Mirjam Pressler ist Anfang 2019 verstorben. Doch es ist, als habe sie ihren Jugendroman DUNKLES GOLD im Hinblick auf das seltsame und beunruhigende Jahr 2020 geschrieben: ein Buch über die mittelalterlichen Wurzeln des Antisemitismus in Deutschland – und über eine Seuche, für die die Juden verantwortlich gemacht wurden.

Das letzte Wort der Mirjam Pressler

Eine deutsche Schriftstellerin mit jüdischen Wurzeln, die die Kinder- und Jugendliteratur hierzulande nicht nur durch ihre häufig vom Holocaust handelnden eigenen Romane geprägt hat, sondern auch durch unzählige Übersetzungen aus verschiedenen Sprachen: Als Mirjam Pressler im Januar 2019 mit 78 Jahren starb, war ihr Lebenwerk beachtlich. Doch einige Wochen nach ihrem Tod erschien mit dem Roman DUNKLES GOLD, erschienen bei Beltz & Gelberg, so etwas wie ihr letztes Wort – und wie präzise es zu der augenblicklichen Situation passt, ist fast unheimlich.

Ein mittelalterlicher Schatz, den es wirklich gibt

Mirjam Presslers letzter Roman erzählt von der fünfzehnjährigen Laura, die in Erfurt lebt, ein nicht immer einfaches Verhältnis zu ihrer Mutter hat, sich aber dennoch der großen beruflichen Obsession der Mutter nicht entziehen kann: Als Kunsthistorikerin beschäftigt diese sich mit einem in Erfurt 1998 tatsächlich gefundenen jüdischen Schatz aus dem Mittelalter. Auch Laura lässt dieser Schatz nicht los. Von ihrer Mutter weiß sie: Die zufällig in einem Kellergemäuer ausgegrabenen Gold- und Silberschmiedearbeiten, Münzen und Silberbarren müssen von einem jüdischen Kaufmann vor dem Pestpogrom von 1349 verborgen worden sein.

Laura malt sich aus, wie das Leben dieses mittelalterlichen Erfurters ausgesehen haben mag, der unschätzbare Kostbarkeiten im Mauerwerk seines Hauses versteckt hat. Sie recherchiert und beginnt damit, eine Graphic Novel rund um eine von ihr erdichtete Familiengeschichte zu zeichnen.

Jüdisches Leben und Antisemitismus im mittelalterlichen Deutschland

Von Kapitel zu Kapitel wechseln sich die Erzählstränge ab: Zum einen geht es um Laura und das Erfurt von heute, zum anderen um Rachel, die von Laura erfundene Tochter des jüdischen Kaufmanns Kalman von Wiehe, dem der Schatz gehörte. In den historischen Kapiteln liest man von der jüdischen Lebenswelt im mittelalterlichen Deutschland und schließlich von Antisemitismus und Gefahr. Die spannend und kenntnisreich entwickelte Mittelalter-Handlung wird erzählt aus der Perspektive einer jungen Jüdin aus großbürgerlichem Milieu, die sich in der Stadt Erfurt und ihrer jüdischen Gemeinde vollkommen heimisch fühlt, plötzlich jedoch ins Ungewisse fliehen muss. Und zwar, weil ihrer Glaubensgemeinschaft vorgeworfen wird, für die Pestepidemie des 14. Jahrhunderts verantwortlich zu sein.

Jüdisches Leben und Antisemitismus im heutigen Deutschland

Laura, passionierte Zeichnerin, will ihre Graphic Novel mit anschaulichen Details versehen, also recherchiert sie übers Judentum. Dabei lernt sie Alexej kennen, einen aus Russland stammenden Juden. Zwischen ihm und Laura entspinnt sich eine Liebesgeschichte, deren diskrete Schilderung sich wohltuend vom gängigen Jugendbuchkitsch abhebt. Wichtiger sind Alexejs Erfahrungen mit dem deutschen Antisemitismus unserer Tage – und auch Lauras Gespräche mit seiner Großmutter. Die sieht die kulturgeschichtliche Begeisterung für den kostbaren Goldschatz mit sehr gemischten Gefühlen, fühlt sich an die Fluchtgeschichte ihrer eigenen Familie während des Holocaust erinnert und bemerkt, dass es zu dem großartigen archäologischen Fund nur kam, weil Juden vertrieben wurden.

Ein Buch, das Menschen ab 14 lesen sollten

Als Mirjam Pressler DUNKLES GOLD schrieb, war noch keine Corona-Pandemie in Sicht. Auch von QAnon, der irrsinnigen Verschwörungstheorie, bei der Antisemitismus und Corona-Leugnertum auf gefährliche Weise Hand in Hand gehen, war in der Öffentlichkeit noch kaum etwas zu hören. Die Anschläge von Halle lagen in der Zukunft. Mirjam Presslers letzter Roman trifft alle diese Punkte dennoch mit hoher Präzision. Dass er gut lesbar, packend, souverän und zeitgemäß erzählt ist, wundert bei der Autorin niemanden. Dass ein Jugendroman über den Antisemitismus in Deutschland mit einem bloßen Seitenblick auf den Holocaust auskommt, ist wiederum ziemlich erschreckend. Und zeigt: Die Wurzeln der Judenfeindlichkeit liegen tief. Der Roman DUNKLES GOLD macht Zusammenhänge sichtbar, die man ab 14 Jahren gut verstehen kann. Wobei sich die Lektüre dieses Buches auch für Erwachsene lohnt.

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