Zuletzt aktualisiert am 8. Januar 2017 um 22:09

Prädikat “Unbedingt hingehen!” Noch bis zum 2. August läuft in der Villa Rot im oberschwäbischen Burgrieden-Rot die Ausstellung “Es liegt was in der Luft! – Duft in der Kunst”. Eine Ausstellung, die spektakuläre mit subtilen Geruchseindrücken mischt, die spannend ist für Kinder und an deren Ende man sich anders fühlt als am Anfang.

P1040171b Christine Söffing

Alles beginnt mit einer Art synthetischer Duftorgel: Die Künstlerin und Synästhetikerin Christine Söffing hat Ton-Duft-Kombinationen kreiert, die man an einer Station mit Kopfhörern und Riechfläschchen ausprobieren kann. Gemeinsam mit der Parfümeurin Kim Weisswange, die ebenfalls Synästhetikerin ist, hat sie sich durch ein Wiegenlied von Hermann Hoenes, dem Stifter der Villa Rot, zur Komposition eines Dufts inspirieren lassen, der in der Umgebung der Duftorgel zu riechen ist.

P1040166bLuca Vitone

Von jetzt an sind wir sensibilisiert für Duft. Und wundern uns über die staubig-vertraute olfaktorische Aura, die uns unter dem Oberbegriff der Macht empfängt. Luca Vitone hat aus den – hinter Glas ausgestellten, mäßig attraktiven – Staubpartikeln aus Bundestag, Bundesgerichtshof, Bundesbank-Zentrale und Pergamonmuseum zusammen mit einer Parfümeurin eine “olfaktorische Skulptur”, sprich, einen Raumgeruch, entwickelt.

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P1040184bGayil Nalls

Weniger diskret ist der Geruch dieser Welt, der einem im “World Sensorium” von Gayil Nalls fast den Atem nimmt. Er ist eine Kombination aus den Duftnoten, die laut einer Umfrage der Künstlerin die populärsten botanischen Aromen 200 verschiedener Nationen darstellen. Skandinavier tendieren demnach zur Birke, Italiener zu Zitrone, Japaner zu Kirschblüte. Und wir? Wir scheinen uns besonders mit dem Duft der Traube identifizieren zu können.

P1040199bErnesto Neto

Mein Herumrätseln im Vorfeld des Villa-Rot-Besuchs, wie man wohl Duft im Museum ausstellen kann, erhält viele Antworten. Dufträume sind das eine, wobei die Gerüche auch visuell-assoziativ veranschaulicht werden können wie bei Ernesto Netos kräutergefüllter “Falling Flower”.

P1040210bPeter De Cupere

Oder aber ganz konkret von ihrer Herkunft erzählen wie im “Smoke Room” von Peter De Cupere: Die Rauminstallation aus 750000 Zigarettenkippen beeindruckt meine Töchter nachhaltig durch ihren Ekel-Faktor. Überhaupt: Wir reagieren ziemlich emotional auf die Gerüche, und genau das macht sie für Künstler interessant – nicht erst seit kurzem. Schon zu Zeiten von Dada und Futurismus experimentierte die Avantgarde mit dem Phänomen des Dufts; allen voran Marcel Duchamp. Ein Ausstellungsraum in der Villa Rot ist der Geschichte der Duftkunst gewidmet und lässt uns die Essenzen, die die früheren Künstler verwendeten, an Glaskolben mit Blasebälgen erschnuppern.

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Andere Aromen holt man sich in die Nase, indem man mit bereitgestellten Handschuhen an bedufteten Flächen reibt (wie bei Heribert Friedl auf dem Bild ganz oben). Ein hölzernes Labyrinth führt uns durch Gänge aus Holzwänden, die in verschiedenen Nuancen angenehm nach Sauna riechen, während ein weiterer Raum eine “Duftbiographie” in Puderform erzählt.

P1040250bMarcel van Brakel / Frederik Duerinck

Das spektakulärste Ausstellungsstück ist ein Leichenkühlschrank aus der Serie “Famous Deaths”, mit dem Marcel van Brakel und Frederik Duerinck berühmte Todesfälle durch Geräusche und Gerüche nacherzählen. In der Villa Rot kann man sich in den Kühlschrank zum Thema John F. Kennedy schieben lassen. Man fühlt sich wie in einem Film, in dem man riecht, statt zu sehen. Die Sinneseindrücke sind seltsam, auch beklemmend, wenngleich die Gerüche oft nicht wirklich zuzuordnen sind. Während der vier Minuten, in denen man ihnen ausgeliefert ist, kann man durchaus einen gewissen Zweifel an der ethischen Berechtigung dieses Multimedia-Kunstwerks bekommen. Um sich im nächsten Moment zu fragen, ob das nicht scheinheilig ist in Anbetracht des Voyeurismus, mit dem man solche Ereignisse ohne schlechtes Gewissen in anderen Medien verfolgt. Die Kinder wollen sowieso lieber nicht in den Metallkühlschrank. Sie riechen lieber an dem eigens für die Ausstellung kreierten Parfum.

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Beim Verlassen der Villa Rot atmet man erst einmal tief die frische Luft ein, freut sich an den Naturgerüchen im Garten der Villa und an den Düften aus dem Museumscafé. Aber das ist nicht alles. Die Duft-Ausstellung wirkt nach. Nach ihrem Besuch ist man Gerüchen gegenüber aufmerksamer als zuvor. Man riecht genauer hin, erschnuppert Assoziationen und Bedeutungswelten in den Aromen des Alltags, um die man sich vorher nicht geschert hat.