Zuletzt aktualisiert am 30. April 2023 um 19:51
Wahrscheinlich ist jeder Quadratzentimeter der Highlands zauberhaft; egal, wo man sich aufhält. Auf unserer Route durch Schottland mit Kindern allerdings haben wir acht wundersame, gemütliche und vor allem naturschöne Orte entdeckt, an denen wir so richtig ins Highland-Fieber geraten sind.
1. Landschaft schnuppern: Kintyre
Die Eltern unserer Kinder sind so alt, dass “Mull of Kintyre” von Paul McCartney zu den Soundtracks ihrer Jugend gehört. Weshalb sie, als sie im weit zurückliegenden Jahr 2000 erstmals nach Schottland reisten, unbedingt die Halbinsel Kintyre im Südwesten des Landes umrunden mussten. Weil es so schön war, müssen sie diese Erfahrung bei ihrem Schottland-Trip mit Kindern wiederholen. Und stellen fest, dass auf Kintyre nach wie vor angenehm wenig los ist.
Kintyre ist der ideale Einstieg in die schottische Landschaft. Wir kommen an beschaulichen kleinen Orten wie Tarbert und Campbeltown vorbei. Laufen an Sandstränden entlang. Machen oberhalb des Leuchtturms am Mull of Kintyre halt, der Halbinselspitze, und können bis nach Irland schauen. Fahren endlos durch das schottische Grün mit seinen abwechslungsreichen und subtilen Farbtönen. An der Westküste schießt die jüngere Tochter Fotos von Klippen mit rauschender Brandung und kann damit einen der wichtigsten Punkte auf ihrer To-do-List für Schottland abhaken. Gelegentlich sollen hier Seehunde zu sehen sein. Freunde haben vor Kintyre sogar Delfine entdeckt, und Paul McCartney führt mit “deer in the glen” das Rotwild an. Unsere eigenen Tiersichtungen beschränken sich am diesem Tag auf Schafherden, aber auch die sind schön. Und sehr schottisch.
Will man Kintyre mit dem Auto umrunden, sollte man sich auf teilweise einspurige Straßen und mindestens einen guten halben Tag einstellen. Wenn man zwischendurch öfter mal spazierengehen oder noch ein paar kulturelle Sehenswürdigkeiten mitnehmen möchte – die haben wir ausgelassen, aber der Blog Family 4 Travel beschreibt sie sehr detailliert -, benötigt man auf jeden Fall einen kompletten Tag. An dessen Ende kann man, so man mag, auf stilecht-schottische Weise im Schloss schlafen: Stonefiled Castle ist ein Schlosshotel am nördlichen Punkt der Halbinsel, in dem wir drei Nächte verbracht haben und über das ich hier schreibe.
2. Bilderbuchschottland: Inveraray
Duke Archibald war unzufrieden. Das Schloss, das er von seinen Vorfahren aus dem Argyll-Clan geerbt hatte, entsprach weder seinem Geschmack noch dem zeitgenössischen Standard. 1743 begann Archibald, Duke of Argyll mit dem Abriss sowohl des Schlosses als auch des zugehörigen Ortes. Er wollte etwas Neues.
Dort, wo seine Clanvorgänger zuvor um einiges rustikaler gewohnt hatten, ließ er sich ein hübsches Märchenschloss mit Türmen und Zinnen bauen. Die berühmten englischen Adam-Brüder, deren Stil damals für den Gipfel des guten Geschmacks stand, hatten ihre Hände im Spiel: So viel zum “ursprünglichen Schottland”, das angeblich in den vielen Schlössern des Landes zum Ausdruck kommt. (Darüber, dass die wehrsamen Schlösser, denen man überall begegnet, oft nicht so mittelalterlich sind, wie sie aussehen, habe ich schon einmal geschrieben.) Dennoch oder gerade deshalb: Inveraray Castle erfüllt jeden Schottlandtraum des 21. Jahrhunderts, und wir wissen nicht, wie wie man gestrickt sein muss, damit es einem nicht gefällt.
Der im 18. Jahrhundert angelegte Ort Inveraray – übrigens 60 Kilometer nordöstlich von Kintyre gelegen – ist eine Modellstadt, die die klassischen ästhetischen Vorstellungen des Duke und seiner Architekten verkörpert. Inveraray besteht vor allem aus einer Hauptstraße, an der sich schlichte weiße Gebäude mit schwarzen Kontrastelementen entlangziehen: sehr stilvoll, sehr schnuckelig, sehr gut besucht. Hinter so gut wie jeder Tür wartet ein Café, ein Restaurant oder ein Laden auf Touristen. Wir essen Pizza und lassen uns von unserem tschechischen Kellner über das lukrative Sommergeschäft an diesem Ort aufklären.
