Zuletzt aktualisiert am 13. Juni 2023 um 14:29
Schon lange engagiert sich die Modemacherin Miuccia Prada für zeitgenössische Kunst. Seit 2015 gibt es in Mailand ein eigenes Ausstellungsareal der Fondazione Prada: für mich ein inspirierendes Ensemble von architektonischen und künstlerischen Glückserlebnissen. Krönender Abschluss: das Museumscafé, das Wes Anderson gestaltet hat.
Alles schon hundertmal gesehen?
Es gibt viel zeitgenössische Kunst. Sehr viel. Manchmal kann es einem ein bisschen zu viel werden. Allzu oft erkennt man sie wieder, die häufig nicht besonders originellen Effekte, die auf eine mittlerweile hinlänglich bekannte Irritation der Sinne zielen. Die kalkulierten optischen Querschläger, die sich als immer neue Varianten einer konzeptuellen Kritik an Kunstbetrieb, Konsumgesellschaft, digitalisierter Welt, Traditionen und Konventionen gerieren und nicht selten langweilen. Die Readymades, die mit großer Fingerfertigkeit mal in den Dienst der politischen Message, mal in den der Gesellschaftskritik gestellt werden und besonders gern als dreidimensionales Statement zu einem der vielen Aspekte rund um das ewig brenzlige Thema Sexualität fungieren. Wer oft in Ausstellungen geht, weiß vermutlich, wovon ich rede. Und kennt auch Erfahrungen wie mein Kunsterlebnis in der Fondazione Prada: Museumsbesuche, die schlagartig alle Ermüdungserscheinungen vertreiben.
Idealer Raum für zeitgenössische Kunst
Die Fondazione Prada dürfte so etwas wie der ideale Raum für die Kunst der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts sein. 2015 wurde das Stiftungsareal der Modedesignerin Miuccia Prada eröffnet – auf dem 100 Jahre alten Industriegelände einer ehemaligen Destillerie in Largo Isarco im Süden Mailands, das der Architekt Rem Koolhaas in ein Kunstensemble umgebaut hat. Sieben der Destillerie-Bauten hat er mit seinem Studio OMA in Museumsräume verwandelt, drei neue Gebäude kamen dazu. Das letzte von ihnen, der “Torre” – Turm – wurde erst in diesem Jahr eröffnet, und nachdem die Fondazione Prada lange auf meiner Reise-Wunschliste stand, bin ich froh, dass ich erst gekommen bin, als der Torre schon zu besichtigen war.
Überall auf dem Gelände der Stiftung ist zu spüren, dass es hier um einen kreativen Dialog zwischen Kunst und Raum geht. Das beginnt gleich mit dem ersten Gebäude, in das man nach dem Empfang gerät. Das “Haunted House” – Spukhaus – ist ein Industriebau. Er wurde in seinen Proportionen so belassen, wie er zu den Zeiten der Brennerei konzipiert wurde. Von außen allerdings ist das Haus vergoldet – und ein prominenter Blickfang auf dem Gelände der Fondazione. Beim Parcours durch die rohen Betonräume des “Haunted House” wandelt man von Stockwerk zu Stockwerk durch luftig angeordnete Installationen von Robert Gober und Louise Bourgeois: ein Gesamtkunstwerk, in dem innere Beklemmung und äußere Pracht eine eigenwillige Kombination eingehen.
Luxuriöse Großzügigkeit
Die Fondazione Prada hat, das ist in sämtlichen Ausstellungsbereichen spürbar, Platz für eine Kunst, die Platz beansprucht. Natürlich sind raumgreifende Installationen nur eine Spielart der Gegenwartskunst, aber im Vergleich zu früheren Epochen spielen sie eine extrem prominente Rolle. Auf den sechs Ausstellungsebenen des “Torre” macht die Fondazione Prada vor, wie man dieses Kunstgenre optimal präsentieren kann. Unter dem Titel “Atlas” zeigt Miuccia Prada hier eine Auswahl von Kunstwerken aus ihrer eigenen Sammlung, die im Zusammenspiel mit der Architektur ihre maximale Wirkung entfalten. Installationen stehen im Mittelpunkt, bieten aber gemeinsam mit Bildern und Skulpturen eindrucksvolle Kunst-Raum-Erfahrungen. Wobei der innere, architektonische Raum noch durch den Blick auf den äußeren, urbanen Raum ergänzt wird, der durch breite Fensterfronten in die Ausstellungsebenen hineinwirkt.
