Zuletzt aktualisiert am 17. April 2024 um 18:11
Das Konzept der Ausstellung von Damien Hirst in Venedig ist denkbar schrill: Unter dem Titel “Treasures from the Wreck of the Unbelievable” präsentiert der britische Künstler Gegenstände, die aus einem legendären Schatz stammen sollen. Gesammelt habe ihn der freigelassene Sklave Amotan vor 2000 Jahren, doch leider sei der Schatz mit einem Schiff namens Apistos, was so viel heißt wie “Unglaublich”, gesunken. Vor einigen Jahren sei er wiedergefunden und unter großem Aufwand geborgen worden, um jetzt in Venedig in der Punta della Dogana und im Palazzo Grassi ausgestellt zu werden. Auf dem Vaporetto erzähle ich den Töchtern diese Fiktion, und siehe da: Sie werden neugieriger als sonst, wenn es um Kunst geht.
Der Glaube versetzt Bronzen
Beim Betreten der Hirst-Ausstellung in der Punta della Dogana geht der Besucher unter einer Inschrift hindurch: “Somewhere between lies and truth lies the truth.” Sehr geistreich; diesen Spruch werden wir so schnell nicht vergessen. Direkt dahinter müssen wir einen gigantischen Bronzekreis umrunden, der in antikischer Manier von Symbolen bedeckt und mit Muscheln, Korallen, Gewürm bewuchert ist. Sehr bunt und sehr dekorativ, dieses Meeresgewächs. In einer der vielen Ausstellungskritiken, die ich gelesen habe, fühlte sich jemand bei Damien Hirst an den antikisierenden postmodernen Bling des Gianni Versace erinnert. Genau diese Assoziation überfällt mich, aber kaum bin ich um den angeblichen Kalenderstein herumgegangen und habe freien Blick auf den ersten Museumssaal, muss ich – lachen. Mir gegenüber steht ein Bär, ein riesiger, grimmiger, absurd mit bunten Meereswesen bewachsener Bär, in dessen Nacken ein Rockstar-ähnlicher Krieger die Säbel schwingt.
Diesen korallenbeflauschten Bären finde ich extrem neuzeitlich; er lässt mich an Indianer-Schmonzetten denken. Er soll sich, so heißt es in der Beschreibung, auf das Initiationsritual Akteia beziehen, dem Mädchen im antiken Griechenland unterzogen worden seien. Dabei hätten sie tanzende Bären imitiert. Nette Idee, denke ich – bis ich zu Hause dank Google feststelle, dass es diesen Initiationsritus wirklich gegeben hat. Damien Hirst hat seine Hausaufgaben offenbar gemacht. Neben mir murmelt die Sechzehnjährige: “Ich finde das cool.”
Der unglaubliche Millionen-Fake
Der zwölfjährigen Schwester nötigt die Gigantomanie dieses Projekts einen gewissen Respekt ab: Hinter vielen der gezeigten Artefakte sind Leuchtkästen mit Fotos zu sehen, die Taucher bei der Bergung des Schatzes zeigen. Diese Bilder verleihen der Schau ein reizvolles Unterwasser-Flair und machen die Legende um den freigelassenen Sklaven und sein gesunkenes Schiff zu einer Rundum-Inszenierung. “Dass das hier Millionen gekostet hat, kann man sich vorstellen”, stellt das Kind mit leichter Faszination in der Stimme fest.
Antike mit Micky Maus und Rihanna
Wir sehen ägyptisch anmutende Kunstwerke, scheinbar Griechisches und Pseudo-Römisches; in den Begleittexten immer mit geschliffen formulierten, wissenschaftlich klingenden Erklärungen versehen. Mythologie, Geschichte und gelehrte Spekulation mischen sich auf kreative Weise: Das Setting der “Schätze aus dem Wrack der Unglaublich” ist komplett durchdacht. Um an verschiedenen Orten willentlich aufgebrochen zu werden. Zum Beispiel, als mein jüngeres Kind plötzlich aus dem Raum, in dem es sich mit dem Vater aufhielt, breit grinsend zu mir gelaufen kommt: “Mama, wusstest du, dass es in der Antike schon Micky Maus gab?”
