Zuletzt aktualisiert am 22. August 2022 um 18:13
Glück gehabt: Gerade, während wir in Tokio sind, zeigt das National Art Center eine große Retrospektive von Issey Miyake. Natürlich ist Issey Miyake Modemacher, aber er ist auch Künstler, Vordenker und Vermittler einer sehr japanischen Ästhetik. Seine Ausstellung sprüht vor Kreativität und Intelligenz. Und, wichtig für die Kinder: Sie macht nachhaltige Gedanken anschaulich und ziemlich viel Spaß.
Ich besuche Museumsausstellungen über Mode gern zusammen mit meinen Töchtern. Je nach Thema geht es um Pracht und Finesse, um Verführung, Provokation und gesellschaftliche Rollenbilder. Bei Miyake Issey – The Work of Miyake Issey (der Nachname steht im Japanischen vor dem Vornamen) ist alles anders. Den Kleidern, die in dieser Tokioter Ausstellung gezeigt werden, geht es nicht in erster Linie um Fashion und Styling. Sie stellen andere Dinge in den Vordergrund.
Kreativität und High-tech
Zum Beispiel die Methode, mit der ein Kleidungsstück hergestellt wird. Wie bei der Linie A-POC, kurz für “a piece of cloth”, bei der das komplette Stück aus einer Stoffbahn entsteht. Die Strickmaschine, die diese Stoffe produziert, ist so programmiert, dass der Fadenverlauf zur Form des geplanten Kleidungsstücks führt. Das ist eine grandiose Verbindung von Kreativität und High-tech – und ökologisch wegweisend: Bei solchen Kleidungsstücken gibt es keinen Verschnitt und keine Abfälle.
Rattan-Bambus-Corsagen, 1981/82
Schon lange vor diesen technischen Zaubereien ging es Issey Miyake um Macharten und Materialien. Er drapierte, modellierte und war immer wieder gefesselt von der Idee, ein Kleidungsstück aus einem einzigen Stück Stoff herzustellen. Das hat etwas sehr Japanisches: Wie der Kimono, das traditionelle Kleidungsstück seines Heimatlands, weder auf die Figur des Trägers zugeschnitten noch darauf angelegt ist, diese Figur zu zeigen, so geht es auch bei Miyake nicht ums Zeigen einer biologischen Form, sondern um ein intelligentes Konstruieren.
Pleats Please
Dabei spielen die Materialien eine große Rolle, und was die anbetrifft, ist Issey Miyake so innovativ wie kaum ein anderer. Er hat Pferdehaar verwendet, Jute, Glanzfolie und modellierten Kunststoff. Vor allem aber hat er seinen ureigenen Faltenstoff entwickelt, bei dem glatte Polyester-Stoffe durch ein Hitzeverfahren in permanente, nicht auswaschbare Falten gelegt werden. Ende der 1980-er Jahre hat er mit diesen “Pleats” begonnen; unter dem Label PLEATS PLEASE! werden derart gefältelte Stücke bis heute erfolgreich verkauft.
Was kein Wunder ist, denn sie gehörten nie einer bestimmten Modeströmung an, sondern entsprechen Issey Miyakes sehr zeitloser Absicht, den Körper in Kleidungsstücke zu hüllen, die ihm wohltun. Und komfortabel sind Miyakes luftige, elastische Pleats auf jeden Fall. Aber sie haben auch ihre eigene Ästhetik, der es wiederum nicht ums Zur-Schau-Stellen des Körpers, sondern eher um eine skulpturale Eleganz geht.
Eines dieser gefalteten Kleider, das sich gleichzeitig in der Länge zusammenlegen lässt wie eine Papierlaterne, können Ausstellungsbesucher mit einem Seil aufziehen und zusammenfallen lassen. Großartige Idee: Im Handumdrehen haben auch jüngere Kinder als meine das frappierende Prinzip dieser Kleidungsstücke begriffen. Gelegentlich läuft zudem eine Maschine, die das Fälteln des Stoffes vorführt.