Miuccia Prada, promovierte Politikwissenschaftlerin, hat ein traditionelles italienisches Luxusunternehmen geerbt und es zu einem tonangebenden Modeimperium ausgebaut. Die im neuen Mailänder Turm ausgestellten Arbeiten entstammen der oberen Berühmtheits- und Preisliga des zeitgenössischen Kunstspektrums: Namen wie Jeff Koons und Damien Hirst sind nicht zuletzt für die Kostspieligkeit ihrer Werke bekannt. Damit ist keineswegs gesagt, dass Arbeiten aus dieser Liga besser sein müssen als andere, aber damit ist gesagt, dass bei der Fondazione Prada nicht gespart wird. Der größte Luxus in diesem Museum allerdings ist seine Großzügigkeit. So teilen sich die Tulpen von Jeff Koons einen weiten Raum mit den leuchtend abstrakten Kunststoff-Bildern von Carla Accardi – und das ist alles, was der Besucher auf einem der Ausstellungsstockwerke zu sehen bekommt. Man erlaubt sich ungenutzten Raum um die Kunstwerke herum, präsentiert die Dinge als Solitäre und verleiht ihnen dadurch eine ganz andere Geltung, als sie in einem reich bestückten Museumsraum entfalten würden.
Sichtachsen, Perspektiven, Überraschungen
Durch die Fondazione Prada bewegt man sich denn auch anders als durch herkömmliche Ausstellungskomplexe. Ich habe den Eindruck, nicht so sehr Kunst zu betrachten, als vielmehr durch eine Kunstlandschaft zu flanieren, in der sich mir wie in einer Parkanlage alle paar Meter neue Sichtachsen und Perspektiven eröffnen. Manchmal sind diese Perspektiven rein architektonisch: Rem Koolhaas arbeitet mit Spiegeln auf Außenflächen, mit leuchtenden Farbelementen und mit den Formen der teils alten, teils neu ersonnenen Baukörper. Das visuelle Erlebnis, das diese architektonische Landschaft bietet, setzt sich im Inneren der Bauten nahtlos fort – denn die Kunst erschließt sich in der Fondazione Prada nicht, indem man vor Bildern stehenbleibt, sondern, indem man Räume durchläuft und dabei ständig Überraschendes entdeckt. Hinter einer Ecke tauchen plötzlich drei herrliche alte Chevrolets auf. Land Artist Walter de Maria hat sie mit Pfählen unterschiedlicher Form durchbohrt, die man von diversen Standorten aus gar nicht sieht, während sie aus anderen Richtungen wie barbarische Wurfgeschosse anmuten. Dass die Stockwerke des “Torre” jeweils unterschiedliche Grundrisse und Raumhöhen haben, verstärkt das Erlebnis dieses Gesamtkunstwerks noch.
Was hat die Fondazione Prada, was andere Kunsträume nicht haben?