In der Tat: Das steht sie, die Disney-Maus, poppig überzogen von einer Korallenkruste, und an der Hand eines grinsenden Mannes, von dem man nicht weiß, ob er Gutes mit dem armen Mäuschen vorhat. “The Collector with Friend” nennt sich diese Bronze süffisant. Das ist politisch höchst korrekt, denn schließlich gehört es zur klassischen subversiven Künstler-Attitüde, ab und zu mal nach der Hand, die sie nährt, zu schnappen. Und dass speziell Damien Hirst den Kunstsammlern einen legendären Reichtum verdankt, ist hinlänglich bekannt.
Der nächste höchst Teenager-geeignete Knaller folgt ein paar Räume weiter: Dort steht eine Art Nofretete mit den Gesichtszügen und den Tattoos von Rihanna. Andernorts haben antikische Torsos Proportionen, die eher an die Göttinnen von Instagram als an die der alten Griechen denken lassen. Mich persönlich erinnert der martialisch-starre Zopf einer schwarzen Bronzekriegerin an Jennifer Lawrence in den Tributen von Panem, aber vielleicht geht das zu weit. “Diese Ausstellung ist definitv eine der am wenigsten langweiligen, die ich je gesehen habe”, sagt die zwölfjährige Tochter.
Wozu das Ganze?
Die bezopfte Kriegerin ist Teil einer gigantischen Skulptur, die sich im zentralen Raum der Punta della Dogana über die Höhe von zwei Etagen erstreckt. Sie heißt in einer gewagten Mischung aus griechischer und hinduistischer Mythologie “Hydra und Kali”, und sie ist zweimal nebeneinander zu sehen: in glatter schwarzer Bronze und in dekorativer Unterwasser-Verkrustung. Derartige Doppelversionen gibt es bei vielen der ausgestellten Stücke: Sie sollen einerseits die unbearbeiteten Kunstwerke darstellen, wie sie den Tiefen des Meeres entrissen worden seien, und andererseits angeblich zu Museumszwecken angefertigte Nachbildungen. Bei der Inszenierung dieser Wrack-Ausstellung, das steht außer Frage, wurden weder Kosten noch Mühen gescheut. Die kunsthandwerkliche Qualität der gezeigten Stücke wird einhellig bewundert; die Frage lautet eher: Wofür das alles? Manche Kritiker sind der Meinung, dass hier endlich mal wieder eine große Geschichte erzählt werde, dank derer man, wenn man nur bereit sei, sich auf sie einzulassen, in eine mythische Welt versetzt werde. Andere behaupten, Damien Hirsts Millionen-Fake sei Kunst für das postfaktische Zeitalter, und nicht wenige empfinden die Schau als reinen Protz.
Damien Hirst in Venedig und der Teenagerblick
Wenn man böse sein will, kann man sagen: Damien Hirst hat für den nächsten Level seines Reichtums vorgesorgt. Dass viele der Skulpturen in der Punta della Dogana nach dem Prinzip “das Gleiche in Grün” funktionieren, missfällt auch meinen eher positiv gesinnten Töchtern. Immer wieder eine neue mythische oder pseudomythische Gestalt in fantasievollem Unterwasser-Design, immer wieder die nebeneinanderstehenden Versionen von angeblich authentisch geborgenem Werk und fingierter Museumsnachbildung. Irgendwann hat man das Prinzip begriffen und genug gestaunt; durch Quantität und Wiederholung gewinnt die Ausstellung nichts. Verkauft jedoch der Künstler jedes einzelne Werk zu hohem Preis, gewinnt zumindest er. Den zweiten Teil der Schau, die im Palazzo Grassi stattfindet – beide Museen gehören dem französischen Milliardär und Kunstsammler François Pinault -, sehen wir uns nicht an; Zeit und Energie sind aufgebraucht. Bei einem Blick in den Katalog allerdings scheint mir, auch hier wiederholt sich das Prinzip ad infinitum – mit dem Unterschied, dass der Palazzo Grassi offenbar ein Umfeld bietet, in dem die Artefakte als kostbare Sammlerstücke im edlen Palast inszeniert werden. Ob die pseudohistorischen Kunstgegenstände auch einzeln und für sich genommen, ohne ihre fiktionale Geschichte und die monumentale Inszenierung, Bestand haben, darf man anzweifeln. Gekauft werden sie sicher.
