Zuletzt aktualisiert am 2. Mai 2020 um 14:46
Für ihr Verhältnis zum Essen muss man die Franzosen einfach mögen – genauso wie für ihre Einstellung zur Mode. Der aktuellste Ort, um sich davon zu überzeugen: das am 3. Oktober 2017 eröffnete Musée Yves Saint-Laurent in den Räumen, in denen der Modemacher zu seinen Lebzeiten arbeitete.
Ehrfurchtsvoll und intim
Die Personen, die am ersten Vormittag nach seiner Eröffnung vor der diskreten Tür des Musée Yves Saint Laurent in der Avenue Marceau Schlange stehen, sind das typische Publikum von Modeausstellungen in Pariser Museen: viele Damen mittleren Alters und auch etwas reiferen mittleren Alters, ein solider Anteil von Japanerinnen, einige Mütter mit kleinen Mädchen, Männer nur vereinzelt. Noch selten habe ich allerdings eine so ehrfürchtige Atmosphäre in einer Ausstellung erlebt. Liegt es daran, dass das Museum gerade einmal 24 Stunden alt ist? Daran, dass man die echte Wirkungsstätte Saint Laurents betritt, in der sich noch viele persönliche Spuren des Couturiers finden? Oder an der Bedeutung dieses Mannes, der als eines der großen Genies in die Geschichte der französischen Mode eingegangen ist?
Auf jeden Fall ist bereits der Empfang eine Besonderheit: Jeder Besucher wird von einer Dame hinter einem eleganten Tresen begrüßt und dann in den Salon gewiesen, in dem Stammkundinnen früher im Hause Saint Laurent empfangen wurden. Dort wird heute ein Film über das Schaffen der Modelegende gezeigt – und zwar auf einem Bildschirm, der etwa die Größe eines ansehnlichen Fernsehers hat, und keineswegs in einer multimedialen Inszenierung. Die Besucher sitzen auf einer überschaubaren Zahl von Stühlen mit goldenen Schnörkeln, die noch aus der Zeit Saint Laurents stammen sollen. Von draußen hereingelassen werden immer nur so viele, wie die Empfangsdame und der Salon bewältigen können: ein Prinzip, durch das in diesem Museum eine ganz eigene Intimität entsteht.
Ein Modemacher, der Frauenleben veränderte
Der Film über Saint Laurent erzählt kompakt die wichtigsten Dinge, die man über diesen Couturier wissen sollte, und bereitet die Besucher perfekt auf die ersten Ausstellungsstücke vor: vier ikonische Kleidungsstücke, mit denen Yves Saint Laurent die Damenmode verändert hat. Er war es, der den Smoking, die Sahara-Jacke, das Jumpsuit und das Leder-Trenchcoat für Frauen kreiert hat: androgyne, teils maskuline Entwürfe, mit denen Saint Laurent die Frauen nicht nur in schöne, sondern auch in selbstbewusste Kleider hüllen wollte. Und die anfangs als revolutionär bis skandalös empfunden wurden, um sich im Laufe der Jahre als feste Standards in der Damenmode zu etablieren.
Offenbar nicht neu: die Idee zum Musée Yves Saint Laurent
Nach einer Körperumdrehung in diesem ersten Museumsraum hat man Impressionen aus dem kreativen Leben des Modehauses vor Augen: Die erste Kollektion, die Yves Saint Laurent unter eigenem Namen im Frühjahr / Sommer 1962 präsentierte, wird mit ganz unterschiedlichen Anschauungsstücken präsentiert. Hinter einer Vitrine gibt es Zeichnungen und Stoffproben aus den verschiedenen Stadien ihres Entstehungsprozesses zu sehen; gegenüber die Kollektion selbst. Damit demonstriert das Musée Yves Saint Laurent den einzigartigen Reichtum seiner Bestände: Kein Modemacher hat sich so sehr um die Archivierung seines Schaffens bemüht wie Saint Laurent, der sowohl schriftliche Dokumente als auch Prototypen der Stücke jeder Kollektion aufbewahrte – teilweise gekennzeichnet mit einem M für Museum. An ein solches hatte Saint Laurent wohl bereits zu seinen Lebzeiten von 1936 bis 2008 gedacht. Sein langjähriger Lebens- und Geschäftspartner Pierre Bergé, der erst im September 2017 gestorben ist, war die treibende Kraft hinter dem Pariser Museum und dem zweiten Musée Yves Saint Laurent in Marrakesch, das dieser Tage ebenfalls eröffnet wird. Dort, in Marokko, hatte der Modemacher seinen zweiten Wohnsitz.
Kreative Feuerwerke auf kleinem Raum
Aber man muss nicht nach Marrakesch fliegen, um in den Genuss der Fülle von Saint Laurents Kreativität zu kommen. Das Pariser Museum zündet auf vergleichsweise kleinem Raum optische Feuerwerke: Ein Saal ist den exotischen Einflüssen auf Saint Laurents Werk gewidmet (siehe Bild ganz oben), ein anderer seinen modegeschichtlichen Inspirationen, ein weiterer seinen Schmuckstücken sowie sehr sehenswerten Entwurfszeichnungen für Theaterinszenierungen, an denen er mitgearbeitet hat. Den Abschluss macht ein Thema, das für Yves Saint Laurent zeitlebens besonders wichtig war: die Verbindung zur bildenden Kunst, der sich nicht zuletzt das berühmte Mondrian-Kleid von 1965 verdankt.
Es gibt viele Gründe, aus denen man dieses Museum mögen kann: Weil man ein Œuvre zu sehen bekommt, dessen künstlerische Bedeutung nicht zu bestreiten ist. Weil man sich mit einem Modemacher vertraut macht, der das Leben von Frauengenerationen durch Kleidungsstücke wie den Hosenanzug verändert hat. Auch das Prêt-à-porter, die erschwingliche Designermode von der Stange, hat Yves Saint Laurent erfunden, wenngleich sie im Pariser Museum nicht zu sehen ist. Man kann die weihevolle Atmosphäre und das luxuriöse Ambiente dieses Hauses genießen. Und man kann den Franzosen mit Wonne dabei zuschauen, wie sie Modekreationen als bedeutende kulturelle Artefakte zelebrieren und nicht als oberflächlichen Tand. Ich will mit meinen Töchtern wiederkommen. Um ihretwillen, aber auch für mich selbst. Das dreigeschossige Haus im 16. Pariser Arrondissement ist ein Special Place. Welche Stücke aus dem reichhaltigen Fundus der Stiftung Pierre Bergé – Yves Saint Laurent man zeigt, soll übrigens Jahr für Jahr variiert werden.
INFO Musée Yves Saint Laurent:
Das Museum Yves Saint Laurent liegt im 16. Pariser Arrondissement; die Adresse ist 5 Avenue Marceau. Die Avenue Marceau verläuft vom Arc de Triomphe bis fast hinunter zur Seine. Das Museum findet sich am nahe der Seine gelegenen Ende der Straße; von der Métro-Station Alma Marceau sind es keine fünf Minuten zu Fuß. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, am Freitag ist das Musée YSL Paris bis 21.00 Uhr geöffnet. Erwachsene zahlen 10 Euro für den Museumsbesuch, für Zehn- bis 18-Jährige beträgt der Eintrittspreis 7 Euro, Kinder unter zehn Jahren haben freien Eintritt. Ob es weiterhin bei Warteschlangen vor dem Museum bleibt, ist im Moment schwer abzusehen, auf jeden Fall lassen sich die Tickets auch online reservieren.
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