbindet. Die Fahrt dauert übrigens rund 50 Minuten.
2. KUNST UNTER FREIEM HIMMEL
Manchester: Street Art im Northern Quarter
Hinter der urbanen Meise steht die Künstlerin Faunagraphic
Stencil von Christian Guémy, der unter dem Namen C215 arbeitet
Das Northern Quarter ist Manchesters kreatives Szeneviertel mit Bars, Cafés, Clubs, vielen dunklen Back Streets und einer Menge Street Art. So dicht an dicht wie hier findet man Murals, Stencils, Graffiti nur selten.
Liverpool: Die Mersey Ferry von Sir Peter Blake
Razzle Dazzle Ferry von Sir Peter Blake
Als Peter Blake 1967 das legendäre Cover des Beatles-Albums “Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band” entwarf, war er noch kein Sir; den Adelstitel bekam der 1932 geborene Pop-Art-Künstler erst in den Achtzigern. Als wir in Liverpool sind, können wir auf einem der neuesten Peter-Blake-Kunstwerke auf dem River Mersey herumschippern: einer von ihm gestalteten Flussfähre. Sie greift die Razzle-Dazzle-Muster auf, mit denen sich britische Schiffe während des Ersten Weltkriegs vor U-Booten schützen wollten – wobei die Farbgebung allerdings weniger auffällig war. Die Mersey-Fähre passt gut zu einem Künstler, der mit den Beatles berühmt geworden ist: “Ferry, cross the Mersey” hieß schließlich einer der berühmtesten Mersey-Beat-Songs, die die Beatles beeinflussten.
3. ZUCKER
Manchester: The Chocolate Ape bei Affleck’s
Britpop mit Zucker
Paradise found
The Chocolate Ape ist der Ort, an dem sich Candy und Eye Candy zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk verbinden. Der Laden ist schmal, hat seinen Sitz in Manchesters undergroundigem Kult-Kaufhaus Affleck’s Palace und ist spezialisiert auf Retro-Süßigkeiten sowie kultige Softdrinks in psychedelisch-knalligen Verpackungen.
Liverpool: Quay Confectionery und Donuts am Dock
Einzigartiges Kunstwerk: die Beatles als Jelly-Bean-Mosaik
Auch Liverpool spielt ziemlich weit oben mit in der Zucker-Liga. Das Angebot der Quay Confectionery an den Albert Docks mag zwar teilweise ein wenig zu offensichtlich auf Touristenbedürfnisse zugeschnitten sein, dafür verfügt das Geschäft aber über das weltweit vermutlich einzige Jelly-Beans-Mosaik von den Beatles.
Nostalgische Food Trucks liegen in Nordengland im Trend
Außerdem gibt es an Liverpools Uferpromenade jede Menge pittoresker Food Trucks: eine britische Mode, wie uns scheint. Der Donuts- und Süßigkeiten-Truck ist eine Sehenswürdigkeit für sich.
4. FUSSBALL
Für ein Viertel unserer Familienmitglieder ist Fußball eine hochemotionale Angelegenheit, weshalb auch Fußballtourismus bei uns niemals unparteiisch sein kann. Schon die Vergleichsmöglichkeiten, die uns in Manchester und Liverpool zur Verfügung standen, waren ein wenig unausgewogen gewählt. In Manchester waren wir nicht in Old Trafford, dem Stadion von Manchester United, wo das Fußballherz der Stadt schlägt. Stattdessen haben wir dem National Football Museum einen Besuch abgestattet, das den englischen Fußball allgemein feiert. In Liverpool hingegen sind wir sind wir mitten ins Herz eingedrungen und haben das Anfield Stadium besucht, in dem der Liverpool FC zu Hause ist – samt Museum. Während der Vater in anderen Sphären schwebte, haben wir übrigen drei aus Mädelsperspektive erlebt, was wir hier weitergeben können.
Manchester: The National Football Museum
2012 eröffnet: das National Football Museum in Manchesters Innenstadt
Ein imposanter Glasbau mit vielen Etagen voller Fußball-Reminiszenzen und -Animationen. Wenn man mit der Geschichte des englischen Fußballs vertraut ist, muss das National Football Museum das Paradies sein. Wir sehen es den Menschen um uns herum – darunter vielen Kindern – an. Wir hingegen, dank familiärer Umstände selbst auch nicht ganz unbedarft, sind überfordert. Wo sollen wir hin? Was sollen wir anschauen? Wir verlassen die heiligen Hallen, für die wir zum Glück keinen Eintritt zahlen mussten, relativ schnell und suchen in den umliegenden Straßen nach School Shoes für das ältere Kind, das wir nach dem Urlaub für drei Monate in einem Internat in Yorkshire lassen werden.