Inveraray ist keine Stadt, in der wir einen ganzen Tag verbringen könnten. Aber der Besuch lohnt sich. Wegen des unbestreitbar pittoresken Charakters des Orts – und auch, weil es spannend ist, zu sehen, wie das ideale Schottland für den Spross eines bedeutenden Clans im 18. Jahrhundert aussah.
Außerdem wollen wir ins Inveraray Jail, das neben dem Schloss die Hauptattraktion des Ortes ist. Das bemerkenswert gut erhaltene und vorbildlich zum Museum aufbereitete historische Gefängnis erzählt eine Menge Wissenswertes über den Strafvollzug vergangener Zeiten. Am eindrucksvollsten für uns sind die Gefängniszellen aus dem 19. Jahrhundert mit ihren hineinmodellierten Insassen – ebenso wie die Geschichten über inhaftierte Kinder und Jugendliche sowie ein geisterhaft realistisch rekonstruierter Gerichtssaal, in dem wir uns zwischen das nachgebildete Publikum in historischer Gewandung setzen können.
3. Meer, Inseln, Seehunde, Adler: die Corryvreckan Wildlife Tour
Bloglesen lohnt sich. Während der Schottland-Reiseplanung bin ich dank dem Blog Urlaubshappen auf die Corryvreckan Wildlife Tour gestoßen: eine Bootstour vor der schottischen Westküste und ohne Zweifel eines unserer größten Familienhighlights in Schottland.
Die zweistündige Tour startet auf Easdale, einer winzigen Insel, die zu den Inneren Hebriden zählt, vom Festland jedoch über eine kleine Brücke zu erreichen ist. Easdale liegt knapp hundert Kilometer westlich von Inveraray; bis zum Städtchen Oban im Norden sind es etwa 30 Kilometer. Auf Easdale hat der Veranstalter Seafari Adventures seinen Sitz, dessen diverse Bootstouren sich bequem im Internet buchen lassen.
Wir werden in Ölzeug und Schwimmwesten verpackt, bekommen ein Fernglas umgehängt und besteigen ein kleines Boot, das gemütlich von der Anlegestelle ablegt, um ziemlich schnell ziemlich Fahrt aufzunehmen. Die Gischt sprüht, das Ölzeug macht bei jedem Wetter Sinn. Eine junge Naturwissenschaftlerin sitzt lässig auf dem Bootsrand und erklärt uns die Namen der vielen kleinen Inseln, an denen wir vorbeifahren. Irgendwann wird das Boot langsam und bleibt dann stehen: Die Führerin hat Seehunde entdeckt, die sich an einem Inselufer aalen. Wir benötigen die Ferngläser, um sie zu sehen; unsere Kameras sind nicht gut genug für Fotos mit erkennbaren Seehunden.
Wir sichten Adler, Otter und Lieblingswälder von Rehen. Die Rehe verstecken sich. Unsere Führerin ist gut im Bilde über Landschaft, Tierwelt, Geschichte der Gegend – und über das ganz spezielle Naturschauspiel, dem unsere Tour ihren Namen verdankt: Der Golf von Corryvreckan, eine kleine Meerenge zwischen den Inseln Jura und Scarba, gilt als drittgrößter natürlicher Whirlpool der Erde. Die Stärke der Strömung in diesem Strudel ist gezeitenabhängig; als wir mit dem Boot durch die Meerenge fahren, verhält sich das Wasser vergleichsweise ruhig, fühlt sich auf dem leichten Boot aber nicht wirklich so an. Wir haben ein Kind, das gern Achterbahn fährt und absolut in seinem Element ist. Alle anderen Familienmitglieder freuen sich, als es auf dem Rückweg etwas ruhiger wird und wir uns entspannt dem Blau von Himmel und Wasser, der traumhaften Insellandschaft mit Schiefer, Gras und sogar einem Leuchtturm sowie weiteren Tiersichtungen hingeben können.
