Zuletzt aktualisiert am 8. März 2023 um 21:55
Es ist schwer, nicht zu grinsen. “Toll hier für dich, oder?”, frage ich meine elfjährige Tochter, die alles liebt, was süß ist. Sie schaut mich von der Seite an: “Du grinst auch wie ein Honigkuchenpferd.” Stimmt. Meine Mundwinkel gehen gar nicht mehr nach unten. Schneller Blick auf die 14-Jährige: Die sieht genauso aus. Nur mein Mann bewahrt sich bis zum Ende unseres Besuchs im Sanrio Puroland, dem Tokioter Themenpark von Hello Kitty und Consorten, einen leicht skeptischen Gesichtsausdruck.
Man darf so einiges erwarten, wenn man im Kernland der Kawaii-Kultur, die alles Niedliche zelebriert, den Themenpark besucht, in dem das wohl kawaiiste Wesen Japans zu Hause ist: Hello Kitty. Weshalb das Sanrio Puroland ziemlich weit oben auf unserer To-do-list für Tokio stand. Die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Stadtzentrum aus dauert ein bisschen, denn das Sanrio Puroland liegt in Tama New Town, einem Ort, der direkt an die Stadt Tokio angrenzt. Allerdings werden wir bereits im Bahnhof für die Anreise belohnt. Ob Hinweisschilder, Aufzüge oder Stadtpläne: Alles ist hier mit Hello Kitty und ihren Freunden dekoriert. Klarer Fall: Diese Stadt gehört den Sanrio-Wesen.
Sanrio: das Kawaii-Imperium
Sanrio ist ein Marketing-Imperium, dessen Erfolgsgeschichte 1974 mit der Erfindung von Hello Kitty begann, dort aber nicht haltmachte. Mit schöner Regelmäßigkeit kreiert das japanische Unternehmen seither immer neue, superniedliche Characters, die es dann mit allen Raffinessen des Merchandising vermarktet. Die meisten dieser Figuren haben einen begrenzten Lebenszyklus und verschwinden nach einigen Jahren wieder von der Bildfläche, um ihren Nachfolgern Platz zu machen, aber Hello Kitty und ein paar andere Klassiker haben überlebt, und sie wohnen im Sanrio Puroland zusammen mit diversen Newcomern, wie man zauberhafter gar nicht wohnen kann.
Hello Kitty geht uns alle an
Auch die Menschen, die wir in diesem – überdachten, denn Japan ist ein regnerisches Land – Themenpark treffen, sind bezaubernd. Junge Frauen in fröhlichen Uniformen winken den Kindern dauerlächelnd zu, beziehungsweise: Sie winken nicht nur den Kindern dauerlächelnd zu, sondern auch den vielen, vielen, vielen Besuchern, die keine Kinder sind und die auch keine Alibi-Kinder für den Hello-Kitty-Ausflug bei sich haben. Denn Kawaii ist in Japan kein Kinderkram, Kawaii ist eine Lebensform, der vor allem junge Frauen verfallen sind. Und selbst wir Fortysomethings fühlen uns hier nicht wie obligatorische Begleiter, sondern wie vollwertige Besucher. Kawaii ist für alle da.
Wo die lieben Wesen wohnen
Wie umfassend die Kawaii-Kultur ist, begreifen wir mit jedem Schritt durchs Sanrio Puroland besser. Natürlich gibt es die typischen Themenpark-Attraktionen. Zum Beispiel eine Theateraufführung mit vielen plüschigen Figürchen. Oder die Bootsfahrt, die uns durch die Lebenswelten der verschiedenen Sanrio-Gestalten führt. Cinnamoroll, benannt nach der Zimtschnecke, macht den Anfang. Zusammen mit seinen Freunden backt er Kuchen, und meine Töchter schwören, dass die langohrigen Gestalten in echtem Teig rühren – sie behaupten, ihn zu riechen. Scheinbar gehen einem gewisse Illusionsfähigkeiten irgendwann zwischen 14 und 40 verloren.
Was allerdings nicht für die Empfänglichkeit für magische Fantasiewelten gilt – und wenn sie auch noch so sehr auf Konsum abzielen. Ich bin es, die eine Wiederholung der Bootstour vorschlägt. Schließlich muss man sich das alles hier genau anschauen.
Und eine Menge, ich betone, eine Menge Fotos machen.
Character Food im Sanrio Puroland
Von so viel Auf-den-Auslöser-Drücken bekommt man Hunger. Und das ist auch gut so, denn das Essen gehört zu den großen Attraktionen im Sanrio Puroland. Es hat Augen und Ohren, aber nicht so wie manchmal in Frankreich, wo man gelegentlich unangenehm deutlich mit der Anatomie des zu verspeisenden Tiers konfrontiert wird. Zu biologischen Realitäten herrscht hier eine beruhigende Distanz.
Trotzdem fällt es nicht immer leicht, die Zähne in die Speisen zu schlagen.
Hello Kitty und die Hochkultur
Zum Glück ist so ein Besuch in Hello Kittys Freizeitpark nicht einfach ein oberflächliches Vergnügen mit viel süßem Gebäck. Auch bildungsbeflissene Eltern können einen Tag bei Sanrio als pädagogisch wertvollen Familienausflug verbuchen. Denn Hello Kitty ist, wie wir lernen, durchaus eine Persönlichkeit der Hochkultur.
So besitzt sie zum Beispiel ein eigenes Teehaus, in dem sie die jahrhundertealte japanische Teezeremonie zelebriert – ganz, wie es sich gehört: still im Kimono auf Tatamimatten kniend, in einem schlichten, rustikalen Pavillon, der von einem kleinen Garten umgeben ist. Einzig die traditionellen Rollbilder wurden durch einen großen Bildschirm ersetzt, der klassische japanische Motive im Wechsel mit Kitty-Ansichten zeigt.