Magisches Origami zum Selberfalten
Ausgangsstück eines 132 5.-Kleides
Und dann, im letzten Ausstellungsabschnitt, kommt Issey Miyakes jüngster Coup mit dem Namen 132 5. Platt liegen Stoffe mit komplexen Faltungen auf den Podesten und auch auf einem Arbeitstisch, an dem man mit Hilfe eines Videos selbst ausprobieren kann, was damit geschieht.
Handgriff für Handgriff klappt unsere jüngere Tochter den Stoff aus, zieht hier, zupft da, legt vorgefertigte Fäden – und hat der kleinen Modellpuppe, die vor ihr steht, plötzlich ein spektakuläres Kleid angezogen, das danach ebenso sorgfältig in seine zweidimensionale Form zurückfaltet wird.
Nach dieser Hands-on-Aktion wird sie das magische Origami von Issey Miyake nie mehr vergessen, dessen dramatische Effekte die große Schwester fotografiert. Entstanden ist das Konzept 132 5. zwischen 2007 und 2010 in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern: Mode für das 21. Jahrhundert, intelligent und umweltfreundlich, denn die Stoffe dieser Faltkleider sind aus recycelten Materialien hergestellt.
INFO:
Die Ausstellung Miyake Issey – The Work of Miyake Issey war vom 16. März bis zum 13. Juni 2016 im National Art Center in Tokio zu sehen. Das Museum ist in einer knappen Viertelstunde zu Fuß von der Metro-Station Roppongi zu erreichen – ein fantastischer Glasbau, den der Architekt Kisho Kurokawa entworfen hat.
4 Comments
Jutta
Für mich waren PLEATS PLEASE! und auch andere Stücke von Miyake über viele Jahre Wegbegleiter. Das Faszinierende: In der Bewegung sind immer neu Bilder entstanden, Skulpturen am Körper, Kunst sm Körper. Ich habe das geliebt. Die Stücke haben für Gesprächsstoff gesorgt. Natürlich waren die Reaktion nicht immer positiv. Viele waren irritiert, haben nicht verstanden, was da passierte und sich auch nicht darauf einlassen wollen. Ach, die Ausstellung würde ich zu gerne besuchen! Sonnige Grüße, Jutta
Maria-Bettina Eich
Liebe Jutta, wie wunderschön und treffend Du von den Körperskulpturen und den immer neu entstehenden Bildern schreibst! Hoffentlich liest jeder, der meinen Blogbeitrag liest, auch Deinen Kommentar. Was machst Du heute mit den Falten? Liegen sie im Kleiderschrank und erinnern Dich an eine frühere Lebensphase, oder werden sie ab und zu hervorgeholt und angezogen? Meine Pleats wurden lange nicht mehr getragen – aber ich beginne, mir das anders zu überlegen!
Eine schöne Woche!
Maria
Salvia von Liebstöckelschuh
Auch ich habe mir damals in Tokio 4 Teile PLEATS zugelegt und begeistert getragen. Ich besitze diese Kleidungsstücke immer noch, aber leider hat sich meine Figur geringfügig verändert im Vergleich zu damals, so dass ich mir jetzt eher wie eine “Nana” von Niki de Saint Phalle darin vorkäme statt wie ein plissierter Grashalm…
Ich hebe die Kleidungsstücke auf, vielleicht mag sie ja irgendwann Frollein Tochter tragen. Es sind schließlich zeitlos schöne Designs, die keinem Trend unterworfen sind.
Liebe Grüße
Salvia von Liebstöckelschuh
Maria-Bettina Eich
Also… ich hatte mir damals ein paar Teile für die Schwangerschaften zugelegt. Sah auch nicht unbedingt aus wie ein plissierter Grashalm! Aufbewahren muss man sowas auf jeden Fall!
Liebe Grüße,
Maria