Erwachsene zahlen 45, Kinder 35 Pfund für diese Bootsfahrt: Geld, das gut investiert ist. Die Corryvreckan Wildlife Tour können wir jedem empfehlen, der Schottland mit Kindern ab sieben Jahren (Jüngere sind nicht zugelassen) bereist – und natürlich auch jedem, der ohne Kids unterwegs ist.
4. Schottische Gastfreundschaft: Knipoch Hotel
Ja, sagt die Chefin beim Abschied zu mir, in Schottland habe man durchaus seine eigene Kultur der Gastfreundschaft; die gehöre zu den Charakteristika des Landes. Sie selbst setzt diese Kultur zusammen mit ihrer Familie im Knipoch Hotel auf megagemütliche Weise um. Knipoch liegt 15 Autominuten südlich von Oban; von unserer Bootstour sind wir in weniger als einer halben Stunde an den wärmenden Kaminen des Hauses.
Wir bleiben zwei Tage in diesem Hotel, aber meinetwegen könnten es zwei Monate sein. Wohin man sich wendet, warten behagliche Sitzgruppen mit diesem altmodischen Charme, den man nur auf den Britischen Inseln findet (oder dort in den USA, wo man good old Europe besonders geschickt imitiert). Die Zimmer sind perfekt, und das Essen in den verschiedenen Räumen des verwinkelten Restaurants straft jeden Vorbehalt gegenüber britischer Küche Lügen. Uns Eltern macht vor allem der einheimische Fisch glücklich, die Kinder die Desserts. Und wenn man vor die Hoteltür tritt, steht man zwar erstmal an der Landstraße, aber direkt dahinter liegt das obligatorische schottische Loch; diesmal: Loch Feochan.
5. Alter schottischer Adel: Das Clanmuseum in den Cairngorms
Aus der Gegend um Oban fahren wir nach Osten, um ein paar Tage im Gebiet der Royal Deeside zu verbringen: dem Teil der Highlands, in dem die königliche Familie seit der Zeit von Queen Victoria Urlaub macht. Unser Weg führt durch dramatisch vernebelte Landschaften und beschert uns im Cairngorms-Nationalpark einen Zufallsfund: In dem kleinen Örtchen Newtonmore fahren wir am Macpherson Museum vorbei – und steigen spontan aus.
Das kleine Museum ist dem alten schottischen Clan der Macphersons gewidmet – einer der adligen Großfamilien, die die Geschicke Schottlands über Jahrhunderte auf nicht immer friedliche Weise bestimmt haben und die vehement in den Highlands gegen die Engländer kämpften, als diese sich das Land im Norden der Insel einverleiben wollten.
Ein Clanabkömmling im Kilt begrüßt uns. Sein Kilt ist ebenso wie Vorhänge und Sesselbezüge des Museums im spezifischen Tartan der Macphersons gehalten, dem familieneigenen Schottenkaro, dessen Farben von Heidelila und Grau dominiert werden. Er erzählt uns von den Besuchern, die hier in der Abgeschiedenheit vorbeikommen. Oft sind es Amerikaner, die von den schottischen Macphersons abstammen und auf der Suche nach ihren Wurzeln sind, doch auch Germans wie wir sind keine seltenen Gäste.
Das Clanmuseum hat die Größe eines Einfamilienhauses und ist randvoll mit Stellwänden zu der Geschichte der MacPhersons, mit historischen Exponaten und mit Informationen über die Errungenschaften einzelner Mitglieder. Sogar eine Gasmaske aus dem Ersten Weltkrieg ist zu sehen, denn diese Erfindung geht auf Doctor Cluny Macpherson zurück. Ein Video erzählt vom Clanleben unserer Tage: von regelmäßigen Clan-Zusammenkünften und vom aktuellen Chief, der denjenigen versprengten Macphersons, die Interesse daran haben, noch heute als Familienoberhaupt dient. Wow. Die schottische Geschichte lebt.
6. Aus grauem Granit: Aberdeen
Manche lieben sie, manche hassen sie: Aberdeen, die “Granite City”, ist von – je nach Perspektive – betörendem oder deprimierendem Grau. Der Grund dafür könnte einfacher nicht sein: Die Gegend ist reich an Granit, und natürlich verwendet man das Baumaterial, das man vor der Haustür hat. Bei Sonnenschein sollen übrigens kleine Partikel im Granit schimmern, was Aberdeen zu seinem zweiten Beinamen “Silver City” verholfen hat.