Doch obwohl Hello Kitty eine waschechte Japanerin ist, ist sie auch in der westlichen Kulturgeschichte zu Hause. Ihr imposantes Lady Kitty House enthält eine ganze Kunstgalerie, in der wir erfahren, dass auch van Gogh, Degas, Gauguin und viele andere Hello Kitty auf ihren Bildern verewigt haben.
Eine Katze für alle Lebenslagen
Obwohl Hello Kitty keinen Mund besitzt, gibt es in ihrem Themenpark einen Raum, der ausschließlich dazu da ist, Ja zu sagen: ein Zimmer, in dem man heiraten kann. Leder sehen wir nur das Schild an der verschlossenen Tür. Nicht auszumalen, wie es dahinter aussieht! Wir tippen auf Pink und Glitzer.
Aber auch für viel profanere Dinge bietet das Sanrio Puroland ein Umfeld von katzenhafter Eleganz. Adrett weisen Kitty und ihr Boyfriend Daniel den Weg zum stillen Örtchen. Hier ist die Mundlosigkeit ein passendes Signal für Diskretion, die in Japan ohnehin groß geschrieben wird.
Was bleibt?
Von unserem Besuch bei Hello Kitty und ihren Freunden nehmen wir einiges mit – in jeder Hinsicht. Zum Beispiel außergewöhnliche Fotos. Auf einem sieht man eine lebensgroße Kitty, die unserer Tochter ein Autogramm auf ein kleines Polaroid-Bild malt.
Und obwohl ich eine ausgesprochene Aversion gegen Fotos von mir selbst habe, kann ich einem Shot im virtuellen Abendkleid im Boudoir des Lady Kitty House schlicht und einfach nicht widerstehen.
Auch eine Vertiefung unseres bisherigen Begriffs von Kawaii nehmen wir aus dem Sanrio Puroland mit. Wir haben am eigenen Leib erlebt, wie das Grinsen der Figuren sich auf uns überträgt. Wir haben gelernt, dass fast jedes Objekt Tierform annehmen kann. Begreifen deutlicher denn je, dass Friede, Freude und Kuchen eng zusammengehören: Eine erstaunliche Anzahl der Sanrio-Characters liebt es, zu backen – darunter auch Hello Kitty.
Natürlich haben wir auch den Eindruck, etwas über Japan gelernt zu haben. Über die sympathische Hemmungslosigkeit, mit der man sich dem Reiz des Süßen hingibt. Und über die hemmungslose Konsumfreudigkeit. “Ist ja schlimmer als in Amerika”, murmelt mein Mann, aber wir machen keine halben Sachen und shoppen wie die Locals.
INFO Sanrio Puroland:
Das Sanrio Puroland ist vom großen Tokioter Bahnhof Shinjuku aus per Bahn zu erreichen – am besten mit der Keio Line. Von der Haltestelle Tama Center sind es nur einige Minuten zu Fuß. Die Wegbeschreibung findet sich auch auf der Website des Themenparks. Die einzige wirkliche Herausforderung besteht darin, im Bahnhof Shinjuku den Abfahrtsbereich der Keio Line samt den richtigen Fahrkahrtenautomaten zu finden. Es gilt die Devise, die uns in Japan immer geholfen hat: durchfragen. Es gibt überall viel hilfsbereites Personal, dessen Engagement jede Sprachbarriere überwindet. Unsere Erfahrung bezüglich der Organisation: Es lohnt sich, einen knappen Tag für den Besuch einzuplanen
UND NOCH EIN BUCHTPP:
Der deutsche Autor und Japan-Kenner Andreas Neuenkirchen hat ein lesenswertes Buch geschrieben: HELLO KITTY – EIN PHÄNOMEN EROBERT DIE WELT, erschienen im Metrolit Verlag. Hier kann man alles über Hello Kitty erfahren: wo ihre kulturellen Wurzeln liegen, warum sie keinen Mund hat, wie sie so erfolgreich wurde und was die Feministinnen zu ihr sagen. Das Ganze ist nicht nur ein Buch über die weiße Katze, sondern eine unterhaltsame Einführung in die japanische Popkultur.
5 Comments
Gela
Das sieht so toll aus, dass ich gleich durch den ganzen Beitrag hindurch mitgegrinst habe! Schön, dass ich hier Kitty mal Hallo sagen durfte. Im Real Life wird das wohl nichts werden. Das bleibt mir als Söhne-Mama vorenthalten – oder erspart? 😉
Liebe Grüße
Gela
Maria-Bettina Eich
Liebe Gela,
vor zwei Monaten hätte ich noch zu “erspart” tendiert, jetzt allerdings, nachdem ich einen Tag lang dauergegrinst habe, sehe ich das anders! Aber die Jungswelt hat ja auch so einiges zu bieten, in jeder Hinsicht, oder?
Liebe Grüße,
Maria
Jenny
Mit Jungs geht man natürlich ins Ninja-Museum! 🙂
Sehr cooler Bericht, ich denke, wir sollten dringend nochmal nach Japan… 😉
Ohayo
Jenny
Maria-Bettina Eich
Ihr müsst! Wir müssen auch dringend wieder hin – habe schon eine riesige Liste von To-dos. Eure Ninja-Museum-Geschichte fand ich, ebenso wie die Noodle-Cups-Museum-Geschichte, großartig, nur leider lagen beide außerhalb unserer Route. Aber nächstes Mal…
Liebe Grüße,
Maria