Wie auch immer: Ich empfinde diese Schau als ein gigantisches Blow-up: ein bisschen unnötig, ein bisschen albern, nicht wirklich wegweisend, aber immerhin ganz unterhaltsam. Die Brüche im Illusions-Spektakel – Rihanna, Micky Maus, die Vampirzähne einer gläsernen Medusa (siehe Bild ganz oben) – fühlen sich zwar an wie das Salz in der Suppe, sind inhaltlich aber allenfalls dafür gut, noch einmal klipp und klar zu sagen, dass es hier um Illusion und Storytelling geht und nicht um Archäologie. Außerdem ist Damien Hirst der große Britpop-Kunststar, und als solcher steht ihm eine Bezugnahme auf die Unterhaltungsindustrie gut zu Gesicht. Meine sechzehnjährige Tochter allerdings nimmt die “Treasures from the Wreck of the Unbelievable” und ihr ganzes Drumherum ganz anders wahr als ich. Sowas gab es noch nie, stellt sie richtig fest. Und: “Schließlich ist hier wirklich alles Kunst”; sprich: nicht nur das, was es zu sehen gibt, ist Artefakt, sondern die ganze Ausstellungssituation ist eine einzige Fiktion, in die man sich hineinbegibt wie – und das ist meine vielleicht nicht ganz wertneutrale Formulierung – in einen kunstgeschichtlich durchgestylten Märchenpark. “Ist doch gut, das mal gesehen zu haben”, bringt mein Mann die Sache auf den Punkt.
Damien Hirst in Venedig: INFO
Die Damien-Hirst-Ausstellung “Treasures from the Wreck of the Unbelievable” findet noch bis zum 3. Dezember 2017 in den beiden Museen Punta della Dogana und Palazzo Grassi in Venedig statt. Beide sind am Canal Grande gelegen und mit der Vaporetto-Linie 1 zu erreichen. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag 10.00 bis 19.00 Uhr. Der Eintrittspreis für beide Ausstellungen zusammen beträgt für Erwachsene 18,00 Euro, für Kinder und Jugendliche 15,00 Euro.
Die Story, die die Schau erzählt, nimmt ihren Ausgang mit dem in der Punta della Dogana gezeigten Teil. Wer nur einen Part anschauen kann oder will, ist mit diesem gut beraten.
2 Comments
Inka Chall
Das ist ja mega! Ich hab gleich mal geschaut, leider findet diese Ausstellung wohl ausschließlich in Venedig statt? Superschade, Deine Erzählungen und die Fotos machen tierisch Lust drauf. “Bär in Korallenplüsch” hat mir besonders gefallen. 😀
LG /inka
Maria-Bettina Eich
Ob die Ausstellung noch an weiteren Orten gezeigt wird, habe ich mich auch schon gefragt. Ich habe zwar noch nicht gehört oder gelesen, dass da etwas geplant wäre, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie mit einer gewissen Zeitverzögerung doch irgendwo wieder auftaucht. Zumal Damien Hirst vor nicht allzu langer Zeit ein eigenes Museum in London eingerichtet hat. Daumen drücken für möglichst viel Korallenplüsch!
Liebe Grüße,
Maria