Carsten Höller leitet die Besucher seiner Installation “Upside Down Mushroom Room” zunächst durch eine Reihe komplett lichtloser Gänge. Nachdem man sich ein Weilchen mit Hilfe von Geländern vorangetastet hat, steht man vor einem pink leuchtenden Rechteck. Dieses Rechteck ist der Durchgang zu einem Raum, in dem gigantische Fliegenpilze verkehrt herum von der Decke hängen und sich drehen: magic Mushrooms, psychedelisch und poppig. Es gibt solche elektrifizierten Wunderland-Effekte in der Gegenwartskunst immer wieder einmal, und als Mutter, die ihre Töchter seit Jahren in Kunstmuseen schleppt, freue ich mich meist über derart unterhaltsame und immersive Installationen. Ihre Wirkung auf Kinder und Jugendliche ist gewiss. Trotzdem habe ich diese Instagram-freundlichen (nichts gegen Instagram – hier geht’s zu meinem liebevoll gepflegten Account), optisch wirkungsvollen Räume gelegentlich als inflationär empfunden. Sie laden zum Staunen ein und dazu, die Welt ein wenig anders zu sehen, aber manchmal ist die Grenze zur Freizeitpark-Ästhetik fließend. In der Fondazione Prada jedoch bleibt die Spannung bei der Kunstbetrachtung bestehen – auch dort, wo man sich durch Eye-Candy-Spaces in Millennial Pink und entlang milde amüsanter Einfälle wie dem äußerst britischen Regenkäfig von Damien Hirst bewegt. Das mag zu großen Teilen damit zusammenhängen, dass die Ausstellung nicht auf Quantität, sondern auf eine sparsame Auswahl von Installationen setzt, die jeweils andere Spielarten dieses Genres repräsentieren. Wer mit zeitgenössischer Kunst anfangen und etwas von ihr begreifen will, ohne erschlagen zu werden, ist in der Fondazione Prada gut aufgehoben. Wer mit Kindern unterwegs ist, ebenfalls. Und wer Ermüdungserscheinungen in Sachen Kunst kennt, der auch. Zumal die Räume in einem interessanten Spannungsverhältnis zu den Kunstwerken stehen. Statt mit Ratlosigkeit oder auch mit einem Alles-schon-gesehen-Gefühl verlässt man das Pradasche Gesamtkunstwerk mit einer Fülle erfrischender Eindrücke im Kopf.
Museumscafé der besonderen Art: Die Bar Luce von Wes Anderson
Bevor man das Gelände der Fondazione Prada ganz verlässt, ist ein Kaffee mit hübschem Törtchen oder auch ein farbenfroher Cocktail mit Sandwich zu empfehlen. Denn das Museumscafé ist ein Kunstwerk für sich: Filmegisseur Wes Anderson, Urheber einer globalen Retro-Pastell-Ästhetik, hat die Bar Luce für die Prada-Stiftung gestaltet. Sein Vorbild, sagt Anderson, seien traditionelle Mailänder Bars gewesen. Kann sein. In jedem Fall jedoch sieht die Bar Luce aus wie ein Wirklichkeit gewordener Wes-Anderson-Film. Außerdem schmeckt das, was sie anbietet, ziemlich gut und ist nicht mal besonders teuer. Hier ein paar Bilder – als schlagender Beweis für meine Theorie, dass Café-Kultur und Hochkultur nur zwei Seiten derselben Medaille sind:
INFO: Fondazione Prada
Die Fondazione Prada liegt nicht in der Mailänder Innenstadt, ist aber von zentralen Metrostationen wie Monte Napoleone oder Duomo aus schnell und ohne Umsteigen zu erreichen. Man fährt bis zur Haltestelle Lodi T.I.B.B. und ist von dort in gut zehn Minuten zu Fuß bei der Stiftung. Deren Öffnungszeiten sind Montag, Dienstag und Donnerstag 10.00 bis 19.00 Uhr; Freitag, Samstag und Sonntag 10.00 bis 21.00 Uhr; am Dienstag ist das Museum geschlossen. Das “Haunted House” hat etwas kürzere Öffnungszeiten; diese erfährt man am besten über die Website. Der Besuch der Fondazione lohnt sich jedoch auch ohne das goldene Spukhaus. Der Eintrittspreis liegt bei 10 Euro (ermäßigt 8 Euro) für entweder die permanente Schau oder temporäre Ausstellungen, bei 15 Euro (ermäßigt 12) bei einer Kombination von beiden. Besucher unter 18 und über 65 Jahren haben freien Eintritt. Die Bar Luce ist auch ohne Museumseintritt zu besuchen. Ihre Öffnungszeiten: Montag, Mittwoch, Donnerstag von 9.00 bis 20.00 Uhr; Freitag, Samstag, Sonntag von 9.00 bis 21.00 Uhr. Dienstags hat auch die Bar Ruhetag.
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