Liverpool: The Liverpool FC Story
Rote Leidenschaft
Unser Liverpool-Fußball-Tag beginnt mit Andacht, das war nicht anders zu erwarten. Die weiblichen 75 Prozent unserer Familie sind allerdings grundsätzlich bereits recht abgestumpft, wenn es um Fußball-Andacht geht. Weshalb wir umso überraschter sind, dass uns hier, in den Museumsräumen von The Liverpool FC Story, Gänsehaut überkommt. Ich zweifle an mir selbst. Wie machen sie das nur? Die Liverpool-Memorabilia sind emotional präsentiert, immer wieder tönt Stadionjubel aus Lautsprechern – und obwohl mir versichert wurde, dass ich die Reichweite dieser Worte niemals verstehen würde, verfängt das überall gelesene und gehörte “You’ll never walk alone” sogar bei mir. Für die Dauer eines Museumsbesuchs glauben hundert Prozent unserer Familienmitglieder, dass Fußball mehr ist als ein Spiel, bei dem es im gleichen Maße ums Geld wie um den Ball geht. Kurz vor dem Ausgang lesen wir ergriffen Jürgen Klopps Lobgesang auf den englischen Fußball: “rainy days, heavy pitches, everybody with mud on their faces and when the players go home they can’t play for the next four weeks!”
Auch unser Hotel in Liverpool war dem Fußball gewidmet – mehr dazu hier.
5. STADTBILD
Manchester: Backstein und viktorianische Pracht
Ein Fabrikschornstein mitten in der Innenstadt
Love it or leave it: Manchester
Manchester war eines der wichtigsten Zentren der Industriellen Revolution, und sie war es, die die Stadt groß machte. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts an begann Manchester zu wachsen – nicht langsam, sondern schnell, und immer an den Bedürfnissen der Industrie entlang. Warenhausarchitektur in Backstein prägt das Bild – auch in der Innenstadt. Dazwischen findet sich viktorianische Pracht, denn in Manchester wurde zu Zeiten von Queen Victoria eine Menge Geld gemacht. Das Ganze hat etwas Raues, Eigenwilliges, was man sehr mag, wenn man, wie ich, aus Hamburg kommt – und nicht unbedingt nur dann.
Liverpool: Backstein und Hafen-Eleganz
Die Liverpool Waterfront mit den Three Graces im Hintergrund
Der Fluss Mersey ist in Liverpool so breit, dass man sich an seinem Ufer ein wenig wie am Meer fühlt. Das liegt daran, dass Liverpool ganz nah an der Mündung des Mersey in die Irish Sea liegt. Das Ufer ist der Anziehungspunkt der Stadt – seit jeher. Hier stehen die berühmten Three Graces: drei repräsentative Bauten, die vor rund hundert Jahren als Geschäftshäuser gedacht und als Sehenswürdigkeiten gebaut wurden. Vor einer Kulisse von Hafenbecken und modernen Gebäuden, die im Laufe der Zeit dazugekommen sind, nehmen sie sich ziemlich erhebend aus.
Die Albert Docks
Ein paar Gehminuten davon entfernt liegen die Albert Docks – und zeigen, dass Liverpool auch eine Backstein-Stadt ist. Die Albert Docks waren ursprünglich Warenhäuser, vor denen die Schiffe direkt entladen wurden; heute beherbergen sie Cafés, Touristenshops und Museen. Liverpool hat Küstenort-Charme. Die großen Zeiten des Hafens sind vorbei; die Waterfront wird heute für Freizeitaktivitäten genutzt.
6. NIGHTLIFE UND NEON
Manchester: LGBT
Manchester, erleuchtet in den Farben der Regenbogenflagge
Manchester ist ein LGBT-Mekka. Wir geraten mitten in das Manchester-Pride-Festival hinein, während dessen alles, sogar die Werbeplakate im Supermarkt, mit den Farben der Regenbogenflagge geschmückt ist. Aber auch zu Nicht-Festival-Zeiten ist Manchester mit seinem Gay Quarter ein Hotspot der LGBT-Bewegung, der viele Besucher anzieht.
Liverpool: Cavern Club
Die Mode hat sich gewandelt, seit die Beatles im Cavern Club spielten
Alles zu Ehren von John, Paul, George und Ringo
Wer zum Feiern nach Liverpool kommt, ist nur im Ausnahmefall auf der Suche nach LGBT-Clubs. In der Regel zieht es ihn eher in die Mathew Street, wo sich Bar an Club an Pub reiht – und aus allen ist Beatles-Musik zu hören. Denn sie liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Cavern Club, in dem die frühen Beatles oft spielten. Der Cavern Club existiert noch heute. Am Abend sind die Schlangen vor dem Eingang lang, und außer den Besuchern haben hier sogar die Türsteher graue Haare.
7. MUSEEN
Wenn man den Fußball ausklammert, beschränken sich unsere Museumsbesuche in Liverpool und Manchester auf je eins – in beiden Fällen auf eins, das für das steht, wofür die jeweilige Stadt ganz besonders berühmt ist.