Aberdeen ist die drittgrößte Stadt des Landes. Sie verdankt ihren Wohlstand dem Hafen an der schottischen Ostküste. Es gibt einige historische Sehenswürdigkeiten, für die unsere Zeit nicht ausreicht. Stattdessen bummeln wir durch die endlosen Graunuancen der Straßen, betreiben ein bisschen teenagerfreundliches Shopping, versinken in der mysteriösen Atmosphäre einsamer Ecken und beschließen, dass diese Stadt einen ausgiebigeren Besuch verdient hätte – irgendwann.
Eine weder granitene noch historische, dafür aber spektakuläre architektonische Sehenswürdigkeit Aberdeens nehmen wir allerdings mit: Wir machen einen Abstecher zu der Universitätsbibliothek von 2012, die das dänische Architekturbüro Schmidt Hammer Lassen entworfen hat. Die Sir Duncan Rice Library mit ihrer fantastischen spiralartigen Perspektive durch die Stockwerke ist ein tolles Ding – und zwar nicht nur für Architekturnerds, wie die Reaktionen meiner Töchter zeigen.
7. Wer Schottland mit Kindern besucht, braucht ein grandioses Schloss: Dunnottar Castle
Großartiger geht’s kaum: 30 Kilometer südlich von Aberdeen steht Dunnottar Castle an der Nordseeküste. Erbaut im 12. Jahrhundert auf einem Felsvorsprung, der eindrucksvoll von der Brandung umtost wird, und im 16. Jahrhundert signifikant erweitert, ist Dunnottar Castle heute eine gigantische Ruine: ganz großes schottisches Kino, das selbstverständlich bereits als Filmkulisse diente und sich zu Fuß durchstreifen lässt.
Als wir hindurchlaufen, sind wir erstaunt über die Ausmaße der Anlage, von der teils nur noch Mauerreste übrig sind, teils aber auch komplette bemooste Gebäudeteile wie etwa der Burgturm oder die ehemalige Bäckerei des Castle. In der soll es spuken, was uns kein bisschen wundert. Wenn wir Gespenster wären, würden wir uns definitiv Dunnottar Castle als Bleibe aussuchen.
8. Die mysteriöse Kirche: Rosslyn Chapel
Als wir fast in Edinburgh und damit bei der letzten Station unserer Reise angekommen sind, schaffen wir es noch kurz vor ihrer abendlichen Schließung in die Rosslyn Chapel. Und die ist unglaublich. Eigentlich ein kleines Kirchlein in einem Dorf namens Roslin, das 15 Kilometer südlich von Edinburgh liegt, ist die Rosslyn Chapel der Welt spätestens bekannt, seit Filmszenen des “Da Vinci Code” in ihrem Innenraum gedreht wurden.
Und in diesem Innenraum entpuppt sich auch der einzigartige Zauber der Kirche aus dem 15. Jahrhundert, die wie ein Schatzkästchen der Steinmetzkunst anmutet. Aus jeder Säule, jedem Bogen, jedem noch so kleinen Bauelement sind filigrane und nicht selten bizarre Figuren, Ornamente, Bildwelten herausgehauen. Wären wir früher gekommen, hätten wir uns lange in ihre Details vertiefen können, so jedoch beschränken wir uns auf einzelne Entdeckungen und den überwältigenden Gesamteindruck des von unzähligen in den Stein gehauenen Wesen bevölkerten Raums.
Es handelt sich um eine Kirche, deshalb spukt es hier sicher nicht. Aber wir sind in Schottland, und dort ist einiges möglich. Kein Wunder, dass sich um Rosslyn Chapel unzählige Legenden über Geheimbünde, Mordfälle, Aliens und verborgene Gewölbe ranken. Ist Rosslyn Chapel möglicherweise ein Portal in eine andere Welt? Oder gilt das vielleicht für ganz Schottland, eines der wunderbarsten Reiseziele, die wir je erlebt haben?
2 Comments
Jutta
Oh … wie wunderbar! Vor vielen Jahren gab es am Busstopp von Rosslyn Chapel ein ganz zauberhaftes Café. So schöne Erinnerungen! Liebe Grüße, Jutta
Maria-Bettina Eich
Klingt herrlich! Mir geht es nach einem knappen Jahr auch so, dass ich immer wieder in Schottland-Erinnerungssehnsucht verfalle…
Liebe Grüße zurück und eine schöne Woche,
Maria