Zuletzt aktualisiert am 1. September 2022 um 23:57
Drei englische Schwestern, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Pfarrhaus inmitten der Moorlandschaft von West Yorkshire leben. Die kaum aus ihrer abgeschiedenen Welt herauskommen und zugleich einige der großen englischen Romane ihrer Zeit schreiben – voll wilder Poesie und unverblümter Gesellschaftskritik. Das Haus der Schwestern ist heute ein Museum: die Brontë Parsonage.
Ein Leben in rauer Moorlandschaft
Keine zwei Stunden fahren wir vom heiteren Liverpool nach Nordosten, bis wir uns auf den rauen, windigen Mooren wiederfinden, die die Schwestern Charlotte, Emily und Anne Brontë in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu ihren bis heute weltberühmten Romanen inspirierten. 1820 ist der Vater, ein Pastor, mit seiner Frau und den sechs Kindern in das Pfarrhaus des ärmlichen Dorfs Haworth gezogen und muss miterleben, wie bald seine Frau und wenig später seine beiden ältesten Töchter Maria und Elizabeth sterben. Der Sohn Branwell und die drei jüngeren Töchter Charlotte, Emily und Anne ersinnen in der Abgeschiedenheit, gleichzeitig aber kulturellen Aufgeschlossenheit des Pfarrhauses Phantasiewelten, in die sie ganz eintauchen.
Kurze Biographien, große Romane
Branwell, der eine Künstlerlaufbahn einschlägt, gibt sich im Laufe der Jahre mehr und mehr dem Alkohol hin; die Schwestern beginnen, Romane zu schreiben. 1847 werden sie publiziert: “Jane Eyre” von Charlotte, “Wuthering Heights” von Emily und “Agnes Grey” von Anne Brontë. Alle drei benutzen Pseudonyme mit männlichen Vornamen. Die Nachwirkung ihrer Romane erleben die beiden jüngeren der Schwestern nicht mit: In den Jahren 1848 und 1849 sterben sowohl Emily als auch Anne ebenso wie der Bruder Branwell an Tuberkulose.
Charlotte veröffentlicht noch zwei weitere Romane und heiratet den Assistenten ihres Vaters, bis auch sie im Jahre 1855 während ihrer ersten Schwangerschaft an Tuberkulose stirbt. Der Vater überlebt alle seine Kinder. Auf sein Betreiben wird die Wasserhygiene in dem Dörfchen Haworth von Spezialisten untersucht – und für katastrophal befunden. Nicht nur die Geschwister Brontë, auch auffallend viele andere Bewohner des Dorfes sind in jungen Jahren, nicht selten im Kindeslater, gestorben.
Mit Kindern in die Brontë Parsonage
Unsere Töchter sind mit ihren elf und 15 Jahren keineswegs übermäßig vertraut mit englischer Literaturgeschichte, aber die Brontë Parsonage scheint uns trotzdem ein geeignetes Ziel für die ganze Familie. Zunächst einmal sind den Kindern die Brontës nicht völlig fremd. Unsere Jüngere kennt Jane Eyre aus der ganz großartigen Graphic Novel “Jane Eyre, der Fuchs und ich”, über die ich hier geschrieben habe. Und unsere Ältere ist den Brontë-Schwestern in der Fantasy-Serie “Chroniken der Schattenjäger” begegnet. Außerdem bin ich der Meinung, “Jane Eyre” eignet sich perfekt als Einstiegsbuch für Teenager in die Erwachsenenliteratur.
Dunkles Setting
Doch auch ohne diesen literarischen Hintergrund lohnt sich ein Besuch der Brontë Parsonage mit deutschen Kindern, für die englische Autoren weniger vertraut sind als für britische Gleichaltrige. Ganz einfach, weil das Haus selbst so viele interessante Geschichten erzählt. Allein das Setting ist spannend: ein graues Haus hinter einem dunklen Friedhof mit alten, verfallenden Grabsteinen; auf der anderen Seite des Friedhofs eine dieser typischen englischen Kirchen mit abgeflachtem Turm: ein bisschen trutzig, ein bisschen finster – und eine eigenwillige Umgebung für junge, empfindsame Mädchen.
Im Inneren der Brontë Parsonage
Im Inneren der Brontë Parsonage ist es sofort vorbei mit der dunklen Atmosphäre. Hier, so scheint es, hatte man nicht viel Platz und keinen Luxus, aber Behaglichkeit – und Lesestoff. Vater Brontë legte großen Wert auf Bildung; für seine Töchter ebenso wie für den Sohn. Ein zu Ausstellungszwecken gebauter Annex zeigt Erinnerungsstücke und zeichnet das Leben der Schwestern nach. Das Sechstklässlerinnenenglisch unserer kleinen Tochter reicht, um die Grundzüge zu verstehen – und zu staunen über die einzigartigen Biographien dieser Schwestern, die von Familienzusammenhalt und Verlust, von Naturverbundenheit und Kreativität geprägt waren.
Haworth: das Brontë-Dorf
Haworth gilt wegen des Brontë Parsonage Museums als einer der wichtigsten touristischen Anziehungspunkte Yorkshires, weshalb wir auf einigen Rummel gefasst waren: Immerhin schlägt hier das Herz des “Brontë Country”. Aber alles ist halb so wild: Wenngleich das hügelige Dorf mit seinen Pflasterstraßen und alten grauen Steinhäusern eine hohe Dichte an Cafés und Geschäften aufweist, hat es immer noch viel Atmosphäre. Wir geraten gleich auf dem Parkplatz der Parsonage in Brontë-Stimmung. Er ist unwirtlich, an der Seite ragt der dunkle Kirchturm auf, es weht, und wir ziehen eine Extraschicht Jacken an. Ein kleiner Fußweg, der die Schwestern vom Pfarrhaus zur Dorfstraße führte (Bild ganz oben), führt uns in die liebevoll gepflegte Nostalgie eines Ortskerns, der zwar romantisch ist, aber nicht mit Zuckerguss überzogen. Die alte Apotheke, die ihre Ursprünge in Brontë-Zeiten haben soll, verkauft heute exklusive Seifenprodukte, aber selbst in dieser kommerziellen Idylle weht uns ein wenig Vergangenheit an.
INFO BRONTË PARSONAGE:
Das Dörfchen Haworth liegt etwa 15 Kilometer nordwestlich von Bradford in West Yorkshire. Die Öffnungszeiten des Brontë Parsonage Museum variieren je nach Saison; hier lohnt sich ein Blick auf die Website. Ein Familienticket für zwei Erwachsene und bis zu vier Kinder kostet 18 Pfund – und ist zwölf Monate lang gültig.
4 Comments
Stefanie
Toller Post; vielen Dank. Hab ich verschlungen wie alles von und über die Brontes. Liebe Grüße, Stefanie
Maria-Bettina Eich
Hallo, Stefanie,
das freut mich! Was gibt es Besseres zum Verschlingen als die Brontës?
Liebe Grüße,
Maria
Demand Silvia
Hallo Frau Eich,
super Blog…ich habe ihn durch Zufall entdeckt
Liebe Grüße,
Silvia
Maria-Bettina Eich
Liebe Silvia,
vielen Dank für das freundliche Feedback!
Herzliche Grüße,
Maria