Manchester: Museum of Science and Industry
In Nordengland zu Hause: die Industrielle Revolution
Manchesters Museum of Science and Industry ist so groß wie ein Landschaftspark, und wir hätten problemlos einen ganzen Tag darin verbringen können – zwischen Fabrikgebäuden, alten Maschinen, einem stillgelegten Bahnhof, Flugzeugen, Technikvorführungen und Wissenschaftsausstellungen, die teilweise auf Kinder zugeschnitten sind. Die Geduld unserer Töchter ist an diesem Tag nicht endlos, aber es lohnt es sich auch, für ein paar Stunden im MOSI – so die gängige Abkürzung – in die Industriegeschichte der Stadt Manchester einzutauchen.
Liverpool: The Beatles Story
So sah der Cavern Club zu seinen großen Zeiten aus
In einem Souterrain in Liverpools Albert Docks befindet sich The Beatles Story: ein Museumsparcours, der seine Besucher durch die Karriere der berühmtesten Söhne der Stadt führt. Wir sind eine Familie von Audioguide-Muffeln, aber hier sind die Kopfhörer ein Muss, denn ohne die eingespielte Musik würde das Museum nicht halb so viel Spaß machen. So aber ist es klasse – für uns Eltern, die wir Mengen von Beatles-Songs und viele Fragmente der Geschichte der Fab Four in irgendwelchen selten genutzten Winkeln unseres Hirns gespeichert haben. Und für unsere Töchter, die hier ein cooles Kapitel Kultur- und Musikgeschichte erzählt bekommen und ins Yellow Submarine hineindürfen. Ein echtes Bildungserlebnis!
8. TEEN-FUN IN DEN METROPOLEN VON NORDENGLAND
Manchester: Affleck’s Palace
The Bead Shop in Affleck’s Palace
Affleck’s Palace kam oben schon vor, als es um Süßigkeiten ging, aber man kann dieses Kaufhaus nicht oft genug erwähnen. Über 70 kleine und winzige Läden drängen sich in den labyrinthisch angelegten Stockwerken des Gebäudes, und was sie bieten, ist, kurz gesagt, genau das, was es zu Hause nicht gibt. Britpop wie aus dem Bilderbuch: queer, retro, punkig; zum Anziehen, Sammeln, Aufhängen, Basteln, Hören, Essen – bunt und endlos. Als unsere Töchter am ersten Tag unserer Reise aus Affleck’s herauskommen, haben sie Lust auf den Urlaub in Nordengland.
Liverpool: Nordengland aus dem Riesenrad
Just go shoot!
Für andere Familien mag es nichts Besonderes sein, für uns schon: Liverpools Uferpromenade verfügt über ein wunderbar dekoratives Riesenrad, und als wir das Beatles-Museum in höchst beschwingter Stimmung verlassen, ist der Moment gekommen, in dem ich meinen übertriebenen Respekt vor Riesenrädern ablege.
Das lohnt sich. Liverpool von oben sieht ziemlich gut aus. Und vielleicht ist dieses ferienmäßige Riesenradfahren in einer heiteren Stadt nicht weit vom Meer und unter extrem blauen Himmel einer der Gründe für das familiäre Mehrheitsurteil zum Manchester-Liverpool-Vergleich: Drei von vier Personen gefällt es in Liverpool besser als in Manchester. Mir nicht. Ich finde beide Städte fantastisch.
Blauer Himmel über der Heimatstadt der Beatles
4 Comments
Beate
Fußballmuseen haben es in sich! Ging mir in Barcelona genauso! Eigentlich hätte ich gut auf das Museum verzichten können, aber als wir dann dort waren, war da gleich eine unglaubliche Faszination. Eben mehr als ein Club! England ist aber schon auch immer eine Reise wert. Liest sich alles sehr gut! Vielleich lässt es sich mal realisieren….
Maria-Bettina Eich
Wer in Sibirien war, schafft es locker bis England! Wir hätten in unsere Route problemlos noch mehr Fußball-Sightseeing einbauen können, aber es gibt in der Ecke auch jede Menge andere interessante Dinge zu sehen, zu erleben und zu probieren. Sehr empfehlenswert! Hätte Marit nicht nach den drei Monaten erstmal genug von Yorkshire, würden wir dieses Jahr vermutlich wieder hinfahren…
Stefanie
Liebe Marie, Liverpool sieht aus, als ob man die Stadt mögen muss. Bei Manchester ist das Gegenteil der Fall, wie ich weiß. Und trotzdem mag auch ich Manchester total. Besonders die Menschen. Seltsame Outfits sind ja sowieso typisch englisch; die Mancunians treiben es aber echt auf die Spitze, oder? Stunden könnte ich im Straßencafé sitzen u. sie (typisch deutsch) anstarren. Liebe Grüße, Stefanie
Maria-Bettina Eich
Hallo, Stefanie, die Outfits, die einem in Manchester über den Weg laufen (und auch sonst in GB) sind unvergleichlich – und ich weiß, was Du meinst, wenn Du von dem Wunsch, zu sitzen und zu starren, sprichst – 🙂
Liverpool ist ein bisschen anders, aber auch ein Ort, an dem man zurückkehren möchte.
Liebe Grüße,
Maria