Zuletzt aktualisiert am 20. Dezember 2017 um 11:47

Bücher-Countdown Nr.7

YAOTAOS ZEICHEN spielt zwischen Peking und Lyon; in den östlichen und westlichen Kriegen des 20. Jahrhunderts; auf Seiten, die als Inbegriff des Wortes “Bilderbuchkunst” gelten können. Yi Meng Wu, die in China und Deutschland aufgewachsen ist, hat es geschrieben und illustriert, herausgebracht wurde es vom Kunstanstifter Verlag, einem unabhängigen kleinen Verlagshaus, das sich mit Hingabe für Illustration, Buchgestaltung und ungewöhnliche Geschichten einsetzt.

Nein, Bilderbücher sind nicht nur etwas für Kleinkinder

Yi Meng Wu

Bilderbuchkunst auf hohem Niveau: Yaotaos Zeichen

Passt das zusammen? Eine Geschichte, in der es um Immigration, um Kriege, eine interkulturelle Familienhistorie, sogar um den Tod geht, und die im Bilderbuchformat erzählt wird? Antwort Nummer eins: Ja, das passt. Das Bilderbuch wird immer stärker zu einem eigenständigen Medium, das mit Bildern und Worten zugleich erzählt, und zwar für verschiedene Altersgruppen. Dass ein Wunsch nach dieser Erzählform besteht, sieht man am aktuellen Erfolg der Graphic Novel – und an Büchern wie denen, die der Kunstanstifter Verlag herausgibt und die sich mal an kleinere Kinder, mal an größere, mal an Erwachsene richten. Bei alledem bleibt das Bilderbuch natürlich das Kleinkind-Medium schlechthin. Antwort Nummer zwei: Es ist alles eine Frage des Niveaus. Natürlich sollte man auch Kleinkindern gute Illustrationen gönnen, aber in den ganz frühen Büchern des Kinderlebens kann es durchaus sinnvoll sein, die Dinge sehr genau abzubilden. Wenn die Komplexität der Illustrationen mit der Komplexität der Geschichten langsam zunimmt, macht das Sinn. Das heißt aber auch: Größeren Kindern oder Erwachsenen sollte man schon einen gewissen Grad an Bilderbuchkunst zumuten, wenn man mit Bildern und Worten simultan erzählt.

Ein Kunstwerk über das Leben zwischen verschiedenen Kulturen

Was das angeht, ist der Kunstanstifter Verlag Experte. Dort widmet man sich nicht nur der Illustration mit großer Passion, sondern der Buchherstellung in all ihren Details – von der Typographie über die Papierqualität bis hin zum Druck. Weshalb YAOTAOS ZEICHEN ein kleines Bilderbuch-Kunstwerk über das Leben zwischen verschiedenen Kulturen ist, das man Kindern ab etwa acht Jahren in die Hand drücken kann. Hier und da sollte man allerdings für ein paar Erklärungen zur Stelle sein: YAOTAOS ZEICHEN ist aus kindlicher Perspektive für Kinder geschrieben, schlägt aber doch einige große Bögen durch Kulturgeographie und Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die sind auch für die kleine Hauptperson Lucie nicht immer ganz leicht zu verstehen, als sie auf dem Dachboden ihrer Großeltern in Lyon einen alten Koffer voller chinesischer Schriftzeichen findet, die ihr ihre Familiengeschichte erzählen.

Kunstanstifter Verlag

Mit dem Schiff von Shanghai nach Marseille – 1930

Shanghai, Lyon, Peking

Da gab es den Urgroßvater Yaotao, der mit dem Schiff von Shanghai nach Marseille kam, um einem Bürgerkrieg in seiner Heimat zu entfliehen. In Lyon lernte er Französisch, studierte, wurde Arzt, heiratete eine Französin und bekam mit ihr einen Sohn: den Großvater von Lucie, der heute noch in Lyon lebt. Doch der chinesische Urgroßvater und die französische Urgroßmutter blieben nicht ihr Leben lang in Frankreich: Als der alte Familienvater in Peking erkrankte, fuhren sie nach China und lebten sich dort ein – bis Japan 1937 Nordchina besetzte, Lucies Urgroßvater in diesem asiatischen Krieg als Arzt eingesetzt wurde und bei einem seiner Einsätze starb.

Kunstanstifter Verlag: Yaotaos Zeichen

Rückkehr nach Peking

Wenngleich Lucies französische Urgroßmutter mittlerweile in ihrer chinesischen Nachbarschaft ein Zuhause gefunden hatte, zog es sie nach dem Tod ihres Mannes wieder nach Frankreich. Zusammen mit ihrem Sohn kam sie 1940 zurück in ein Europa, das ebenfalls vom Krieg verwüstet war. Lucies Großvater und seine Mutter fassten neu Fuß in Frankreich, der Großvater wuchs wie ein Franzose auf, lebt heute wie ein ganz normaler französischer Großvater in Lyon – und bereichert Lucies eigene Geschichte um seine Kontinente und große Kapitel der Historie des 20. Jahrhunderts umspannenden Erlebnisse.

Yi Meng Wu: Yaotaos Zeichen

Im Frankreich der Vorkriegszeit

Kleines Meisterwerk der Illustrationskunst

Kinder können das Buch YAOTAOS ZEICHEN auf verschiedenen Ebenen verstehen. Die collagierten Illustrationen, die an die Kunst der Zeit erinnern, in der Yaotaos Geschichte spielt, bringen die Atmosphäre der zwei verschiedenen Länder in eindrucksvoller Weise zum Ausdruck und erzählen auch den Lesern und Betrachtern viel, die mit politisch-historischen Details noch nichts anfangen können. Immererhin ist die 1983 in China geborene Künstlerin Yi Meng Wu selbst zwischen Shanghai und dem Ruhrgebiet aufgewachsen, und die interkulturelle Vermittlung ist ein Schwerpunkt der Arbeit ihres Berliner Studio Wu für Design. Nachdem sie auf die Spuren der knapp 500 chinesischen Studenten gestoßen war, die tatsächlich zwischen 1921 und 1946 nach Lyon gekommen waren, um in Frankreich zu studieren, vertiefte sie sich in diese Geschichte, die sie an ihre eigene Biographie erinnerte – und machte aus ihr ein Buch, das von Europa und Asien erzählt, von verschiedenen Kulturen, vom Fremdsein und Heimat-Finden. Außerdem erzählt es davon, wie eng unsere eigenen Familienbiographien mit der Weltgeschichte verknüpft sind. Denn auch, wenn man keinen zur Hälfte chinesischen Großvater hat wie Lucie: Es lohnt sich durchaus, die Großeltern gelegentlich mal nach der Vergangenheit zu fragen.

Ein schönes Interview mit den Gründern und Inhabern des Kunstanstifter Verlags gibt es auf dem Blog MiMA zu lesen.

„Yaotaos Zeichen“ kaufen:

In jeder niedergelassenen Buchhandlung in Deutschland kann man dieses Buch telefonisch oder persönlich bestellen, so dass es am nächsten Tag abholbar ist.
Wer dennoch online ordern möchte, kann das Buch über diesen Link bei Amazon bestellen. Es handelt sich dabei um einen Affiliate-Link, was bedeutet, dass ich einen kleinen Prozentsatz des Kaufpreises erhalte. Wobei ich trotzdem jeden ermutigen möchte, lieber die örtlichen Buchhandlungen zu unterstützen!